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Ein Eisberg zwischen Paulet Island und den südlichen Shetland-Inseln, aufgenommen im arktischen Peninsula (2005)
© Sebastiao Salgado/Amazonas Images

Hingehen: Sebastião Salgado bei C/O Berlin: Das lange laute Wusch

Eintauchen in die wilden Strudel des Atlantik: der "Genesis"-Zyklus von Sebastião Salgado heiligt die Schönheit der Schöpfung.

Der Junge hat etwas gesehen, das zu zeigen, das zu teilen keinen Aufschub duldet. „Wow, Papa, guck mal“, ruft er durch den belebten, dennoch stillen Ausstellungsraum. Die riesige Schwanzflosse eines Glattwals nämlich, die aus dem Südatlantik unweit von Argentinien auftaucht. Von Sebastião Salgado so plastisch, so majestätisch in das für den Fotografen typische grobe schwarz-weiße Korn gesetzt, dass man die spritzende Gischt, die diese Wasserverdrängung auslöst, förmlich zu hören glaubt.

Ein großformatiges Foto wie ein langes, lautes Wusch. Von einer unmittelbar packenden, lebendigen Kraft, wie es im „Genesis“-Zyklus des brasilianischen Fotografen zwischen all den artifiziellen Landschaftspanoramen immer wieder anzutreffen ist.

Suchbild mit Pinguin

Der davon magisch angesaugte Junge ist an diesem Feriennachmittag längst nicht das einzige Kind in der Schau bei C/O Berlin in der Hardenbergstraße. Schon erstaunlich, wo das spröde Schwarz-Weiß doch genauso Abstraktion und Distanz schafft. Wie auf dem Foto, das gleich am Eingang des ersten Ausstellungsteils „Im Süden der Erde“ hängt.

Von Ferne sieht die Landschaft aus wie eine eindimensionale schraffierte Fläche. Kaum zu glauben, dass diese Schrundenstruktur eine antarktische Insel sein soll. Geht man näher heran, tritt aus den Linien eine Art gefrorene Welle hervor. Und dann ein weiteres Detail: Unzählige winzige Tiere bewohnen den Hügel – „Zügelpinguine auf Saunders Island“. Eine ganz und gar faszinierende Komposition, formal streng und trotzdem ein witziges Suchbild.

Schuppige Meerechsenfüße, die schimmern wie Ritterrüstungen, Pinguine, die sich elegant wie Skispringer in die dramatisch schäumende See stürzen, Eisberge wie Sakralbauten, Wüsten als Schattenspiele – gerade die kargen Weltenden gewinnen durch Sebastião Salgados Fotos einen spirituell überhöhten Nimbus. Die Huldigung der unberührten Natur, für die der vorher auf Sozialfotografie spezialisierte, von der Menschheit desillusionierte Fotograf acht Jahre lang auf Sinn- und Motivsuche in den Polarregionen, in Amazonien, Afrika, Indonesien unterwegs war, wird zur Heiligung erhabener weltlicher und überweltlicher Schönheit.

Gesicht voller Ehrfurcht

Eine Selbsttherapie, die abfärbt, wenn man vor den Bildern steht. So beglückend hat das auch schon beim Anschauen von Wim Wenders’ Salgado-Kinodoku „Das Salz der Erde“ von 2014 funktioniert, die noch in sechs Berliner Kinos läuft. Selbst die Porträts im Schwinden begriffener indigener Völker stiften – seltsam genug – Zuversicht. Ernste Mienen, geschmückt mit Kinnpflöcken oder Pelzkapuzen, schauen würdig von der Wand. Besonders der alte Nenze dort in seiner Jurte. Ein Gesicht so Ehrfurcht gebietend wie seine Heimat, die Eislandschaft.

Amerikahaus, noch bis 16. August, tgl. 11–20 Uhr

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