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Jury-Präsident Jeremy Irons (rechts) mit den Berlinale-Chefs und Moderator Samuel Finzi.
© REUTERS/Annegret Hilse

Filmfestspiele starten mit Schweigeminute: Der Anschlag in Hanau überschattet die Berlinale-Eröffnung

Die 70. Berlinale ist eröffnet, aber zum Feiern war niemanden zumute. Festivalleitung und Politiker riefen zum Kampf gegen Rassismus auf.

Es kommt nicht eben häufig, ja eigentlich gar nicht vor, dass die bei einer Berlinale-Eröffnung obligatorischen Politikerreden lautstarken Beifall auslösen. Man nickt zustimmend oder auch nicht, klatscht pflichtschuldig oder nur höflich und hofft, dass der nächste Programmpunkt unterhaltsamer wird.

Doch nichts von dem an diesem Donnerstagabend im Berlinale-Palast zum Start der 70. Internationalen Filmfestspiele. Nicht an dem Tag nach Hanau, dem schlimmsten rassistisch motivierten Anschlag in Deutschland seit Jahrzehnten. 70 Jahre, schön und gut, aber wäre die Berlinale eine Diva, ihr wäre wohl heute nicht zum Feiern zumute, da hatte Kulturstaatsministerin Monika Grütters ganz recht.

Nicht nach dem Bekanntwerden der nationalsozialistischen Vergangenheit des Gründungspräsidenten Alfred Bauer, während doch die Festspiele für künstlerische Freiheit, Weltoffenheit, Toleranz stünden. Und jetzt der Anschlag, für Grütters Anlass zur einem politischen, schon vorher hochaktuellem Bekenntnis: „Niemals darf es eine Zusammenarbeit mit diesen rassistischen und völkischen Kräften geben.“

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Beifall rauscht auf, und es hält das Publikum nicht mehr auf seinen Sitzen. Standing Ovations für die Freiheit, so ist die Eröffnung doch noch zu einer Geburtstagsfeier für das Festival geworden, ein Bekenntnis zu den Werten, für die es stets gestanden hat.

Recht lustig fing die Gala an

Recht lustig fing es an, man hatte sich viel Mühe gegeben, die neue Ära unter dem Führungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian schon in der Eröffnungszeremonie spüren zu lassen. Also gleich zu Beginn ein Filmchen mit dem neuen Moderator Samuel Finzi als Hauptperson, wie er im Schlaf von einem Anruf und dem unverhofften Angebot der Moderation geweckt wird, erst nicht will, dann doch zusagt.

Plötzlich ist er gezeichnet durch ein weißes M auf der Schulter, M wie Moderator, beginnt durch Berlin zu hetzen, als stehe der Premierenauftritt unmittelbar bevor, mit E-Roller, U-Bahn, sogar durch die Garderobe des „Magic Mike“-Ensembles Gebäude der aktuellen Feier geht es, bis er tatsächlich auf der Bühne steht – und zu reden beginnt. Das tut er ziemlich lange, schon witzig, aber jeder Monolog sollte mal ein Ende finden, und das tut er diesmal erst zu spät.

Ein Zwischenruf fordert eine Schweigeminute

Auch Finzi spielt auf Hanau an, weist auf seinen „so genannten Migrationshintergrund“ hin, berichtet von seine Kino- Sozialisation in Sofia, schildert seine Qualen und Selbstzweifel über das M auf seiner Schulter, steigert sich – Peter Lorre in „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ hat es ihm vorgemacht – in eine Raserei der inneren Zerrissenheit. Ja, das ist schon sehr lustig, wenn man Fritz Langs Original kennt, und dass kennen sicher sehr viele hier im Saal.

Moderator Samuel Finzi bei der Eröffnungsgala.
Moderator Samuel Finzi bei der Eröffnungsgala.
© Tobias SCHWARZ / AFP

Aber es reicht dann doch irgendwann, eine weiblicher Zwischenruf – „Schweigeminute für Hanau“ – unterbricht Samuel Finzi nur kurz. „Kommt noch“, antwortet er kurz, fährt dann fort, ist aber auch bald am Ende angelangt.

Man habe sich diesen Abend anders vorgestellt

Erst jetzt kommen Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian auf die Bühne, man habe sich diesen Abend anders vorgestellt, sagt sie und bittet das Publikum, sich für einen Schweigeminute zu erheben. Nur gelegentliches Kameraklicken unterbricht die nun folgende Stille.

Auch im weiteren Verlauf des Abends wird die Bluttat von Hanau immer wieder angesprochen, manchmal werde eben das Kino von der Realität überholt, wie Rissenbeek es beschreibt. Auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller wird ungewohnt emotional, beschwört wie vor ihm Monika Grütters, dass es keine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten geben dürfe, kritisiert die AfD, berichtet von der spontanen Mahnwache am Brandenburger Tor, wird dabei „ernster, als ich eigentlich wollte“. Aber manchmal geht es eben nicht anders.

Der Rest wie gewohnt: Ein Kurzdurchlauf der Wettbewerbsfilme, die erst filmische, dann leibhaftige Vorstellung der Jury mit Jeremy Irons, der als einziger in seinem Filmchen raucht – im Kino bekommt man das nur noch selten zusehen. Der Berliner Regen? In dem fühle er sich durchaus wohl, er kennt es ja aus seiner Heimat. Was ihn aber besonders freue: Als Brite hier noch immer empfangen zu werden.

Andreas Conrad

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