Placido Domingo in "Macbeth" an der Staatsoper: Das Timbre der Seele
130 Bühnenrollen soll Plácido Domingo bisher gesungen haben. Und noch immer gibt es Neues. Jetzt gab er in Berlin sein Rollendebüt als Verdis Macbeth.
Glücklicher hat man ein Publikum selten gesehen. Alle strahlen über den Triumph, den sich die Staatsoper Berlin mit einem spektakulären Rollendebüt erworben hat. Gerade 74 Jahre alt geworden, besteht Plácido Domingo das Abenteuer, Giuseppe Verdis „Macbeth“ zu singen: Titelrolle, große Partie, Heldenbariton.
Arm in Arm mit dem gefeierten Maestro Daniel Barenboim, der seine Staatskapelle bis zum Orchesterfugato der letzten Schlacht mit Differenzierung und kammermusikalischen Neigungen führt, verlässt der Star am Ende die Bühne des Schiller Theaters. Er hat die Riesenaufgabe durchgehalten, ohne nennenswerte Beeinträchtigung, das heißt mit einem Stück menschlicher Wesenswahrheit im Untergang des besiegten Herrschers.
Die Bescheidenheit seines Wesens zeigt sich auch bei der Applausordnung an der Rampe, zumal in der gegenseitigen Reverenz mit seinem Tenorkollegen Rolando Villazón. Der singt wieder die höchstens mittlere Partie des schottischen Edlen Macduff, mit der er im Jahr 2000 in der Premiere der Inszenierung als „Entdeckung des Abends“ auffiel. Christine Lemke-Matwey schwärmte im Tagesspiegel von dem Legato und betörenden Schmelz seiner Stimme. Dass die darein gesetzten Hoffnungen sich nicht erfüllt haben, bezeugen nun 15 Jahre später Szene und Arie „O figli“, in denen Macduff seine ermordete Familie beweint. Viel Mühe des Singens ist jetzt dabei, der keine Inbrunst mehr helfen kann, und wenig Schmelz. Trotzdem hat der verfremdete Tenöre-Gipfel eine Aura.
Domingos Stimme hat seit jeher eine tiefere Dimension, die mit musikalischer Intelligenz zu tun hat
Mit Simon Boccanegra ist Domingo 2009 ins Stimmfach des Baritons eingestiegen. Am tenoralen Himmmelszelt leuchtete sein Stern zuvor mit märchenhafter Intensität. Man spricht von 130 Bühnenrollen. Aber auch den Marsch in Beethovens Neunter überflügelt sein Tenor in der späten Aufnahme von Karl Böhm. Als Tenorissimo erwarb sich der spanische Sänger die Welt. Dabei hat die Stimme seit jeher eine tiefere Dimension, die nicht nur mit Klang, sondern auch mit musikalischer Intelligenz zu tun hat, mehr noch: ein Seelentimbre.
Nach dem dunklen Preludio mit angespannter ganztaktiger Generalpause huschen nun die maskierten Hexen auf die Bühne (exzellent singend wie alle Vertreter des Staatsopernchores, einstudiert von Martin Wright), gefolgt von den ersten Worten des Macbeth und des Banquo: der Debütant also neben dem vertrauten Bass René Pape: Keine Bange! Die Stimme Domingos hat Volumen und Kraft, nur wenig Tremolo, und die beiden Heerführer harmonieren im Duett.
„Nach einer Inszenierung von Peter Mussbach“, heißt die Produktion, die von Katharina Lang und Caroline Staunton geschickt betreut wird. Bewegte Chöre, während die Protagonisten durch ein Loch aus der Versenkung in die hügelige Bühnenlandschaft Erich Wonders klettern. Die Regie bleibt Andeutung. Wie eine Rakete springt die ukrainische Supersopranistin Liudmyla Monastyrska in die Rolle der machtgierigen Lady Macbeth, eine dämonische Stimme mit überraschend leichter Koloratur.
Domingo versucht nun, sich die interessanteren Charaktere zu erobern. Denn bekanntlich ist bei Verdi der führende Protagonist wie Boccanegra der Bariton, nicht der charmante tenorale Herzog von Mantua, sondern Rigoletto, nicht Carlos, sondern Posa. So auch der Macbeth, umgeben von zwei eher farblosen Tenören.
Wie der loyale Feldherr zum Königsmörder wird, das interpretiert Domingo als Leidensgeschichte einer unheimlichen Verstrickung. Vor seinem Bühnentod singt er con espressione mit baritonaler, kluger Phrasierung und Atemtechnik „Pietà, rispetto, amore.“ Die Arie meint die Tröstungen des Alters, die Macbeth durch seine Schuld verwirkt hat. Und das Klagelied beschert dem Sänger den herzlichsten Szenenapplaus. Sybill Mahlke
Weitere Vorstellungen (alle ausverkauft): 11., 15., 19., 22., 28. Februar