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Immer vorneweg. Joseph Beuys bei einer Großdemonstration gegen die Nachrüstung beim Nato-Gipfel in Bonn am 10. Juni 1982.
© ullstein - BPA

Biografie über den Kunststar: Der dunkle Fleck im Leben von Joseph Beuys

Joseph Beuys hat seinen Lebenslauf geschönt: Sein Biograf Hans Peter Riegel recherchierte die Fakten. Jetzt legt er weitere Dokumente vor. Sie zeigen Beuys' Verbindung zu nationalistischen Kreisen.

Als „Der Spiegel“ Joseph Beuys im November 1979 eine Titelgeschichte widmete, mit der marktschreierischen Überschrift „Der Größte“ und der Unterzeile „Weltruhm für einen Scharlatan?“, war der Rang des Düsseldorfer Künstlers für eine breite Öffentlichkeit etabliert. Jahre zuvor hatte diese breite Öffentlichkeit von Beuys wohl erstmals anlässlich seiner Auseinandersetzung mit der Düsseldorfer Akademie Kenntnis genommen, die dem Professor für Bildhauerei den Rausschmiss durch den NRW-Wissenschaftsminister Johannes Rau eingetragen hatte.

Der „Spiegel“-Titel unterstrich, dass Joseph Beuys (1921–1986) an der Spitze der zeitgenössischen deutschen Kunst angelangt war. Andere sind seither gefolgt, etwa Richter, Polke oder Kiefer; gleichwohl ist der Weltruhm des früh verstorbenen Beuys unangetastet geblieben.

Man glaubte Beuys über Jahrzehnte hinweg einfach alles

Daran haben auch die als Sensationsenthüllung gehandelten Erkenntnisse nichts geändert, die insbesondere der Schweizer Publizist Hans Peter Riegel über den biografischen und politischen Hintergrund von Beuys zusammengetragen hat. Die Veröffentlichung seines Buchs „Beuys. Die Biographie“ machte 2013 Furore, zumal in den Abschnitten über die sechziger Jahre. Darin rückte Riegel den Künstler in eine völkisch gebräunte Komplizenschaft, die in der wirren Gründungsphase der Grünen in Nordrhein-Westfalen aus ihren esoterischen Zirkeln heraustrat und an die politische Öffentlichkeit drängte. Beuys kandidierte für die Grünen bei der Europawahl 1979, und eine Bundestagskandidatur war in der Diskussion.

Nun hat Riegel eine zweite Auflage seines Buchs veröffentlicht, ergänzt um einen 436 Seiten starken Dokumentenband. Neues findet sich gegenüber 2013 nicht darin, und so legte sich das kurzzeitig aufgeflammte Medieninteresse wieder. Der minutiöse Nachweis, dass Beuys’ Schilderung seines Flugzeugabsturzes im Zweiten Weltkrieg mit der wundersamen Rettung durch Krimtataren, die mit Fett und Filz zur Hand waren, von A bis Z erfunden war, ist ebenso kommentarlos in die Beuys-Biografik eingegangen, wie zuvor die in einem Interview aufgebrachte Legende ohne jede Spur von Zweifel geglaubt worden war. Es gibt noch einige weitere Stellen in Beuys’ Vita, die der Künstler geschönt hatte, angefangen beim angeblichen Studium der „Naturwissenschaften“, als ob es ein solches über die Fachgrenzen von Physik, Chemie oder Biologie hinweg überhaupt gäbe. Beuys glaubte man einfach alles, über Jahrzehnte hinweg.

Beuys hielt einen Vortrag über das "deutsche Volk"

Natürlich ist die exakte Kenntnis des Lebenslaufs von Belang, allein schon aus historischem Interesse an der Richtigkeit von Fakten heraus. Im Falle von Beuys, dessen Leben in besonders engem Maß mit seiner Kunstproduktion verbunden ist, weist die Kenntnis der Fakten und der Vergleich mit der Selbstdarstellung auf unbewusste oder verdrängte, vom Künstler jedenfalls verschwiegene Motive. Beuys, der seit seiner bahnbrechenden New Yorker Galerieaktion mit Kojote von 1974 gern als „Schamane“ tituliert wurde, vermochte es, mit seinen Aktionen, seinen Worten und den in oftmals quasiöffentlicher Produktion abgelagerten Werken bei einem breiten Publikum etwas anzusprechen, das in die Tiefen der kollektiven wie der individuellen Psyche reicht. Hellsichtig schrieb der Kritiker Jürgen Hohmeyer 1979, Beuys wolle „dem Individuum, der Emotion und Intuition, schließlich einer Art von schweifender Religiosität zu ihren Rechten verhelfen“. Das treffe „den Nerv der Zeit“.

Dieser Nerv lag bloß, als Riegel mit den Legenden aufräumte. Indigniert musste die Öffentlichkeit vor fünf Jahren zur Kenntnis nehmen, dass das, was sie bei Beuys so angesprochen hatte, aus einem seltsamen Gemenge hervorgegangen war. Über Beuys’ lebenslange Hochschätzung des Anthroposophen Rudolf Steiner mochte man noch hinwegsehen, zumal Steiner selbst inzwischen als Künstler gewürdigt wurde. Groß-Kurator Harald Szeemann hatte dem bis dahin als Goethe-Weihespielleiter belächelten Steiner den Weg in die aktuelle Kunstwelt gebahnt. Riegel zog nun Schriften Steiners aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg ans Licht, die eine spirituelle Erneuerung forderten und diese in der „germanischangelsächsischen Kulturepoche“ ansiedelten. In Steiner’schem Tonfall sprach denn auch Beuys – Riegels Dokumentenband zufolge – in einem Vortrag von 1985 über „das deutsche Volk“. In diesem stecke „die Auferstehungskraft, die selbstverständlich auch in anderen Völkern steckt, aber die unsere wird sich durch radikal erneuerte Grundlagen des Sozialen hindurch ereignen“. Beuys hoffte Begriffe zu finden, um „die Welt, das heißt das Vorgegebene, so krank es auch sei, mit wesensgemäßen Begriffen so zu beschreiben, dass eine Heilung möglich wäre“.

Manche Kritik verfehlt Beuys' Werk

„Heilung“ ist ein Zentralbegriff der Beuys’schen Kunst. So richtig und notwendig es ist, die mitunter trüben Quellen seines Denkens freizulegen, so wenig erschöpft sich seine Kunst darin. Die Skandalisierung – Riegel neigt dazu, auch bei seiner Verdammung von Andres Veiels preisgekröntem Dokumentarfilm „Beuys“ – verfehlt das Kunstwerk.

Wer sich einmal der Installation „Zeige deine Wunde“ von 1976 ausgesetzt hat, die die Stadt München drei Jahre später für ihr Museum Lenbachhaus erwarb (und dafür wütende Proteste erntete), erahnt zumindest den Zusammenhang von Verwundung, Traumatisierung und Heilung, den Beuys besonders in dieser Arbeit in aller Sprödigkeit als condition humaine sichtbar gemacht hat.

Was Riegel hingegen vom politischen Beuys aufgedeckt hat, kann nur verwundern. Dazu enthält der Dokumentenband allerhand krudes Material. In der Entstehungszeit der Ökologiebewegung bis zu ihrem Auftreten als Partei der Grünen in NRW kamen so irrlichternde Figuren wie der frühe Ökobauer Baldur Springmann, Rechtsaußen August Haußleiter, der abtrünnige CDU-Mann Herbert Gruhl, der einstige SS-Mann Karl Fastabend, aber besuchsweise auch der SDSler Rudi Dutschke zusammen, um einen „dritten Weg“ zur „Überwindung von Kapitalismus und Kommunismus“ zu beratschlagen.

Entzauberung durch Archivforschung

Dass Beuys sich ausgerechnet Fastabend zum Stichwortgeber und (Mit-)Verfasser seiner Texte wählte, ist allerdings ein dunkler Punkt. Aber es war nicht allein Beuys’ Umgang; in diesem Milieu entstanden die Grünen mit ihren Aufrufen, und gegen Atomkraft ließen sich schlicht all jene mobilisieren, die mit der bundesdeutschen Politik haderten. Dass Beuys’ Schwiegervater Hermann Wurmbach in der NS-Zeit an der Formulierung rassistischer Theoreme beteiligt war, dürfte Beuys wohl kaum gewusst haben. Er ließ sich von dem Zoologen stets gern die Tierwelt erklären.

Die Entzauberung der Beuys’schen Legenden dank der akribischen Archivforschung von Hans Peter Riegel hat die lebensweltlichen Quellen der Kunst des „Schamanen“ freigelegt, sei es der Filz der Stiefelherstellung in Kleve oder das Fett der Margarinefabrik nahe der elterlichen Wohnung. Der Flugzeugabsturz auf der Krim im März 1944 hat stattgefunden, wenn auch nicht so märchenhaft, wie Beuys ihn ausmalte. Der verletzte, im Gegensatz zum Piloten überlebende Funker Beuys kam in ein Feldlazarett und gegen Kriegsende nach Niedersachsen, wo er in britische Gefangenschaft kam. Dass er zehn Jahre später in eine schwere Depression geriet, ist bekannt. Sie als Folge des Kriegstraumas zu identifizieren, wie Riegel es tut, liegt mehr als nahe.

Das Œuvre steht für sich

Der weitere Lebensweg des Joseph Beuys ist bekannt, und auch, dass er allmählich in die Rolle desjenigen hineinwachsen musste, der über Happenings hinaus in seinem Werk sehr ernste Dinge zu sagen hat. „Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung“, hat er erklärt, schon zur Zeit seines Spätwerks, dem Installationen wie „Zeige deine Wunde“ entstammen.

In seiner Dankesrede für den angesehenen Lehmbruck-Preis am 12. Januar 1986 brachte Beuys Rudolf Steiner und den tragisch geendeten Wilhelm Lehmbruck zusammen. Er führte aus, Lehmbruck habe sich noch kurz vor seinem Freitod dem Aufruf Rudolf Steiners von 1919 „An das deutsche Volk und an die Kulturwelt“ angeschlossen, und nannte das beschwörend „diese Flamme, die er weiterreichen wollte“. Lehmbruck habe das Bekenntnis zu Steiners Ideen geäußert „im letzten Augenblick seines Lebens, als er durch das Tor des Todes seiner eigenen Skulptur gegangen ist“. Zehn Tage später ist Beuys gestorben. Sein Werk, wie jedes künstlerische Œuvre, steht für sich.

Hans Peter Riegel: Beuys. Die Biographie. Riverside Publishing, Zürich 2018. 3 Bde., 240/412/436 S., 19,80/28,50/39,80 €.

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