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Der Westen grüßt. Bob Dylan auf Sommer-Tour 2012. Foto: AFP
© AFP

Das neue Album von Bob Dylan: Es singt für uns die Titanic

Stürme im Whiskyglas: Bob Dylan erzählt auf seinem neuen Album „Tempest“ von Liebe, Mord und anderen Untergängen. Er ist wieder gut in Form.

Die Mystiker, Verschwörungstheoretiker und Analytiker haben wieder hingelangt. Bob Dylans 35. Studioalbum, „Tempest“ betitelt, sei eine Referenz an William Shakespeares letztes Stück, den „Sturm“ also, in dem der Zauberer Prospero sein Inselexil verlässt, seinem dienstbaren Luftgeist Ariel die Freiheit schenkt und auf der ganzen Linie abdankt. So war’s zu lesen. Und so, finita la commedia, könnten hier nun fünfzig Dylan-Jahre an ihr künstlerisches Ende kommen und His Bobness zöge sich womöglich an einen Ort zurück, „wo jeder dritter Gedanke mein Grab sein soll“, wie Prosperos Schlusswort in der Übersetzung von Christoph Martin Wieland lautet. Andere Exegeten graben eifrig nach Dylans religiösen Botschaften und biblischen Anspielungen und Bildern, die allerdings seit Adam und Eva, Joan Baez und Woody Guthrie sein Werk durchglühen. Und im Netz kursierte ein Video, das Dylan in der Pose eines großstädtischen Kleingangsters zeigt – das hat er wieder einmal wunderbar hinbekommen. Niemand weiß gar nichts, und die Widersprüche schießen in den Himmel.

Nun war die Zeit des Wartens auf ein neues Dylan-Album immer schon eine Lotterie. Wenn ein Künstler eine Ware ist, dann gab es bei diesem inzwischen 71-Jährigen stets eine eingeplante Produktüberraschung. Als wollte er sagen: So leicht kriegt ihr mich nicht. Müsste Bob Dylan ein Tier sein, dann käme nur das Chamäleon infrage; so ein kleiner, flinker, scheuer Saurier. Kommt man zu nahe, ist er weg.

Jeder hört aus Dylan das heraus und hinein, was er hören will. Unbestritten aber hat sich im vergangenen Jahr die raue, manchmal brüchige Stimme stabilisiert, in einer durchaus nicht unangenehmen mittleren Lage. Das war bei den Sommerkonzerten festzustellen: Die Phrasierung sitzt, die gequälten Manierismen sind passé, das Storytelling hat zu alter Kraft und Klarheit zurückgefunden.

Davon zeugt „Tempest“, Song für Song. Nichts von Abschiedsmelodie, keine Spur von Resignation eines Sängers, Dichters, Komponisten, der auch im Studio mit seinen Tourmusikern locker auftrumpft. „Tempest“-Produzent Jack Frost ist ebenfalls ein alter Bekannter: Dylan selbst. Mag es auch seltsam klingen: „Tempest“ ist ein sehr amerikanisches Opus, auch insofern, als Dylan sich selbst zitiert, die langen Balladen, Moritaten, die emblematischen Hard-Luck-Stories, die er schon in den frühen sechziger Jahren vorgetragen hat. Damals noch in einem anklägerischen Ton, dem man aber nie wirklich trauen konnte. Das Engagierte war dem politisierenden Zeitgeist geschuldet, von dem sich Dylan dann rasch verabschiedet hat.

Er ist lange schon ein Beobachter, ein Unbeteiligter mit einer Vorliebe für Erdbeben („Black Diamond Bay“, vom „Desire“-Album) und einer Neigung zu ausführlichen Eifersuchtsdramen, crimes of passion („Lily, Rosemary and the Jack of Hearts“, von „Blood on the Tracks“). Die Blutspur zieht sich seit den siebziger Jahren durch – bis hin zu „Tin Angel“ auf dem neuen Album, wo es zu einem gnadenlosen Showdown mit drei Toten kommt. Dylan berichtet ungerührt, ein Songwriter, der die vermischten Meldungen der Zeitung ausspinnt.

Die zehn Songs auf „Tempest“ führen vor allem eines vor: Dylan denkt und dichtet in Kinobildern. Kaum dass der erste Song „Duquesne Whistle“ anhebt, mit leiernd-singender Gitarre und Schrammel-Schrammel, sieht man eine Geisterstadt vor sich. Diese Kulisse materialisiert sich großartiger und gespenstischer noch in „Scarlet Town“. Irgendwo im Südwesten liegen diese staubigen Orte, wo verlassene, einsame Typen herumhocken und saufen und nach der Liebe suchen oder nach magischen Worten, um die Geliebte, die Verlorene zurückzukomplimentieren. „I’ m searching for phrases/to sing your praises“, haucht er in dem zarten Melodram „Soon After Midnight“.

Hollywood neigt bei Spätwestern zu exzessiver Brutalität und einer schwer elegischen Grundstimmung. Dylan nimmt das Genre leichter. Die Band swingt, federt, trabt, und der Chronist der kaputten Leidenschaften tritt ein in ein Schlafzimmer, das Edward Hopper gemalt haben könnte. Dort sinnt ein Mann – neben ihm im Bett schläft seine Frau – über die „Long and Wasted Years“ nach.

Das tut dann doch weh, wie Dylan die emotionale Kernschmelze zelebriert, da spricht ein geprüftes Ich. Die Musik bewegt sich in konzentrischen Kreisen, keine Entwicklung mehr in dieser Ehe. Dylan rezitiert mit entwaffnendem Zynismus, „so much for tears“. Es ist – vielleicht – das beste Stück auf „Tempest“, wo viel gestorben wird, aber so ist das im Kino und im Leben. Wo Liebende sich treffen, sich verfehlen, wo die Liebe hinfällt und nicht wieder aufsteht, da ist Dylan zu Hause. Das teilt er mit Heinrich Heine: auch er ein politischer Dichter, dessen schönste Reime Herzschmerz auffangen.

„Tempest“ ist aber gar nicht so dunkel, wie es scheint. Und schon gar nicht apokalyptisch. Weltuntergänge, Dritte Weltkriege, Napalm-Regen, Armageddon, das hatten wir bei Dylan alles schon. Das ist im Grunde Standard. Und jetzt das:

„The pale moon rose in its glory

Out o’er the western town

She told a sad, sad story

Of the great ship that went down“

So hebt der Titelsong an, „Tempest“. Mit Saloonfiedel und Gitarrenwalzer, und dann zieht er uns hinein in eine alte, lange, schreckliche Geschichte. Was sich da lapidar ankündigt, ist der Untergang der Titanic. Dylan pinselt die ganze große Szenerie fein aus, die Passagiere, die Mannschaft, das Meer. Er singt von einem Maler namens Leo, und jetzt merkt man, dass er James Camerons „Titanic“ nachträumt, einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten, mit Leonardo DiCaprio. Beinahe wie ein Kinderlied lässt sich die 14-minütige Ballade an, und so ist es ja auch: eine beruhigende Erzählung von einem Unglück, das hundert Jahre und tausende Kilometer entfernt sich abgespielt hat und schon nicht mehr wahr ist. Oder wahr ist, weil Dylan davon singt. Weil die Titanic immer wieder sinkt, auf der Leinwand, im Fernsehen. Dieses „Tempest“-Lied ist so schön, so sanft geschaukelt, dass man schon von Altersmilde bei Bob Dylan sprechen kann. Das kommt auch beim letzten Track heraus, „Roll on John“, eine stille Hommage an John Lennon, den Dylan ehrfürchtig zitiert: „I heard the news today oh boy ...“.

So frech wie das „Tempest“-Album auffrischt, so getragen schließt es ab. Es ist eine gute, nachhallende Platte, facettenreich und, ja, unterhaltsam. Es gibt in Dylans Westen nicht viel Neues, aber davon doch deutlich mehr als auf den beiden vorigen Alben „Modern Times“ und „Together Through Life“; die wirkten alles in allem etwas desorientiert. Daher wird man die Sturmwarnung ausgeben müssen: Achtung, da kommt noch was. Der hat noch lange nicht genug.

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