Wolfram Kochs Super-Solo an der Vollsbühne: Dein Wurm in Gottes Ohr
Slapstick mit sieben Siegeln: Herbert Fritsch inszeniert an der Volksbühne die „Apokalypse“ mit Wolfram Koch
Auf der griechischen Insel Patmos soll Johannes die Offenbarung empfangen haben. Man kann die Grotte besichtigen, in der es geschah, einen kleinen, dunklen, mit Ikonen geschmückten Raum, in dem sich Touristen und Wallfahrtsgruppen drängen. Vollkommen entrückt und verrückt, was da über den Seher gekommen ist: Der Text sprüht vor Geisterkraft und Geheimnis, Gewalt und Zahlenmystik, ein brachiales Mantra, ohne Drogen, Folter oder radikale Askese nicht denkbar.
Ist der Johannes der Apokalypse identisch mit dem Johannes, der das Evangelium schrieb? Hier öffnen sich die Türen für Fantasy und Spekulation à la Dan Brown. In welcher Beziehung stehen Lazarus, Jesus und Johannes und Maria Magdalena zueinander, und warum nennt Johannes immerzu seinen Namen in dem „Buch mit sieben Siegeln“? Weltuntergang, Jüngstes Gericht, die Hure Babylon, das Neue Jerusalem, alles drin.
Und hier kommt Wolfram Koch. Mit diesem Textmonster, in der Übersetzung Martin Luthers. Starkes Deutsch. Ein Schauspieler allein auf der riesigen Volksbühne. Nicht ganz: Ihm folgt wie ein schüchterner Schatten durch die gut anderthalb Stunden Elisabeth Zumpe, als Souffleuse spricht sie Koch die Worte vor und nach, ein genial-pragmatischer Einfall; es gab in der Höhle ja auch den Schüler Prochoros, dem diktierte Johannes die Offenbarung. Ingo Günther dagegen bleibt auf Distanz. Die dritte Person auf der Bühne macht die Musik, den Engels- und Posaunenchor, Sphärenklänge, erzeugt mit einem kleinen Tablet-Computer. Seiner Körperhaltung nach zu urteilen, ist ihm die apokalyptische Tour unheimlich oder auch ein bisschen peinlich.
Teufel und Entertainer
Das himmlische Theater durchschaut niemand, nicht einmal die Theologen. Deshalb wurde von den Griechen das irdische Theater erfunden, um die Götter zu erforschen und natürlich auch, um Späße über sie machen. Wolfram Koch in seinem gelben Anzug gibt den Entertainer. Den Woody Allen. Den Tartuffe. Den Teufel. Den Sportreporter und Kommentator der Engelsmannschaften – der vielköpfigen Ungeheuer, die mit der Erde und den Menschen spielen wie mit einem Ball. Johannes hat viele Jobs. Ansager, Einpeitscher, schmieriger Prediger. Mit der Sprache, mit Leib und Seele ist er Akrobat.
Herbert Fritsch setzt in dieser Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen den apokalyptischen Reiter spektakulär in Szene, mit Anklängen an die Fritsch-Hits „Murmel, murmel“ (die Souffleuse) und „der die mann“ – die große Showtreppe, „Stairway to Heaven“. Sie schwebt von oben ein und senkt sich, passgenau und zum Entsetzen des aufgedrehten Solisten, in das viereckige Loch im Boden. Zur Hölle, Johannes. Eine Himmelfahrt kriegt er auch, entschwebt am Seil und ist minutenlang in luftigen Höhen verschwunden. Gott bleibt backstage.
Spiellust, Anarchie, Slapstick, Intelligenz, das tut gut in diesen Tagen der Volksbühnenkämpfe. Fritsch zeigt etwas, das gerade jetzt so wichtig ist – die Einmaligkeit des Raums. Der Regisseur und Bühnenbildner, der hier als Schauspieler lange ein herausragender Protagonist gewesen ist, geht mit den Dimensionen der Volksbühne auf souveräne, brillante Weise um.
Kochs biblischer Amoklauf geschieht vor malerisch-dramatischen Horizonten. Fritsch und Koch beherrschen, ähnlich wie René Pollesch und Fabian Hinrichs, mit kleinstem Personal und klug kalkulierten Mitteln die Arena. Was immer der Castorf-Nachfolger Chris Dercon vorhat, ohne Fritsch und Pollesch und ihre erfahrenen Schauspieler gibt es eine Implosion. Oder Apokalypse.
Aber zurück zur Kunst. Zu Koch und Luther. Der Schauspieler kaut das alte, kernige Deutsch wie eine heiße Kartoffel. Die Worte fallen ihm aus dem Mund. Die Zunge macht sich selbstständig, der Anzug rebelliert. Mal wölbt und spreizt und gluckst es wie bei Ernst Jandl, mal geht es ab wie eine wilde Rede aus Goethes „Faust“. Konsonanten kämpfen mit Vokalen, Wörter berauschen sich aneinander, Sätze fliegen durch die Luft wie Pfeile. Oder Sahnetorten: Wann und wie tödlicher Ernst, religiöse Verzückung, Drohungen und Prophezeiungen umschlagen in Gekicher und Dada-Ekstase, ist kaum zu sagen. Das muss man sehen und: „Wer Ohren hat, der höre“. So lautet das Mantra des Johannes, der gern an die Rampe stürmt und sich bei der Flucht seitwärts, am Bühnenportal, die Nase platthaut.
Im Propheten steckt der Clown. Koch genießt den Sturz ins tiefe Loch und die Auferstehung im buntgescheckten Harlekin-Body, eng anliegend. Jetzt klingen die Berichte von den Aktionen der Engel noch bedrohlicher, sind das Terroristen? Was soll die Hasspredigt auf das sündige Babylon, das vernichtet werden muss, und wer will leben in einem strahlenden, gesäuberten „Jerusalem“?
Trotz Komik und Klamauk: Die finstere Seite dieses Glaubensexzesses ist unübersehbar. Strafende Engel, Feuer und Schwert, massenhaft Tote – und das Lamm (Koch spricht zwanghaft vom Lamm-b, mit pronociertem B) soll diesen Wahnsinn stoppen? Die Offenbarung des Johannes erfreut sich unter Sektierern und christlichen Spinnern großer Beliebtheit. Es ist eine Gefahr für die Menschheit, wenn religiöse Texte auf sture und sterile Weise wörtlich genommen werden. Das Theater bietet dafür einen wunderbaren, sicheren Echoraum. Als wäre die „Apokalypse“ ein langer, böser Witz.
Und plötzlich steht Herbert Fritsch als Wolfram-Koch-Johannes-Double da und grinst. Schlusspointe eines tollen Abends zu Saisonschluss. Weitermachen!
Weitere Vorstellungen: 24. und 28. Juni sowie am 12. Juli.