Ausstellung zu Picassos „Guernica“: Das ungeplante Meisterwerk
Picassos „Guernica“ ist das Bild der Epoche. Jetzt zeigt das Pariser Picasso-Museum eine Ausstellung zur Entstehung und Rezeption des Werks.
Picasso Antikriegsbild „Guernica“ ist gewiss das meisterwähnte und -beschriebene Kunstwerk des 20. Jahrhunderts. Darin steckt jedoch ein Paradox. Denn zum einen ist „Guernica“ ein tagesaktuelles Bild, das Picasso nach der Zerstörung der baskischen Kleinstadt Gerníka 1937 in großer Eile gemalt hat, als Beitrag für den spanischen Pavillon bei der bevorstehenden Weltausstellung von Paris.
Andererseits ist der Anlass, die Bombardierung eines ungeschützten Städtchens, der seinerzeit größtes Entsetzen auslöste, durch die nachfolgenden Ereignisse des Zweiten Weltkriegs so vollständig in den Hintergrund gedrängt worden, dass das historische Ereignis und die Reaktion darauf bereits erklärungsbedürftig geworden sind. Das Gemälde „Guernica“ hat sich von seinem Anlass gelöst. Dadurch wird seine Bildsprache, die nach 1945 flugs als „universell“ gedeutet wurde, zum Problem. Sie ist nämlich alles andere als universell, sondern partikular, und zwar spanisch in einem noch dazu picasso-esken, archaischen Sinne.
1934 besuchte Picasso Spanien, um Stierkämpfen beizuwohnen, denen damals sein größtes Interesse galt; aber auch, um altspanische Kunst in Kirchen und Klöstern zu sehen. Es sollte, was Picasso nicht ahnen konnte, der letzte Besuch in seinem Heimatland sein. Picasso war damals bereits weltberühmt. Die große Retrospektive, die ihm zwei Jahre zuvor das Kunsthaus Zürich ausgerichtet hatte, bedeutete die Anerkennung als „der“ moderne Künstler schlechthin.
Die Schau muss auf den eigentlichen Gegenstand verzichten
Beides, die Kunst des alten Spanien wie auch dessen Stierkämpfe, fanden drei Jahre später in die Ikonographie des Auftragswerkes „Guernica“ Eingang. Picasso hatte sich bereits auf die Seite der Spanischen Republik und gegen die Putschisten um Franco gestellt, als er 1936 den Titel eines Direktors des Prado annahm; er hat das Madrider Museum in dieser Eigenschaft allerdings nie besucht. Aber er stand auf Seiten der Republik, und so wurde ihm im Januar 1937 die Aufgabe angetragen, für den spanisch-republikanischen Pavillon bei der ab Mai stattfindenden Weltausstellung in eben seiner Wahlheimat Paris ein Wandbild zu schaffen.
Picasso nahm den Auftrag nur zögernd an – ihm fehlte eine Bildidee. So trug er sich monatelang mit dem unverbindlichen Thema „Maler und Modell“. Erst die Nachricht von der Bombardierung Guernicas – wie der baskische Name hispanisiert wird – am 27. April änderte seinen Plan, und am 1. Mai zeichnete Picasso erste Skizzen zu dem, was zum wirkungsmächtigsten Historienbild des Jahrhunderts werden sollte.
Jetzt zeigt das Pariser Picasso-Museum eine Ausstellung zur Entstehung und Rezeption von „Guernica“. Die muss auf das Bild selbst allerdings verzichten. Picasso hatte verfügt, dass es erst nach der Beseitigung der Franco-Diktatur nach Spanien gehen solle; bis dahin hatte es seinen Aufenthalt im New Yorker Museum of Modern Art. Seit der Installierung in Madrid darf das dreieinhalb mal acht Meter messende Werk Spanien nicht mehr verlassen.
An einem Tag schuf Picasso die Reihe „Traum und Lüge Francos“
Der eigentliche Gegenstand als Leerstelle – das ist eine eigentümliche Situation für das Pariser Museum, das doch die Vorzeichnungen zum Gemälde und überhaupt den weitaus größten Bestand an Picasso-Arbeiten besitzt. Das Museum hilft sich mit einer Reproduktion im Eingangsbereich seines barocken Stadtpalais.
Im Obergeschoss sind dann die zahlreichen Arbeiten rings um „Guernica“ zu sehen, angefangen mit den Radierungen der Stierkampfszenen sowie der an einem einzigen Tag geschaffenen Reihe „Traum und Lüge Francos“ von Januar 1937. Die Stierkampfserie entspricht ganz Picassos Vorliebe, ja Manie dieser Monate, und die Franco-Blätter, die das einzige politische Werk überhaupt vor „Guernica“ bilden, sind in einer Weise mit sexuellen Anspielungen aufgeladen, dass sie eher Picassos persönliche Situation in dieser Zeit widerspiegeln, nicht aber eine eindeutige politische Stellungnahme bilden.
Erst am 12. Juli 1937 konnte die Öffentlichkeit das Bild sehen
Im wandbildartigen „Guernica“, dessen Entstehung durch Fotografien der damaligen Geliebten Dora Maar vorzüglich dokumentiert ist, fließen die Motive des Stierkampfes mit den gehörnten Stieren und Pferden mit aufgerissenen Mäulern mit Elementen der ursprünglichen Atelier-Idee zusammen, etwa dem Arm mit Lampe oder der – nunmehr umgestürzten – Büste. Für das Motiv des unschuldigen Leidens greift Picasso auf das herkömmliche Motiv der Pietà zurück, der trauernden Mutter mit totem Kind. Und nicht in einer Stadt, auf die Bomben niedergehen, ist die Szenerie angesiedelt, sondern in einem von nackter Glühbirne erleuchteten Innenraum. Dass das Bild ganz in Schwarz, Grau und Weiß gehalten ist, verstärkt seinen düsteren Eindruck, als ob es sich um eine hastige Momentaufnahme handelte, wie die damals in den Zeitungen verbreiteten Fotografien vom Ort des Geschehens.
Erst am 12. Juli 1937 konnte die Öffentlichkeit das Bild sehen. Der spanische Pavillon öffnete als 35. von insgesamt 42 nationalen Pavillons seine Pforten bei dieser Weltausstellung, die immer wieder verzögert worden war – dann aber mit insgesamt 37 Millionen Besuchern zu einem unerwarteten Publikumserfolg wurde.
Die Presse nahm von Picassos Wandbild keine Notiz
Wie viele Besucher dabei der Spanischen Republik einen Besuch abgestattet haben, lässt sich nicht sagen. Es waren zweifellos weniger, als bei den benachbarten, einander gegenüberstehenden Bauten Hitlerdeutschlands und der Sowjetunion Stalins. Die Presse nahm von Picassos Wandbild keine Notiz, und selbst die kommunistische „L’Humanité“ meldete zwar die endliche Öffnung des Spanien-Pavillons, erwähnte aber Picassos Werk mit keiner Silbe. Andere Arbeiten des Pavillons standen im Vordergrund, wie Alexander Calders Quecksilberbrunnen, der auf eine wichtige ökonomische Ressource der Republik verwies.
„Picasso verwandelte sein Erschrecken und seine Wut über den Bombenterror in Bilder der Gewalt und des Leidens, die zumeist schon in seiner früheren Kunst vorhanden waren und daher ein ungewöhnliches emotionales Gewicht und eine große Spannweite persönlicher Bedeutungen besaßen“, schreibt der 1992 verstorbene Kunsthistoriker Herschel B. Chipp in seiner vielbeachteten Monografie „Guernica“ von 1988. Künstlerische Zeugnisse dieser Art finden sich zahlreich in der jetzigen Pariser Ausstellung, angereichert um dokumentarisches Material wie Plakate gegen die Faschisten.
Picasso wurde nicht zum politischen Künstler
Und doch bleibt eine doppelte Lücke. Zum einen fehlt der Kontext des Spanischen Pavillons, der ein ganzes Arsenal künstlerischer Arbeiten enthielt und ein Manifest für die Republik darstellte. Durch den Ruhm Picassos erscheint sein Wandbild als das alleinige Programmbild, was es mitnichten war.
Zum anderen ist dieses „Guernica“ nicht wirklich fassbar. Das Bild entstand quasi in einem Zug auf der Leinwand, in den vom Pavillon vorgegebenen Maßen. Es gibt keine Ölskizzen und nur wenige Werke, die anschließend aus dem Formenrepertoire des Wandbildes erwuchsen.
Picasso wurde durch den Auftrag der Republik nicht zum politischen Künstler. Als er sich erneut an das Thema des Krieges machte, im „Massaker in Korea“ von 1951, geriet ihm dieses Bild zum schwächlichen Abklatsch des großen Vorbildes Goya. „Guernica“ blieb ein einsamer Geniestreich.
Paris, Musée Picasso, bis 29. Juli. Katalog 42 €.
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