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Wahlkampf. Heinz Neumann, Abgeordneter der KPD, hält im September 1930 auf einer Mülltonne stehend eine Rede im Hof einer Weddinger Mietskaserne.
© picture alliance / ullstein bild

Krisenjahr 1930: Der Anfang vom Ende der Weimarer Republik

Drei Millionen Arbeitslose, Notverordnungen und Hitlers Triumph: 1930 war das Jahr, in dem die Weimarer Republik aufhörte, eine Demokratie zu sein.

Krise. Welche Krise? Im Register des „Weltbühnen“-Jahrgangs 1930 taucht der Begriff nicht auf. Stattdessen Stichworte wie „Proteste gegen die ,Dreigroschenoper‘ “, „Gandhi schreibt dem Vizekönig“, „George-Grosz-Prozess“, „Klage der Kölner Freudenmädchen“ oder „Youngplan“. 1930 ist das Jahr, in dem die Weimarer Republik aufhört, eine Demokratie zu sein. Aber die Zeitgenossen kriegen es nicht richtig mit, nicht einmal die Autoren der klügsten, intellektuell ambitioniertesten Zeitschrift der Ära.

Die Weltwirtschaftskrise, die im Schwarzen Donnerstag vom 24. Oktober 1929 kulminierte, dem Bankencrash an der New Yorker Börse, erschüttert die junge deutsche Republik. Anfang 1930 gibt es zwei Millionen Arbeitslose, am Ende des Jahres werden es über drei Millionen sein. Bei den Reichstagswahlen im September wird der letzte SPD-Reichskanzler Hermann Müller abgewählt. Sein Nachfolger, der Zentrums-Politiker Heinrich Brüning, stützt sich mit seinem Minderheitskabinett auf die Notverordnungen des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, eines greisen Kriegshelden, der den Parlamentarismus verachtet. Die NSDAP, bis dahin eine Splitterpartei, kann die Zahl ihrer Sitze nahezu verneunfachen. Mit 107 Abgeordneten stellt sie die zweitstärkste Fraktion, hinter der SPD und vor der KPD.

„Der fünfte Reichstag der Republik ist das erbärmlichste Parlament, das jemals irgendwo zusammengewählt worden ist“, schreibt Carl von Ossietzky zwei Tage nach den Wahlen in der „Weltbühne“. „Die Demokratie verschwindet. Der Aufstieg in die Stratosphäre beginnt. (...) Das deutsche Bürgertum hat für seine Entrechtung und Erniedrigung, für den Faschismus Adolf Hitlers optiert.“ Allerdings sieht der linke, pazifistische Publizist in Hitler zu diesem Zeitpunkt noch eine Kopie des italienischen Diktators Mussolini, einen „halbverrückten Schlawiner, der Deutschland vor der ganzen Welt blamiert“. Die „wirkliche Diktaturgefahr“ geht für ihn von Brüning aus.

Weimar war die „Republik ohne Republikaner“

Brüning, ein konservativer Katholik aus Münster, setzt auf striktes Sparen, um die Bedingungen des in Paris ausgehandelten Youngplans zu erfüllen. Dafür muss er die weiterhin hohen Reparationsforderungen der Alliierten bedienen und gleichzeitig die Währung stabilisieren. Ein ökonomischer Teufelskreis, der die Schlangen vor den Arbeitsämtern und Armenspeisungen nur noch länger werden lässt. Doch zum Diktator schwingt Brüning sich nicht auf, erst seine Nachfolger Franz von Papen und Kurt von Schleicher sind die Totengräber der Demokratie.

Im Rückblick wird Weimar gerne als „Republik ohne Republikaner“ bezeichnet, als Staat, der untergehen musste, weil seine Bürger nicht für ihn kämpfen wollten. Mit den Folgen des verlorenen Weltkriegs ist das Land von Anfang an nicht fertig geworden, nun zerbröselt die Freiheit zwischen den politischen Extremen. Allerdings erkennen Intellektuelle wie Carl Einstein, Walter Benjamin oder Carl von Ossietzky noch nicht den Ernst der Lage. Sie unterschätzen die Nationalsozialisten. Vielleicht sind sie auch zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt.

Im Kino läuft „Menschen am Sonntag“, „L’Age d’Or“ und „Der blaue Engel“, der Marlene Dietrich zum Star machte. Im Berliner Theater am Schiffbauerdamm ist Brechts „Dreigroschenoper“ zu sehen, im Yankee Stadium von New York gewinnt Max Schmeling gegen Jack Sharkey den Titel des Schwergewichtsboxweltmeisters. Der Kampf wird im Radio übertragen, der Schiedsrichter erklärt Schmeling nach einem regelwidrigen Tiefschlag seines Gegners zum Sieger. Die Welt taumelt.

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