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Der PiS-Partei und der katholischen Kirche war Jurek Owsiak ein Dorn im Auge.
© dpa/Pawel Supernak

Jurek Owsiak und Polens Liberale: Der bunte Vogel geht

Nach dem tödlichen Attentat auf den Bürgermeister von Danzig während einer Spendengala ist der Chef der größten Charity-Stiftung in Polen zurückgetreten. Das kommt der Rechten sehr gelegen.

Wenn es für die Generation der heutigen 40-jährigen Polen seit jeher etwas Sinnstiftendes gab, dann war es Wielka Orkiestra Świątecznej Pomocy (das Große Orchester der Weihnachtshilfe), kurz WOŚP, eine 1993 von dem Journalisten Jurek Owsiak gegründete Charity-Aktion. Das große Finale des Großen Orchesters findet jedes Jahr am ersten oder zweiten Januarsonntag statt, in Polen sowie in anderen Ländern. Polen spenden gerne für WOŚP, denn es geht um einen guten Zweck: Von den Spenden werden neonatologische Spezialapparaturen und sonstige medizintechnische Geräte wie Computertomografen, Krankenbetten und Krankenwagen mitfinanziert.

WOŚP lindert nicht nur die Defizite des polnischen Gesundheitswesens und trägt dazu bei, dass Leben gerettet werden können, sondern verwandelt, wenn auch nur für wenige Tage im Jahr, die eher individualistischen Polen in eine Wir-Gesellschaft. Wenn jemand in meinem Land Rechte und Linke, Konservative und Liberale, Jung und Alt einigte, dann war das Jurek Owsiak mit seiner Spendenaktion.

Der nationalkonservativen und EU-skeptischen PiS-Partei und der katholischen Kirche war Owsiak wegen seiner liberalen und proeuropäischen Weltanschauung von jeher ein Dorn im Auge. Die Kirche distanzierte sich seit Beginn von der Spendenaktion, schließlich ist Charity traditionell ihre Domäne und Konkurrenz wird nicht geduldet. Owsiak hatte außerdem die „Haltestelle Woodstock“ in Küstrin an der Oder ins Leben gerufen, ein Open-Air-Musikfestival, wo, so die Befürchtung der Kirche, zu viel Verderbnis auf junge Seelen lauere. Auch die politische Rechte äußerte sich über die „Haltestelle Woodstock“ mehrmals kritisch und unternahm Versuche, das Festival zu verbieten. Sein Motto „Liebe, Freundschaft, Musik“ steht eben nicht im Einklang mit dem neuen Gott-Ehre-Vaterland-Patriotismus à la PiS: zu bunt, zu kosmopolitisch, zu liberal gehe es dort zu. Und Owsiak selbst ist auch ein zu bunter Vogel, mit seinem roten Brillengestell, mit seinem trotz seiner 65 Jahre jugendlichen Enthusiasmus und seinem ansteckenden Charisma.

Die Maschinerie der Verleumdungen lief auf Hochtouren

Aber wie prangert man einen Menschen an, der eine Spendenaktion leitet, die sich etwas so Noblem wie der Rettung von neugeborenem Leben verschreibt? Das ist schwierig, geht aber. Als Erstes verbannt man seine Veranstaltung aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, danach verweigert man die Teilnahme der Armee, die seit 1993 aktiv an der Spendenaktion dabei war. Beides schadete der Aktion nicht wirklich. Seit 2017 überträgt der Privatsender TVN das WOŚP-Finale, das jährlich neue Spendenrekorde verzeichnet. Allein 2018 wurden knapp 30 Millionen Euro gesammelt.

Im Hintergrund lief aber die Maschinerie der Verleumdungen auf Hochtouren. Die PiS-Abgeordnete Krystyna Pawłowicz twitterte – ohne irgendeinen Beleg zu liefern –, dass Owsiak Hass verbreite. Außerdem finanziere er aus den Spenden, so Pawłowicz weiter, „außermedizinische Zwecke“. Einige Tage vor dem Finale am 13. Januar zeigte das öffentlich-rechtliche TVP einen „satirischen“ Animationsfilm mit Plastilin-Figuren. Jurek Owsiak erschien darin als Marionette zum Geldsammeln, ein Werkzeug in den Händen der ehemaligen Warschauer Bürgermeisterin und oppositionellen Bürgerplattform-Politikerin Hanna Gronkiewicz-Waltz, die, nach Aussage des Films, das meiste Geld selbst kassiere und den Bedürftigen symbolische 10 Zloty überlasse. Jeder, der die Aktivitäten der WOŚP verfolgt, kann nur den Kopf schütteln ob so eklatanter Meinungsmanipulation. Die aus den Spenden erworbene medizintechnische Apparatur steht in Krankenhäusern in ganz Polen. Die Finanzen der Stiftung sind transparent und jederzeit einsehbar.

Jurek Owsiak und sein Stab zeigten sich gelassen. Der Pressesprecher der WOŚP, Krzysztof Dobies, erklärte, die zum 27. Finale der Aktion zu erwartende Flut der guten Informationen sei viel zu groß, um seine Zeit mit Grübeleien über Hasskampagnen zu vergeuden. Aber dann passierte das Unglück. Als am Sonntag während der Open-Air-Spendengala in Danzig der Bürgermeister der Stadt Paweł Adamowicz auf die Bühne kam, wurde er von einem Täter mit Messer angegriffen. Adamowicz wurde schwer verwundet ins Krankenhaus eingeliefert und erlag am Montagnachmittag seinen Verletzungen. Der 27-jährige Täter verlangte unmittelbar nach dem Angriff vom völlig schockierten Moderator das Mikro und rief, dass seine Tat eine Rache dafür sei, dass er unschuldig im Gefängnis gewesen und von der Bürgerplattform gefoltert worden sei.

Adamowicz sagte, seine Stadt sei bereit für die Aufnahme von Flüchtlingen

Bürgermeister Paweł Adamowicz half, die Bürgerplattform in Danzig mit aufzubauen und wurde mit dieser in Verbindung gebracht. Adamowicz machte auch keinen Hehl daraus, dass er mit der offiziellen Politik des polnischen Staates nicht einverstanden war. Während Warschau sich vehement gegen die EU-Umverteilungspläne von Flüchtlingen sträubte, sprach er sich für erlaubte Einwanderung nach Polen aus und erklärte, seine Stadt sei bereit für die Aufnahme von Flüchtlingen. Zudem kritisierte er scharf die Justizreform und trat für die Rechte der Schwulen und Lesben ein.

Owsiaks Gegner stürzten sich sofort auf vermeintliche Defizite der Security, die den Attentäter auf die Bühne gelassen hatte. Dieser hatte einen gefälschten Pressepass vorgezeigt. Rechte Portale schossen sich mit Genugtuung darauf ein, dass es zu dem Unglück während der WOŚP gekommen war. Kurz nach dem Tod von Adamowicz am Montagnachmittag hat Jurek Owsiak offiziell seinen Rücktritt als Chef der WOŚP-Stiftung angekündigt. Die Tatsache, dass auf einer lebensrettenden Veranstaltung ein Leben verloren wurde, habe ihn schwer getroffen. Er sprach aber auch von Drohungen und Hassbriefen, die die Stiftung bekomme und denen gegenüber die Polizei und die Justiz sich vollkommen machtlos zeigten. Er sprach seine Hoffnung aus, dass durch seinen Rücktritt vielleicht die Gegner der WOŚP endlich Ruhe geben würden.

Am Montagabend gingen in vielen polnischen Städten, von Stettin bis Lublin, Menschen zu einem stummen Marsch auf die Straße, um der Familie von Paweł Adamowicz ihr Mitgefühl zu zeigen und gleichzeitig gegen den hasserfüllten, polarisierenden Stil der öffentlichen Debatte in Polen zu protestieren. Viele Kommentatoren sehen das Attentat als unmittelbare Folge der politischen Hetze.

Karolina Kuszyk

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