Ausstellung in Madrid: Bilder von Spaniens bleiernen Jahren
Die Kunst Spaniens im 20. Jahrhundert – das bedeutet Pablo Picasso und Joan Miró. Beide standen Francos Regime fern. Jetzt beleuchtet das Museum Reina Sofía in Madrid, was die düstere Zeit nach dem Bürgerkrieg hervorgebracht hat.
Die Nachkriegszeit beginnt in Spanien am 1. April 1939, auf den Tag fünf Monate, bevor Hitler den Zweiten Weltkrieg entfesselt. Francisco Franco, der Diktator, der an jenem Tag in die spanische Hauptstadt Madrid einzog (und dabei genau so bejubelt wurde wie Hitler in Wien nach dem „Anschluss“ Österreichs) und damit die Niederschlagung der Republik besiegelte, war klug genug, Spanien neutral zu halten. Vielleicht leitete ihn nicht nur Klugheit, sondern zugleich der tief sitzende Wunsch nach „Autarkie“.
Autarkie unter dem allumfassenden Begriff der „Hispanidad“, des Spanischseins, wurde zum Leitmotiv der Jahre nach dem verheerenden Bürgerkrieg. Friede und Versöhnung, wie sie der republikanische Präsident Manuel Azana im Jahr zuvor und schon voller Verzweiflung beschworen hatte, waren Francos Sache nicht. Hunderttausende Republikaner verschwanden, wenn nicht in den Gefängnissen oder gar gleich in Massengräbern, so doch aus dem öffentlichen und besonders dem kulturellen Leben. Es begannen bleierne Jahre.
Lähmung und Leere nach dem Krieg
„Campo cerrado“, geschlossenes Feld, mit diesem Titel eines Romans aus dem Exil des Jahres 1943 hat das Madrider Museum der Moderne, das abgekürzt genannte Reina Sofía, die umfassende Ausstellung über „Kunst und Macht in Nachkriegsspanien 1939–1953“ überschrieben, die jetzt in neun Kapiteln und verteilt auf 25 Säle des gewaltigen Museumsgebäudes zu sehen ist. Damit wird eine Lücke geschlossen, die wohl auch im Bewusstsein des spanischen Publikums besteht, erst recht aber außerhalb der iberischen Halbinsel.
Die Kunst Spaniens dieser Jahre wird assoziiert zuallererst mit Pablo Picasso und dann mit Joan Miró; der eine, der in Frankreich lebte und Spanien unter Franco nie mehr betrat, der andere, der heimlich seinen Frieden mit dem Regime gemacht hatte, sich aber aus der Politik heraushielt. In den sechziger, siebziger Jahren, als Spanien seinen Aufstieg zum Tourismusmagneten erlebt, verblasst der kulturelle Elan des vergreisenden Regimes ohnehin völlig.
Doch die anderthalb Jahrzehnte im Anschluss an den Bürgerkrieg sind düster. Die Ausstellung des Reina Sofía setzt ein mit Fotos von Robert Capa und Zeichnungen von Josep Narro aus den Internierungslagern, in denen Frankreich die geflüchteten Republikaner unter erbärmlichen Bedingungen festhielt. So umfangreich die Ausstellung mit ihren rund eintausend Objekten insgesamt auch ist – oder gerade weil sie so umfangreich ist –, kann sie den Eindruck von Lähmung und Leere nicht widerlegen. Im Gegenteil. Francos Regime bringt nichts hervor.
Unter Franco kam nur die Architektur groß zur Entfaltung
Wochenschauen – in der Ausstellung an mehreren Stellen sinnreich eingeblendet – zeigen, wie der „Caudillo“, der (An-)Führer, eine Ausstellung im Nationalmuseum des Prado eröffnet, wie er sich im Glanz einer glorreichen Vergangenheit sonnt. Die eigene Gegenwart hat wenig zu bieten. Als 1949 die als Wettbewerb wieder eingeführte „Nationale Ausstellung der Schönen Künste“ veranstaltet wird, erhält Julia Minguillón als überhaupt erste Frau den Preis, und ausgerechnet für das großformatige Gemälde einer Schulklasse mit Lehrerin, das ebenso gut als Darstellung republikanischer Bildungspolitik verstanden werden konnte.
Stilistisch gehört das Werk in die Kategorie der Neuen Sachlichkeit oder deren italienischem Gegenstück des „Novecento“, der unter Mussolini blühte; und entsprechend war Ignacio Zuloagas hyperrealistisches Gemälde „Meine Familie“ aus dem Bürgerkriegsjahr 1937 der Anziehungspunkt von Franco-Spaniens Beitrag zur Biennale von Venedig 1938, zu der Mussolini die Putschisten einlud.
In Spanien selbst kam nur die Architektur groß zur Entfaltung. In Madrid wurde die Universität im Nordwesten der Stadt, einer der Schauplätze des Bürgerkriegs, zum wichtigsten Wiederaufbauprojekt Francos und bereits 1943 fertiggestellt. Wenn man heute den durchgrünten Campus besucht, zeigt sich die für ganz Europa zeittypische Verwendung von symmetrischer Anlage mit Vorplätzen und Freitreppen, aber kein Auftrumpfen und schon gar nichts Eigenständiges. Wohnbauten für die ausgebombte Stadtbevölkerung lehnen sich an den konservativen Stil der Wiener Sozialsiedlungen an, die im Mittelpunkt der Autarkiepolitik stehende Förderung der Landwirtschaft an regionale Bauformen des bitterarmen Andalusien. Monumente für die Militärputschisten und ihre Heroen werden geplant, doch dauerte es mit der Fertigstellung bei der überwiegend von Zwangsarbeitern aus dem Gebirge nahe Madrid herausgebrochenen monströsen Gedenkstätte „Tal der Gefallenen“ bis 1959.
Ins Auge fällt, wie unpolitisch die offizielle Kultur ist
In seinem eigentümlichen Barock-Stil malte der Kirchen- und Freskenmaler José María Sert 1940 die „Verteidigung des Alcazar“, jene propagandistisch ungemein wirksame Erzählung der Nationalisten von ihrem Ausharren in Toledo. Dass Sert zu den gefeierten Künstlern der Ausgestaltung des Genfer Völkerbundpalastes zählt, sollte man hinzufügen, um die Verschränkung politischer Positionen jener Zeit zu begreifen. Wie in Diktaturen üblich, blühen Unterhaltung und Ablenkung, es gibt Komödien im Film und auf dem Theater, es fällt überhaupt ins Auge, wie unpolitisch die offizielle Kultur nach der anfänglichen Periode der Verherrlichung Francos gehalten wird. Mehr als „Hispanidad“ hat das als klerikalfaschistisch zu bezeichnende Regime ideologisch nicht zu bieten.
So abgeschlossen, wie der Titel bewusst suggeriert, war Spanien kulturell auch in den dunkelsten Jahren dann doch nicht, so die Kuratorin Dolores Jiménez- Blanco. Die Kunst der Moderne bleibt präsent. Picasso ist, pointiert ausgedrückt, abwesend anwesend. Ihm ist in der Ausstellung ein eigener Raum gewidmet, mit Arbeiten wie der „Frau auf grauem Sessel“ von 1939. Dass Picasso 1958 für den Pariser Sitz der Unesco ein Wandbild mit dem in Bezug auf die Spanische Republik überdeutlichen Thema „Sturz des Ikarus“ malt, kann man dem aufschlussreichen, weit über die Ausstellung hinausgehenden Katalog-Handbuch entnehmen.
An manchen Orten lebt der hohle Pomp des Franco-Regimes fort
Irritierend ist die Haltung des bis heute so geschätzten Salvador Dalí. Eben noch, 1939, malt er „Das Geheimnis Hitlers“ als düstere Vorahnung des Kommenden, samt Hitler-Porträt in Schwarz-Weiß; dann, 1943, ein Porträt des spanischen Botschafters Cárdenas, der, von der Republik nach Frankreich entsandt, dort zu den Putschisten überläuft und bei Franco fortan höchstes Ansehen genießt. Die Moderne kommt schließlich doch nach Spanien zurück. Der spanische Beitrag 1951 bei der – damals hochbedeutenden – Mailänder Triennale, ganz im schwebend leichten Design Nachkriegs-Europas gehalten, wird ausgezeichnet und weist dem davon ermutigten Regime den Weg, sich über kulturelle Liberalität als Stütze des Westens im Kalten Krieg zu empfehlen. Vergessen ist die Komplizenschaft mit Hitler, vergessen, dass die Wehrmachts-Propagandazeitschrift „Signal“ eigens in einer spanischen Ausgabe aufgelegt worden war.
Das „Geschlossene Feld“, mag es auch nicht völlig abgeriegelt gewesen sein, war jedenfalls weit weg. Im „Nationalmonument vom Heiligen Kreuz im Tal der Gefallenen“ – so der offizielle Name – lebt der hohle Pomp des Franco-Regimes fort, und doch ist der Besuch heutzutage kaum mehr als ein Ausflug in die bewaldete Bergwelt. 2007 wurden jedwede Demonstrationen auf dem Gelände verboten, und allenfalls seltsam berührt es, einen jüngeren Mann in strammer Haltung an der Grabplatte des Diktators Franco beten zu sehen. Im Souvenirladen gibt es Bildbände über die Spanische Republik und den Bürgerkrieg zu kaufen. Wie wichtig die Aufarbeitung der Geschichte durch das Museum Reina Sofía ist – und das Haus beackert dieses Feld immer wieder –, lässt sich von außen nur erahnen.
Madrid, Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, bis 26. September, täglich geöffnet. Katalog derzeit vergriffen. Infos unter www.museoreinasofia.es