Rekordpreis für "Salvator Mundi": Der doppelte Neymar
Sensation oder Skandal: Ein Leonardo-Gemälde wird für 450 Millionen Dollar versteigert. Aber vielleicht stammt es gar nicht von ihm.
450 Millionen Dollar: ein doppelter Neymar. So viel hat ein anonymer Telefonbieter am Mittwochabend in New York für das Leonardo da Vinci zugeschriebene Gemälde „Salvator mundi“ ausgegeben, das damit zum teuersten Kunstwerk aller Zeiten aufstieg. Neymar da Silva Santos Júnior, der teuerste Fußballspieler der Welt, war für knapp den halben Preis, 222 Millionen Euro (195 Millionen Dollar), verkauft worden. 450 und 222 Millionen, zwei Zahlen, die für den wachsenden Wahnsinn auf den beiden heiß laufenden Märkten stehen. Wobei die hübsche Pointe lautet, dass derzeit die Kunst den Sport schlägt. Malerei schießt keine Tore. Aber während Neymar, 25, nur noch maximal zehn Jahre auf höchstem Niveau wird spielen können, dürfte Leonardos Bild, das letzte, das sich noch in Privatbesitz befindet, auch darüber hinaus immer noch wertvoller werden.
Jesus segnet die Welt
Allerdings stellt sich die Frage, ob es tatsächlich von Leonardo stammt; dazu später mehr. Salvator mundi, das ist nach einem im Spätmittelalter entstandenen Bildtypus der Gottessohn als Weltenretter. Auf Leonardos nur 65 Zentimeter hohen Walnussbaumtafel scheint er beinahe aus dem Bild herauszutreten. Seine rechte Hand hat Jesus zum Segensgruß erhoben, die linke hält eine Kristallkugel, die das Universum versinnbildlicht. Der Heiland ist den Sühnetod gestorben, um alle Menschen zu erlösen, vor ihm – so verspricht es die theologische Heilslehre der Soteriologie – sind alle gleich. Auf dem Kunstmarkt gilt das nicht. Da sind die Supersammler, die problemlos einen dreistelligen Millionenbetrag für einen Modigliani, einen Klimt oder ein Triptychon von Francis Bacon aufbringen können, gleicher.
Seit dieser Woche, sagt der Leipziger Kunstgeschichtsprofessor Frank Zöllner, sei der „Salvator mundi“ das „Symbol schlechthin für eine sehr ungleiche Verteilung der Vermögen in der Welt“. Dabei bewahrheite sich die alte Spruchweisheit „It takes money to make money“. Um Geld zu verdienen, muss man am besten schon welches haben. Zur Auktion eingereicht hatte das Gemälde der russische Unternehmer Dmitri Rybolowlew, dessen Privatvermögen auf 9,5 Milliarden Dollar geschätzt wird. Er kaufte die Tafel vor vier Jahren für 108 Millionen Euro. Weil das Auktionshaus Christie’s sie nun nur noch auf 85 Millionen Euro schätzte, schien er draufgezahlt zu haben. Doch in einem hitzigen neunzehnminütigen Bietergefecht vervierfachte das Porträt seinen Schätzpreis und überflügelte damit Picassos Gruppenbildnis „Die Frauen von Algier“, das seit Mai 2015 mit 179,4 Millionen Dollar die Hitparade der teuersten Gemälde angeführt hatte. Ein Triumph für den Oligarchen Rybolowlew, der sein Geld gerne in Offshore-Steueroasen wie den britischen Jungferninseln parkt.
Markt der Megasammler
Wie wichtig ist ein solcher Rekord? „Das ist ein sehr kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein sehr großer Schritt für den Kunstmarkt“, sagt Zöllner, der zu den wichtigsten Leonardo-Experten gehört. „Ein stark beschädigtes Gemälde Leonardos, das mit Beteiligung seiner Werkstatt nach 1507 entstanden ist, erzielt einen Rekordpreis, der deutlich höher ist als die Summen, die für Meister der Moderne aufgerufen werden.“ Alte Meister spielen auf dem Markt der Megasammler kaum eine Rolle. Denn die meisten Spitzenwerke hängen längst im Museum. In der aktuellen Hitparade findet sich mit Rubens’ Historienbild „Kindermord in Bethlehem“, das 2002 für 76,7 Millionen Dollar versteigert wurde, ein Werk der Prämoderne erst auf Platz 23.
Von Leonardo da Vinci existieren bloß 15 Gemälde mit gesicherter Urheberschaft. Mit dem „Salvator mundi“ wären es 16. Doch es sprechen mehr Argumente gegen eine Hauptautorschaft des toskanischen Renaissancemeisters als dafür. Zöllner hat das Bild in seinen Werkkatalog nur als Werkstattarbeit aufgenommen. Denn Leonardo habe zwar wohl die Komposition entworfen, die Ausführung aber weitgehend Mitarbeitern überlassen, was auch an etlichen „schwachen Partien“ zu erkennen sei. Und anders als bei allen seinen nach 1500 entstandenen Bildern fehlen Hinweise in den zeitgenössischen Quellen.
Noch weiter in der Kritik geht der Pariser Leonardo-Spezialist Jacques Franck. „Die Komposition stammt nicht von Leonardo, er hat verdrehte Bewegungen vorgezogen“, sagte er der „New York Times“. „Es ist eine gute Werkstattarbeit mit ein bisschen Leonardo dabei.“ Wegen seiner dunstigen Helldunkelmalerei und dem rätselhaften Gesichtsausdruck wird der „Salvator mundi“, der sich im Besitz der drei englischen Könige Charles I., Charles II. und James II. befunden haben soll und erst Mitte der nuller Jahre wiederaufgetaucht war, als „männliche Mona Lisa“ gefeiert. Für Franck, der die „Mona Lisa“ bereits fünf Mal aus ihrem Rahmen nehmen und studieren durfte, ist das ein abwegiger Vergleich: „Es sieht überhaupt nicht wie die Mona Lisa aus.“
Der Sieg des Marketings
Als der der Auktionator Jussi Pylkkanen zum Rekordpreis zuschlug, verkündete er: „Es ist historischer Moment“. Historisch ist der Moment vor allem, weil er den Sieg des Marketings über die Expertise dokumentiert. Christie’s heuerte erstmals eine Werbeagentur an und schickte das umstrittene Gemälde auf eine Promotour nach Hongkong, San Francisco, London und New York. 27 000 Menschen standen Schlange. In einem Videoclip sind die Gesichter von einigen von ihnen zu sehen, die teilweise mit Tränen in den Augen in die Kamera schauen, dorthin, wo das nicht zu sehende Jesus-Abbild hängen muss. Titel: „The Last da Vinci: The World is Watching“. Eine PR-Kampagne als Gottesdienst.
Leonardo da Vinci gehört zu den Künstlern, deren Mythos noch wächst, je länger sie tot sind. Der amerikanische Bestsellerautor Dan Brown hat das größte aller Universalgenies in seinen Büchern zu einer Art Gralshüter mit Pinsel gemacht. Seit Mittwoch ist der Da-Vinci-Code entschlüsselt. Es ist ein Barcode.
Christian Schröder
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