Salzburger Festspiele: Der Beethoven-Klang von morgen
Teodor Currentzis führt mit MusicAeterna bei den Salzburger Festspielen alle Beethoven-Sinfonien auf - und erntet stürmischen Beifall.
Das Gemäßigte hätte hier keine Chance. Der Strom unzähliger großen Interpretationen hätte es sofort verschlungen. Also regieren Extreme und Superlative im Großen Saal des Mozarteums beim Beethoven-Zyklus von Teodor Currentzis. Bis auf die Cellisten spielen die Musiker im Stehen, führen das elektrisierte Publikum durch eine extrem wirbelnde Stretta-Coda im letzten Satz der zweiten Sinfonie und ernten tosenden Beifall.
Es war der künstlerische Leiter der Festspiele Markus Hinterhäuser, der Currentzis dazu überredet hat, nicht bis zum Beethovenjahr 2020 abzuwarten, sondern die Sinfonien schon in diesem Sommer mit seinem Orchester MusicAeterna aufzuführen. "In den letzten Jahren erlebte ich ein paar neue Interpretationen und fand sie wenig interessant", erklärt Hinterhäuser. Currentzis’ Interpretationen hätten aber so viel Leben, dass er ihm den ganzen Zyklus zutraue. Das Vertrauen hat sich bewährt.
Wie Beethoven es wünschte
Beim Konzert mit der zweiten und fünften Sinfonien dominieren Lebenswille, Energie und Leidenschaft. Was zuerst auffällt und irritierend wirkt, sind die Tempi. Man könnte von einem besessenen Hang zur Übertreibung sprechen - wenn es nicht Beethoven selber gewesen wäre, der sich die Musik so stürmisch wünschte. Vor dem Konzert versichert der Dirigent, er habe sich mit den Partituren intensiv befasst und Beethovens originale Anweisungen entdeckt. “Wissen Sie, dass Beethoven seiner Musik ein Metronom vorausgesetzt hat? Aber praktisch niemand folgte bisher diesem Wunsch”, - betont er im Gespräch mit Journalisten. Sein Orchester habe das Metronom also bei Proben verwendet und sich dabei mal dem Gedanken des Schöpfers hingegeben, mal dem Instinkt seines Leiters. So klingen die Streicher im Scherzo der zweiten Sinfonie wie ein ordentlicher Bienenschwarm. Schließlich sind auf deren historischen Instrumenten Darmsaiten aufgezogen. Elektrisierend wirkt das und lässt die Energiewellen ins Publikum überspringen.
Viel stürmischer als gewohnt wird auch die Fünfte gespielt, knapp 30 Minuten reichen Currentzis. Im Vergleich dazu scheint die aus dem Jahre 2006 stammende meisterhafte Aufnahme des Doyen der historischen Aufführungspraxis, Nikolaus Harnoncourt, der mit Paavo Järvi zu den letzten Zyklus-Interpreten in Salzburg gehört, geradezu gemächlich mit 36’39’". Weil aber das Orchester bei Currentzis einen so nervösen, dabei durchsichtigen Klang hat, technisch als auch musikalisch so auf den Dirigenten eingestimmt ist, tut der ständige asymmetrische Wechsel von piano, forte und fortissimo nur beinahe weh.
Den klischeehaften ersten Satz lässt der Dirigent dagegen unauffälliger als gewohnt klingen. Wunderbar lyrisch klingen die Klarinetten, Fagotte und Blechbläser im Andante con moto, mitreißend sind die Finalsätze, hymnisch, triumphal und letztlich auch erlösend. Man könnte den Rausch mit Aufnahmen des frühen Furtwängler vergleichen - so bildhaft und ekstatisch wirkt das Finale.
Weder Klassiker noch Proto-Romantiker
Und doch lässt sich diese Aufführung keinen bekannten Interpretationen zuordnen. Man könnte Currentzis auch hier vorwerfen, zwischen stürmischen Tempi und temperamentvollen Eskalationen etwas ganz Wichtiges an der Sinfonie zu übersehen: deren monumentale Größe oder einen besonders kräftigen Geist. Beides wäre korrekt, wenn es die eine, "richtige" Interpretation gäbe. Doch was hat allein die Fünfte nicht schon alles erlebt in ihrer Interpretationsgeschichte! Sie wurde ins Klassische gewendet und ins Romantische, ver- und entdeutscht, popularisiert und verkitscht. “Beethoven ist Beethoven. Er ist kein Klassiker, auch kein Proto-Romantiker. Er gehört keiner Periode an, die enorme Entwicklung innerhalb seines Werks weist weit über seine Zeit hinaus”, sagt Currentzis. Und spielt ihn so, als würde die zeitgeschichtliche Einordnung seiner Musik erst noch bevorstehen. Ohne jeglichen romantischen Hauch, sondern männlich und unbeschwert revolutionär.
Bis jetzt hat Currentzis nur Beethovens Fünfte und Siebte für Sony aufgenommen, bis 2020 sollen sie den ganzen Zyklus gemeistert haben. Anders als bei seinen Mozart- oder Tschaikowski-Aufnahmen wirkt Currentzis etwas bescheidener als gewohnt, wenn er über die Aufnahmen redet. Als wolle er am ewigen Rennen um den besten Beethoven nicht teilhaben. Als Zugabe spielt er in Salzburg erneut den ersten Satz der Fünften, diesmal mit viel mehr Drang und Schärfe, Blitz und Donner, als wolle er den Satz den altbekannten Interpretationen annähern und damit sagen: Es möge auch so sein - und ebenfalls schön.
Das Interesse an dem russischen Griechen und seinem Wunder-Orchester ist auch in Salzburg enorm, um das Vierfache überstieg die Nachfrage das Ticketangebot. Am 25. August steht der nächste Auftritt an, dann beim Musikfest Bremen. “Für mich kann es kein größeres Kompliment geben als wenn man mir sagt: Nach dem Konzert sind wir nach Hause gekommen und haben uns geliebt”, sagt er im Interview. Das, und nichts anderes, sei sein höchstes Ziel. So einfach ist es, um alle Schicksalsschläge durchstehen zu können. Für Beethoven und sich selbst.
Liudmila Kotlyarova