Ein Wink des Himmels?: Das Kreuz auf dem Humboldt Forum ist auch eine Frage der Perspektive
Das Schloss, kurz vor der Eröffnung: Hier das Kuppelkreuz, da der Fernsehturm - in Sachen Religion kann man Überraschungen erleben. Eine Glosse.
Ein bisschen ist das Schloss wie ganz Berlin. Viel Fläche, wenig Höhe. Das ambitionierteste Kulturprojekt von Nachkriegsdeutschland geht in die Breite, wie die Stadt an der Spree.
Ach ja, das Schloss, was haben wir gestritten. Jetzt geht die Bauübergabe recht still und leise über die Bühne, das Spendengeld für den Fassadenschmuck ist zusammengekommen, in den nächsten Tagen verschwinden die Bauzäune und die Container. Die Passagen kreuz und quer durchs Humboldt Forum – offener Stadtraum, Piazza!, so die Verheißung – bleiben wegen Corona aber leider geschlossen. Und am 17. Dezember wird sich die Kulturnation mit einer digitalen Mini-Eröffnung bescheiden müssen.
Die Sonne ist herausgekommen, an diesem Nachmittag präsentiert sich der Bau als freundlicher Hauptstadtneuling. Sandstein ist ein sanftes Material. Hoch oben schimmert das Kuppelkreuz, und wenn da nicht diese Inschrift wäre, könnte man es schon hinnehmen, dieses von Friedrich Wilhelm IV. aufgepflanzte Christen-Symbol, das Kulturstaatsministerin Monika Grütters (katholisch) eine „Einladung zum Dialog über Nächstenliebe, Toleranz und Weltoffenheit“ nannte.
Die Rundum-Inschrift am Kuppelgesims, gold auf preußischblauem Grund, kündet aber unmissverständlich vom Gegenteil, vom Universalanspruch des Christentums. Heil gebe es nur im Namen Jesu, steht da. Und dass in diesem Namen „sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind“. Klarer lässt sich ein Intoleranzedikt kaum formulieren, trotz der altertümlichen Diktion.
Die Empörung war groß, als der vom König persönlich aus Bibelzitaten collagierte Spruch im Mai dieses Jahres angebracht wurde. Das Humboldt Forum, mit seinen ethnologischen Schätzen ein zentraler Ort für die Auseinandersetzung mit kolonialen und feudalistischen Altlasten, setzt ausgerechnet diese Sätze weithin zum Zeichen. So viel Kotau vor dem monarchischen Bauherrn (und dem Denkmalschutz) treibt einem auch jetzt noch die Schamesröte ins Gesicht.
Kleiner Trost: Selbst wer das gesamte Schloss umrundet, kann die Kuppel-Inschrift nicht in Gänze erspähen. Aus der Nähe verschwindet sie unter dem Baukubus, tritt man weiter zurück, können nur Argusaugen noch einzelne Worte entziffern. Und die „schlimme Stelle“ mit den gebeugten Knien ist nur lesbar, wenn man sich in die Breite Straße begibt, auf Höhe von Hausnummer 36, am Eingang zu „Baynatna“, der arabischen Bibliothek der Zentral- und Landesbibliothek.
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Wer dann wieder zurückkehrt und das Schloss vom ehemaligen Staatsratsgebäude aus betrachtet, erlebt eine weitere Überraschung. Exakt am Südosteck des Humboldt Forums, dort wo die barocke Fassadenreplik in Franco Stellas Stadtloggia übergeht, erhebt sich der Fernsehturm. Ein schlankes, himmelragendes Minarett. Als sei’s ein Teil vom Schloss, ein Pendant zur Kreuzeskuppel.
Die Kniebeuge, der Muezzin, Christentum, Islam, Religion, Bildung, Tradition, eine Frage der Perspektive. Wink des Himmels? Wer weiß, beim Lichtkreuz auf dem Telespargel irrte die DDR-Regierung, als sie die Architekten verdächtigte, absichtlich für die Reflexion des christlichen Symbols gesorgt zu haben.
Ein paar Schritte weiter, am Neuen Marstall, schwebt Karl Liebknecht hoch in der Luft, auf seinem Bronzerelief zur Erinnerung an die Ausrufung der Räterepublik vor 102 Jahren. Himmelfahrt eines Revoluzzers: Im Schatten dieses Kreuzes kann es gar nicht genug Heilige geben.