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Kunst aus kolonialem Kontext. Drei Bronzen aus heutigen Nigeria, Westafrika. Sie sollen ins Humboldt Forum kommen.
© Daniel Bockwoldt/dpa

Zu wenig Vielfalt, neue Aufgaben?: Das Museum als Institution gerät unter Druck

In Zeiten von Inklusion und Dekolonialisierung stellt sich die Frage, wie Museen in der Zukunft arbeiten sollen. Das Martin-Roth-Symposium sucht nach Antworten.

Vor reichlich zwei Jahren traf man sich in Berlin, um in einer riesigen Halle das erste Martin-Roth-Symposium auszutragen, Kontakte, Pausengespräche und Abschlussdinner inklusive.

Die zweite Folge des wiederum vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und dem Auswärtigen Amt finanzierten Symposiums geht wegen Corona virtuell vonstatten, gestreckt auf eine ganze Woche mit Abendveranstaltungen im Netz einschließlich Youtube.

Unter dem Generalthema „Museum Futures“ – alle Vorträge und Diskussionen finden in englischer Sprache statt – waren die beiden ersten Abende der Zukunft der Museen sowie dem Thema „Museen und Macht“ gewidmet.

Der Aufruhr, der die Museumswelt im Zuge von Inklusion und Dekolonisierung erfasst hat, ist an der Auswahl der Vortragenden zu ermessen. Noch stärker als 2018 sind Stimmen jenseits der traditionellen, europäisch-nordamerikanischen Museumswelt vertreten.

So lässt sich im Ergebnis der ersten beiden Abende konstatieren, dass das herkömmliche Museum keine Verteidiger mehr findet, hingegen grundlegende Änderungen von nahezu allen Sprechern gefordert werden.

Macht müsse nun geteilt werden

Julia Grosse und Yvette Mutumba, die in Berlin das – von ifa und Goethe-Institut mitfinanzierte – Online-Kunstmagazin „Contemporary And“ herausgeben, setzten den Ton mit der Frage an die Museen, wie divers ihre Besucher seien.

Wegen ihres „strukturellen Rassismus’“ hätten die Museen jahrzehntelang alles ignoriert, was über Europa und Nordamerika hinausgeht. Nun müsse Macht geteilt, Menschen von außen müssten „in die Strukturen eingeladen“, Programme divers werden und „die Gesellschaft spiegeln“.

Später spricht Mutumba auch von der „Macht von unten“, etwa wenn Künstler von Museen eingeladen werden: Dann sollten sie Forderungen stellen, nach „Workshops in Diversität“ zum Beispiel, denn „die Museen brauchen euch und hängen von eurem Input ab“.

Museen als Plattformen für ausgegrenzte Communities

Das Museum solle „unterschiedliche Stimmen“ berücksichtigen, erklärt Gus Casely-Hayford, Direktor des noch von Martin Roth in seiner Zeit als Direktor des Londoner Victoria & Albert Museums angestoßenen Ablegers V&A East im Osten der britischen Hauptstadt.

Er macht dies an der Teilnahme von afrikanischen Soldaten am Ersten Weltkrieg deutlich: „Sie haben ihre Interessen beiseitegeschoben, indem sie für die Kolonialherren kämpften – sie dachten, dass durch den Sieg neue Gerechtigkeit entstehen würde.“

[Martin-Roth-Symposium, heute wieder 17– 20 Uhr. Direktlink zum Livestream: https://campus.re-publica.com/mars2]

Das V&A East werde „ein emotionales und intellektuelles Zuhause“ bieten für diejenigen Communities, die bislang keine Plattform besäßen.

„Museen und Macht“, dieses Thema brachte Nico Daswani, Leiter der Kulturabteilung des einflussreichen World Economic Forum Davos, auf den entscheidenden Punkt. In den USA sei es üblich, dass finanzstarke Stiftungen ihre Zuwendungen von der Einhaltung bestimmter Parameter wie Diversität oder Relevanz abhängig machten.

Kritik an eurozentrischer Ästhetik

Das hat, mag man einwenden, mit Demokratie strenggenommen nichts zu tun, sondern regelt den Zugang zu den Geldtöpfen. Öffentliche Gelder – wie in Europa – dürften nur Institutionen und Programmen zugutekommen, „die die Gesellschaft demokratischer machen“.

Das klingt unverfänglich – doch mit „demokratisch“ sind Schlüsselparameter qualitativer Art gemeint, etwa die messbare Zunahme an Inklusion und Diversität. Daswani weiß aufgrund seiner Position genau, wie man Forderungen operationalisiert und mit Finanzentscheidungen sehr konkreten Einfluss ausübt.

Die griffigste Zusammenfassung der gegenwärtigen Museumskritik liefert am ersten Abend Andrew McClellan. Der Professor an der Bostoner Tufts University verurteilt die bisherige, eurozentrische Ästhetik von US-amerikanischen Museen, fordert das Abrücken von „europäisch inspirierter Kunst“ und die Hinwendung zu indigener Kunst, die Aufhebung der Trennung von „High“ und „Low“, neue Beschriftungen der Objekte, die Einbeziehung „marginalisierter Gruppen als eigene Handlungsträger“.

Eine Verteidigung des europäischen Modells kommt aus Indien

Ein Widerspruch gegen die Neuausrichtung unter dem Signum der Dekolonialisierung kommt ausgerechnet aus Indien. Kavita Singh singt das Hohelied der von den Kolonialherren in Indien „oktroyierten“ Museen.

In ihnen hätten Inder „zum ersten Mal erfahren können, was gleiche Rechte für alle Menschen bedeuten“. Auch gegen die Rückgabe von Objekten spricht sich die Professorin der Nehru-Universität in Neu-Delhi aus und empfiehlt eine „gemeinsame Nutzung der Museen“ durch eine „Position des Teilens, des Weitergebens und der langfristigen Ausleihe, um die mentale Blockade zu überwinden“.

Das Museum als Schaltstelle gesellschaftlichen Wandels

Gegen Ende der zweiten Runde gerät die Institution Museum dann zunehmend aus dem Blick. Rooksana Omar, Chefin der (nationalen) Iziko Museums of South Africa, stellte die eigene Sammlung als Kriterium des Museums infrage, Yvette Mutumba den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, und Moderatorin Sarah Bergh fragt, leicht konsterniert, ob man überhaupt noch von „Museum“ sprechen solle und nicht besser von Community Center.

Wäre jemand aus der Welt der Bibliotheken in der Runde gewesen, hätte er oder sie dasselbe sagen können. Offenbar ist der Bedarf an reinen Kommunikationsorten so groß, dass es des bisherigen Museums nicht länger bedarf. Es wird zu einer Art Schaltstelle für den gesellschaftlichen Wandel schlechthin.

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