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Ich versuche nur, ehrlich zu sein. Sagt Teodor Currentzis.
© Anton Zavjyalov

Dirigent Teodor Currentzis in Berlin: Tiefer tauchen

Teodor Currentzis ist gerade der am heißesten gehandelte Dirigent. Jetzt gastiert er mit seinem Ensemble MusicAeterna in Berlin.

Am Nachmittag nach seiner großen Salzburger „Titus“-Premiere tastet sich Teodor Currentzis vorsichtig durch das Treppengewirr der Felsenreitschule. „Wenn man lange getaucht ist, darf man einen Tag lang nicht fliegen“, erklärt seine leise Baritonstimme. Endlich ist eine freie Garderobe gefunden, in ihrer Mitte steht eine rote Chaiselongue. Auf ihr kann Currentzis kurz ausruhen von den Tauchgängen der vergangenen Wochen, die ihn mit seinem Ensemble MusicAeterna immer tiefer in die Welt Mozarts geführt haben. Während der Inspizient aus dem Lautsprecher tönt, schließt der hingestreckte Dirigent die Lider. „Man muss Türen öffnen, die immer schon da waren“, sagt er. Dafür müsse man vergessen, was man zu wissen glaubt – und tauchen.

Teodor Currentzis elektrisiert und polarisiert die Klassikwelt wie kein Zweiter. Der 1972 in Athen geborene und im russischen Perm arbeitende Dirigent stellt den Musikbetrieb leidenschaftlich auf den Kopf. Gewerkschaftlich geregelte Probenzeiten kennt er nicht, man verbringt ohnehin den ganzen Tag im Theater und die Nacht dazu. Akribisch und fordernd wird ausprobiert, stehend, weil sich die Artikulation, die Körpersprache, die Emotion für Currentzis so einfach stärker überträgt. Seine Orchesteraufstellung sei ebenso wenig ein Trick wie seine roten Schnürsenkel. „Ich ziehe mich normaler an als jeder andere Dirigent“, sagt er mit Hinweis auf seine fracktragenden Kollegen. „Ich versuche nur ehrlich zu sein mit dem, was ich mag.“

Sein Salzburger "Titus" kommt 2020 nach Berlin an die Deutsche Oper

Mozart stellt für ihn eine einsame geistige Größe dar, doch das hindert Currentzis nicht daran, „La Clemenza di Tito“ in Salzburg eine neue musikalische Struktur zu geben, mit Strichen und Einschüben aus Mozarts c-Moll-Messe. Diese hochemotionale Fassung in der Regie von Peter Sellars wird im Januar 2020 an die Deutsche Oper Berlin übernommen – allerdings ohne ihren musikalischen Schöpfer am Pult. Mit Mozarts „Requiem“ ist Currentzis am heutigen Donnerstag zum Musikfest in der Stadt. Die Partitur analysiert er seit Jahren Takt für Takt, zeitgenössische Komponisten hat er dazu eingeladen, dem unvollendeten Werk eine neue Gestalt zu geben. Und doch spielt er am liebsten die Fassung, die Mozarts Schüler Süßmayr erstellt hat. „Er war kein großer Komponist bei seinen eigenen Werken. Doch er war von Mozart gesegnet und hat mit dem Requiem etwas Einzigartiges geschaffen.“

Wann immer es möglich ist, versucht Currentzis mit Chor und Orchester zu reisen. „Diese Ensembles sind ein Organismus, gegründet innerhalb eines Tages“, lächelt der Chef, der dafür bekannt ist, auf Proben auch laut werden zu können. Das Berliner Programm beginnt mit A-cappella-Musik von Hildegard von Bingen, Tallis, Purcell, Schnittke und Ligeti. Mozart öffnet sich in seinen geistlichen Werken der Alten Musik, Currentzis blickt zurück und nach vorne. Wenn es darum geht, mystische Schriften hörbar zu machen, kann eine Zeremonie besser geeignet sein als ein normales Konzertprogramm. „Man muss schauen, welcher Kanal geöffnet werden muss, um die Energie zu erleben.“

"Berühmt zu werden, ist gefährlich", sagt Currentzis

Von der roten Chaiselongue, an deren Kopfende der Interviewer saß wie Siegmund Freud, muss Currentzis Abschied nehmen, John Eliot Gardiner will seine Garderobe beziehen. Beim Spaziergang durch Salzburg wird der junge Dirigent viel gegrüßt. Eine ältere Dame mit Hund erklärt, wie sie ihm erst nicht trauen wollte, dann aber gesehen habe, wie er seine Musiker im Konzert leitet. „Sie sind ein großer Künstler“, ruft sie und bittet um ein Foto. Currentzis hält still.

„Berühmt zu werden, ist gefährlich“, sagt er beim Weitergehen. „Du musst immer wieder deine Statue zerstören, um lebendig zu bleiben.“ Wenn Currentzis mit seinen Musikern aus Perm in Moskau gastiert, ist der Saal dicht umlagert. Und es kommen auch Menschen, weil es schick ist, den wilden Griechen zu hören. „Denen bringe ich als Nächstes Lachenmanns ,Mädchen mit den Schwefelhölzern‘ mit.“ In Perm hingegen lebe die pure Begeisterung. Das Haus stehe immer offen, bei allen Proben. „Das Publikum lernt mit den Musikern zusammen die Werke kennen.“ Currentzis’ Vision einer großen Klassikverschwörung.

2018 wird er eine Mission in Deutschland übernehmen, er tritt an die Spitze des fusionierten SWR-Symphonieorchesters. Mit den Musikern eine neue Identität zu erarbeiten, sich von der Vergangenheit zu lösen und wieder neu und tief zu tauchen, das hat ihn gereizt. Nach Workshops mit den Musikerinnen und Musikern hat er zugesagt. Der Sauerstoff beim Gehen und die Aussicht, künftig am Ural und in Stuttgart und mit seinen Ensembles überall zu arbeiten, lässt Currentzis’ Augen leuchten. „Wir werden einen neuen Geist in die deutsche Orchesterlandschaft bringen.“ Sätze wie diese machen ihn für manche zum Scharlatan – für immer mehr Klassikhörer aber zu einem Idol.

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