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His masters voice: Bob Dylan
© dpa

Bob Dylan wird 75: Der Archivar Amerikas

Tradition und Trotz: Bob Dylan wird 75 und legt mit "Fallen Angels" ein neues Album vor – mit Sinatra-Songs.

Weil gerade Wahlkampf ist in den USA: Lyndon B. Johnson war Präsident, als es passierte. Vor 50 Jahren, am 16. Mai 1966, erschien das erste Doppelalbum der Rockgeschichte, Bob Dylans „Blonde On Blonde“. Der Musikkritiker Neil McCormick hat es als „ungeheure Explosion von Sprache und Klang“ bezeichnet. Zartheit und Aggressivität der Dylan’schen Lyrik rauschen in einen musikalischen Fluss, der gern mit Quecksilber verglichen wird. Seine hellwache Stimme verspritzt Gift, klagt, droht, triumphiert und schaukelt elegisch durch unerhört lange Balladen – „Visions of Johanna“ dauert siebeneinhalb, „Sad Eyed Lady Of The Lowlands“ elfeinhalb Minuten.

Bob Dylan hat das Intellektuelle, Literarische in die populäre Musik gebracht, ihr Zeitmaß und ihre Bildersprache verändert. Es war eine notwendige Korrektur, so wie Picasso und die Kubisten Anfang des 20. Jahrhunderts das neue Bild der Welt einfingen. „Gott tippte ihm nicht auf die Schulter, Gott trat ihn in den Hintern“. So beschrieb Dylans Produzent Bob Johnston das Wunder.

Die Welt hat seine Songs und wäre ohne sie ärmer

Vor 75 Jahren, am 24. Mai 1941, wurde Robert Allen Zimmerman in Duluth geboren, hoch im Norden der USA, an der kanadischen Grenze. Seine Wurzeln sind deutsch, jüdisch und ukrainisch. Um 1900 soll die Familie aus Odessa in die USA gekommen sein. Woher der spätere Künstlername stammt, ist unklar, ebenso wie die Herkunft des Albumtitels „Blonde On Blonde“ und die Gründe für sein jahrelanges Abtauchen in den späten Sechzigern. Dylan erinnert an Shakespeare, er hält sich hinter häufig wechselnden Masken versteckt.

Die Welt hat seine Songs und wäre ohne sie ärmer, aber den Menschen Zimmerman/Dylan kennt sie nicht. In Sam Peckinpahs Western „Pat Garrett and Billy the Kid“, für den er die Musik schrieb („Knockin’ On Heaven’s Door“), spielt er einen linkischen Typen namens Alias. Seit Jahren produziert er seine Alben unter dem Pseudonym Jack Frost.

„It Ain’t Me, Babe“, „I’m Not There“, ganz genau. In Martin Scorseses Dokumentation „No Direction Home“ (2005) hat er einmal ausführlich über seine Kunst gesprochen, uneitel, ruhig und distanziert wie über einen anderen. Es ist eben auch nur ein Klischee, eine Verkleidung: dass er nicht zu fassen sei. Dass alles, was über ihn gesagt und geschrieben wird, „Idiot Wind“ sei, wie eines seiner profunden Hasslieder heißt. Jetzt wird er ein Dreivierteljahrhundert alt, spielt weiter auf seiner Ewigkeitstournee, und die Nebel haben sich gelichtet.

Man muss sich Bob Dylan als akribischen Sammler vorstellen

Im März erwarb eine Privatstiftung in Oklahoma Bob Dylans umfangreiches und fein sortiertes Privatarchiv. Manuskripte, Briefe, Notizbücher, 6000 Dokumente aus einer Zeitspanne von über 50 Jahren. Der Preis soll bei 15 bis 20 Millionen Dollar liegen. Zwei Jahre wird die Katalogisierung und Digitalisierung in Anspruch nehmen, dann soll das Material in Tulsa ausgestellt werden, wo sich ein seltenes Exemplar der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und der Nachlass von Woody Guthrie befinden.

Man muss sich Bob Dylan als akribischen Sammler vorstellen, von Anfang an. Sein Sammelgebiet: Americana und er selbst. Der 2004 veröffentlichte erste Band der Autobiografie „Chronicles“ verblüfft mit seinem lexikalischen Gedächtnis. Von 2006 bis 2009 moderierte er beim Satellitensender XM die „Theme Time Radio Hour“, 100 Folgen mit Themen wie Baseball, Alt und Jung, Träume, Narren, Schuhe, Frühjahrsputz, Kalifornien; ein Querschnitt durch die Alltagskultur der USA mit Dylans ironisch-kundigen Kommentaren.

Schon „Blowin’ In The Wind“ geht auf einen Gospelsong zurück.

Schon „Blowin’ In The Wind“, das am Anfang seiner Karriere steht und ihm das ungeliebte Image des Protestsängers einbrachte, geht auf einen Gospelsong zurück. Gegen politische Vereinnahmung hat er sich aber heftig gewehrt, sich allen erdrückenden Umarmungen entzogen. Vielleicht wurde er ja auch gerade deshalb zur „Stimme seiner Generation“. Er sah aus einer gewissen Entfernung, was da los war. Wer mitten im Getümmel steckt, kann nicht gut beobachten.

Ihr habt keine Kontrolle mehr über eure Söhne und Töchter, die alte Ordnung ist dahin, bitte geht aus dem Weg. Das war Dylans Ansage in „The Times They Are A-Changin’“. „Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine“, heißt es im Gedicht „Es wechseln die Zeiten“ von Bertolt Brecht, den er oft benutzte.

Dylan holte sich früh seine Inspiration bei Woody Guthrie, beim Blues in seinen traditionellen Spielarten des Südens. Er ist im tiefsten Grund ein Traditionalist. Nachdem er 1965 die Folkgemeinde mit seinem elektrischen Furor erschüttert hatte, zog er sich mit den fabelhaften Musikern von The Band aufs Land zurück. Die „Basement Tapes“ entstanden dort, Dutzende Songs aus dem reichen Schatz und Bodensatz Amerikas, die von Outlaws, Freaks, armen Schweinen und irren Begebenheiten erzählen, abgemischt mit Dylans surrealem Humor.

"Fallen Angels“ enthält Verbeugungen vor Frank Sinatra und dem überreichen amerikanischen Liedgut

Depressionszeit, Provinz, religiöser Wahn, Gewalt und Albträume, all das irrlichtert in den Aufnahmen aus dem Landhauskeller, die „das alte, unheimliche Amerika“ dokumentieren, wie Greil Marcus in seinem Buch über Dylan und The Band schreibt. Dylan hat wie viele Amerikaner eine Leidenschaft für Genealogie. Er lebt sie musikalisch aus, gern auch ohne Rücksicht auf seine Fans.

Irritieren kann er nach wie vor. Sein neues Werk „Fallen Angels“ (Sony Music) bringt, wie der Vorgänger „Shadows In The Night“, keine eigenen Kompositionen, sondern Verbeugungen vor Frank Sinatra und dem überreichen amerikanischen Liedgut. Er hat es also wieder getan, der singende Archivar, und sich zwölf Crooner-Nummern vorgenommen, von „Young at Heart“ über „Polka Dots and Mooobeams“ und „All Or Nothing At All“ zu „Come Rain Or Come Shine“.

Das Material reicht bis in die vierziger Jahre zurück, und natürlich klingt es hier nicht wie Frank Sinatra und Big Band: Bob Dylan spielt mit seinen Tour-Musikern einen gepflegten SchrammelSchrummel-Stil, man kennt es aus den Konzerten. Die Stimme scheint einer Schellack-Platte entsprungen zu sein, ein melancholischer Sonnenuntergang nach dem anderen, viele letzte Tänze, und viele werden auch noch kommen, wie bei Woody Allen, der sich seit Langem schon in das Filmerbe und die Genres vertieft.

Bob Dylan ist einer der großen Propheten der Pop-Welt

Zupf und rupf, Swing und Pling. Alte Liebe wäre keine, wenn sie nicht auch ein wenig Rost angesetzt hätte. Ein Klotz, wen das nicht rührt. Aber dann hat man das neue Album auch bald wieder beiseitegelegt und greift zu früheren Werken. Das hat bei Dylan ja früh angefangen. Das Spätwerk. Mit „Time Out Of Mind“, 1997.

Heger und Sammler, Wortjongleur wie kein Zweiter im Pop. Der Germanist Heinrich Detering, Dylan-Fan seit Göttinger Studententagen, hat in diesem Frühjahr ein Buch darüber herausgebracht: „Die Stimmen aus der Unterwelt. Bob Dylans Mysterienspiele“ (Verlag C. H. Beck). Detering untersucht Dylans Songwelt und legt ein Gewirr von Spuren frei, die zu Ovid und Shakespeare, Petrarca und Homer führen. Christopher Ricks hat bereits 2003 in seinem Buch „Dylan’s Visions of Sins“ Einflüsse von Catull, D. H. Lawrence, James Joyce, John Keats etc. nachgewiesen. Die Bibel schlägt auch heftig durch. Es sind so viele literarische Quellen, aus denen er schöpft, so diverse auch, dass noch Generationen von Doktoranden ihre Freude daran haben werden.

Heger und Sammler, Wortjongleur wie kein Zweiter im Pop

„Petrarca und Sinatra, Allianzen voller Dramatik und Komik, Travestie und Tragödie, Diebstahl und Liebe“, findet Detektiv Detering. Dylan sampelt bis zur Unkenntlichkeit literarische Bilder, Wendungen und Filmzitate. Ist es das, was ihn so einzigartig macht, die unglaublich breite Bildung, das Wissen um den Kern der Sprache und ihre Beziehung zu den Tönen? Dass der Dichter vom Ursprung her ein Sänger war und der Sänger ein Dichter, ein Fahrender, ein wandelndes Archiv von Stories, Melodien, Mythen, daran erinnert Bob Dylan. Und das ist er, wie er leibt und webt. Mehr muss er nicht preisgeben von sich selbst als die unzählbaren Songs, die er in sich aufgenommen und umgewandelt hat.

Sein Wissen umfasst die Größe des Landes, in dem er vor 75 Jahren geboren wurde. Vermutlich ist der Fundus der Pop-Kultur größer als jeder andere zivilisatorische Vorrat. Pop ist ein Speicher wie keiner zuvor, und Bob Dylan ist einer der großen Propheten der Pop-Welt, ein unermüdlich praktizierender zumal. Damit verändert sich die Wahrnehmung, denn, wie Detering feststellt, „mit den Grenzen der Epochen und Kulturen verschwimmen auch diejenigen von Bildungs- und Populärkultur.“ Verschwimmen, gewiss. Treffender wäre, dass die Grenzen verschwinden.

Eines seiner weniger bekannten Alben aus den frühen Siebzigern heißt „Planet Waves“, ein Strauß wärmender Liebeslieder, Erinnerungen an das eiskalte Minnesota seiner Kindheit. Ein Song ist in zwei Versionen aufgenommen, in einer sanfteren und einer härteren Gangart. Den legen wir zum 75. Geburtstag auf: „Forever Young“. Oder doch noch mal ein Versuch mit „Young At Heart“?

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