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Der Geschäftsführer des Grips Theaters in Berlin, Volker Ludwig.
© Matthias Balk/dpa

Zum 80. von Volker Ludwig: Das Wunder vom Hansaplatz

Basisarbeit, Boulevard und ein weltberühmtes Stück Berlin: Grips-Gründer Volker Ludwig feiert 80. Geburtstag – und gibt die Leitung des Theaters zum Ende der Saison endgültig ab.

Große Helden des bundesrepublikanischen Theaters feiern ihren 80. Geburtstag. Bei Peter Stein ist es im Oktober so weit, Claus Peymann hat die Grenze zum neunten Lebensjahrzehnt soeben überschritten. Und viele sind nicht mehr unter uns. Das Seltsame an dieser Generation ist, dass sie alles erreicht hat – Macht in den Institutionen, materiellen Wohlstand, künstlerischen Ruhm und einen sicheren Platz in den Geschichtsbüchern. Was sie aber nie davon abhalten konnte, ungnädig zu sein bis zur Verbitterung. Es gibt da einen schweren Mangel, den sie vielleicht selbst erkennen. Diese bedeutenden Intendanten und Regisseure haben so gut wie keinen Nachwuchs geformt. Es sind aussterbende Dinosaurier, Meister der Überhebung.

Bei Volker Ludwig, der an diesem Dienstag  80 Jahre alt wird, verhält sich das anders. Er ist in der Welt des Theaters, und das heißt wirklich: in der Welt, eine Berühmtheit. Er ist immer dem Theater treu geblieben, das er 1969 gegründet hat. Er wird auch fuchsteufelswild, wenn er sich übersehen fühlt, aber das hat andere Gründe als die branchenübliche Eitelkeit. Volker Ludwig macht Theater für Kinder und Jugendliche, in erster Linie jedenfalls; ältere Kinder finden seine Stücke auch toll. Aber nie ist ein Jahr vergangen, in dem er nicht für sein Grips, für das Kinder- und Jugendtheater gekämpft hätte – um seine Anerkennung nicht nur als pädagogische Maßnahme, sondern als vollgültige Kunst. Daran hängt in unserem System die Finanzierung. Auch deshalb hat sich Ludwig bis jetzt nicht aus der Leitung des Theaters zurückziehen können oder wollen. Er sah sich als Lebensversicherung des Hauses, das sein Lebenswerk ist. Und schon einmal ist das Loslassen gescheitert.

Nun soll es doch sein. Philipp Harpain, bisher schon künstlerischer Leiter des Grips, übernimmt die Geschäfte. Und Ludwig tritt nach 48 Jahren ab. Allerdings ist der Grips-Bau am Hansaplatz so verwinkelt, dass es irgendwo ein Hintertürchen für ihn geben wird.

"Linie 1" ist so universell, dass das Stück nicht mal eine U-Bahn braucht

Ein solcher Schritt fällt furchtbar schwer. Ludwig kann sich vor einer Premiere auch nie vom Text trennen, wann wird er je fertig! Oft hat er seine Stücke umgearbeitet, besonders die gute alte „Linie 1“, aber es half nichts. Sie ist ein Klassiker. Nach der Jungfernfahrt 1986 ging es auf Weltreise über die Kontinente. Nicht nur, dass die Grips-Truppe überall gastierte. Es gab in Europa, in Asien und Afrika Neuinszenierungen des Stücks. „Linie 1“ mal als Busfahrt, mal als Buschtaxi-Abenteuer. Die Liebesgeschichte in der U-Bahn ist so universell und unverwüstlich, dass sie auch ohne Untergrund auskommt. Es braucht nur Spielfreude, Musikalität, Witz, Verwandlungskunst. Grips eben.

In Seoul lief die „Linie 1“ viertausend Mal. Hierzulande ging mit der Verleihung des Mülheimer Dramatikerpreises 1987 an Volker Ludwig die Post ab. Das Staatsschauspiel Stuttgart inszenierte das West-Berliner Melodram mit einem jungen Schauspieler namens Herbert Fritsch. Der Intendant in Stuttgart hieß damals Ivan Nagel. Auch in Berlin haben sich Grips-Stücke als hervorragende Karrierestarter erwiesen, bei Axel Prahl zum Beispiel. Das macht den Grips-Vater stolz und beschert ihm einen Haufen Arbeit; immer wieder Umbesetzungen, Talentsuche, alles von vorn. Grips bildet aus.

Lange vor dem Grips war er Kabarettist und davor auch Schlagertexter. Anders als die Genossen vom Großschauspiel hat Ludwig durchgehend für sein Publikum gearbeitet und an ihm. Linkes Kabarett, das läuft sich irgendwann mal tot. Ludwig ist keiner von den Weltverbesserern, die nachher so arrogant und autoritär wie ihre verhassten Väter werden. Er hat sein eigenes und sehr anspruchsvolles Publikum erfunden. Das andere nie wirklich beachtet hatten. Die Vierzehnjährigen, die Zehnjährigen, die Vierjährigen. Vor dem Grips gab es für sie nur das Weihnachtsmärchen.

Berlin hat Welltheater hervorgebracht. Volker Ludwig und das Grips gehören dazu.

Grips Theater heißt Boulevard und Basisarbeit: Probleme angehen, Mut machen und dabei unterhalten, wenn es um Jugendbanden geht, um die sogenannten Fremden, Mobbing in der Schule, geschiedene Eltern, Krankheit, Pubertät und Einsamkeit, Liebe und Sex, Drogen, Selbstmord. Darüber hat das Grips unzählige Stücke entwickelt, Lehrstücke durchaus. Brecht, Heiner Müller, Schaubühne, Castorfs Volksbühne: Berlin hat einiges an Welttheater hervorgebracht. Volker Ludwig und das Grips gehören dazu.

Kinder und Theater, wie die Zeit vergeht! Am kommenden Wochenende wird der 80. Geburtstag gefeiert mit einer neuen Version von „Eine linke Geschichte“. West-Berliner Archäologie. Premiere war 1980, vor 37 Jahren: Berlin hat sich seither ein klein wenig verändert. Wie hat Volker Ludwig das bloß gemacht? Seine Bühne ist das Grips geblieben, trotz und mit alledem. Es hat sich entwickelt und seinen Charakter behalten. Ein Wunder. Was für ein Glück, das miterlebt zu haben.

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