Clubsterben in Berlin?: Das ist dann doch Klagen auf einem hohen Niveau
Stirb langsam: Die hauptstädtische Clubkultur ist ein Markenartikel. Und bedroht. Aber Feiern unter der Schirmherrschaft des Senats?
Als die Betreiber des WMF, eines der legendären Clubs der legendären Berliner neunziger Jahre, ihre dritte Location gefunden hatten, in der Burgstraße am Hackeschen Markt, waren sie mit den Gedanken schon wieder woanders und viel weiter, wie sie das einmal in einem Interview verrieten: in der Johannisstraße, in der Ziegelstraße, beide Straßen ebenfalls in Berlin-Mitte, wo sie weitere Räume und Gebäude für ihren Club im Auge hatten.
Das WMF war der Prototyp des nomadisierenden, flüchtigen Clubs, mit am Ende sechs verschiedenen Locations inklusive eines Sommerlagers; auch Läden wie das Cookies oder das 103 standen dem WMF in der Vielzahl ihrer Räumlichkeiten kaum nach. Das sorgte damals für viel Dynamik und kreative Energie. Was sollte man sich groß mit Investoren und dem Senat auseinandersetzen? Die Locationsuche ließ sich ohne Probleme bewerkstelligen: Leerstand und ungeklärte Besitzverhältnisse in Mitte und anderen Bezirken im Osten der Stadt gab es zuhauf.
Inzwischen ist das natürlich anders. Wenn heute ein Club schließen muss, findet sich nur schwer ein Ersatzgelände, und so sind einstige Ausgehbezirke wie Mitte und Prenzlauer Berg mittlerweile fast clubfreie Zonen.
Da zur Zeit immer mal wieder ein Laden zumachen muss wie die Griessmühle in Neukölln oder einer unsicheren Zukunft entgegensieht wie das Sage und der dort beheimatete KitKat-Club an der Grenze von Kreuzberg und Mitte, ist inzwischen häufig gar von einem „Clubsterben“ die Rede, von einer ernsten Bedrohung der weltberühmten Berliner Clubkultur.
Früher läuteten nach Club-Schließungen keine Totenglöckchen
Das klingt arg dramatisch. Ist aber zumindest nachvollziehbar vor dem Hintergrund, dass diese Clubkultur zu einem gewichtigen Marketing-Faktor geworden ist. Sie hat einen nicht nur hohen symbolischen, sondern auch knallhart ökonomischen Wert für die Stadt und nicht zuletzt den Senat. Deshalb sorgen Clubschließungen inzwischen für viel mehr Aufsehen als in den neunziger Jahren.
Damals wurde eröffnet, wieder geschlossen, woanders neu geöffnet, ohne dass groß Totenglöckchen geläutet wurden. Ja, und deshalb sorgt sich inzwischen auch der Senat, ohne dass er gegen die Gesetze des Marktes groß etwas unternehmen könnte oder wollte. Immerhin stellt er schon mal finanzielle Mittel bereit, wie zum Beispiel das Geld für einen Schallschutzfonds, aus dem sich Clubs mit Lärmproblemen bedienen können.
Andererseits ist es ein Widerspruch in sich, dass eine Subkultur, so wie man die Clubkultur als solche zumindest in Teilen noch bezeichnen kann, sich staatlicherseits schützen und unterstützen lässt. Kann man dann noch von einer Subkultur sprechen? Zumindest verliert sie so einen Großteil ihrer Anziehungskraft, auch ihrer Kreativität.
Es ist die Crux vieler Subkulturen, dass sie mit der Zeit immer wieder von der amtlichen, wenn man so will: bürgerlichen Kultur einverleibt werden, sich auf einmal ein großes, unüberschaubares Publikum sich auf sie einigen kann. Gerade Clubs selbst sind ja hinter ihren Türen geschützte Räume, in denen ein gewisser Freiheitsgedanke herrscht. Hier versucht man sich zumindest ein paar Stunden den bürgerlichen Normen, Regeln und Überwachungen zu entziehen.
Goetz sprach von einem "asozialen Seinszustand"
Um es mit dem einst ravenden Rainald Goetz zu sagen: „Verrücktheit im Grunde, ein asozialer Seinszustand“.
Insofern ist Feiern unter der Schirmherrschaft von Klaus Lederer auch so eine Sache. Das Problem, das Berlin jetzt hat mit seinen leergentrifizierten Bezirken im Zentrum, mit Vierteln, in denen der Ausgehspaß nicht mehr der allergrößte ist, haben andere Metropolen schon viel länger, ohne dass das ihrer Attraktivität Abbruch getan hätte. Man denke nur an die Wanderung der Szenen und Subkulturen durch London oder New York.
Es könnte also eines Tages auch heißen: Hellersdorf wird das neue Williamsburg – und wenn Williamsburg langsam ebenfalls den Charakter eines Subkultur- und Szene-Museums bekommen hat, muss die Karawane weiter, auch in die Peripherie. Warum nicht?
Warum sollte Leipzig nicht irgendwann der Feier-Hotspot sein. Oder Halle. Und seit Jahren schon gibt es den Trend ins Brandenburgische, zu Mini-Raves auf dem Land, die ihrerseits größer und größer werden und sich etablieren.
Trotzdem hat man in Berlin immer noch den Eindruck, dass es ziemlich lebendig zugeht, die Schlangen vor den Läden nicht kleiner werden, zumal es keine Sperrstunde gibt und das 24/7-Feiern nirgendwo auf der Welt besser praktiziert werden kann.
Türpolitik lässt sich nicht regeln
Geklagt über den Niedergang der Clubkultur wird auf einem doch sehr hohen Niveau und intensiver als ehedem, und nicht zuletzt steht das Berghain weiterhin wie eine Trutzburg hinter dem Ostbahnhof und ist gewissermaßen Clubgängers Paradise.
Komme ich rein? Oder waren die ein, zwei Stunden umsonst, bleibt mir nur die gepflegte Prenzlauer-Berg-Bar? Das mit der Exklusivität, mit der Türpolitik lässt sich nie regeln. Es ist zutiefst undemokratisch und in diesem Fall nur zweckdienlich. Die Clubkultur ist einer von Berlins Markenartikeln, und das Berghain nochmal sein eigener „brand“, wie man früher sagte – ein Ort größtmöglicher Freiheit, auch weil hier Fotografierverbot herrscht.
Aber mal abgesehen vom Berghain und ein paar wenigen anderen unterliegen die allermeisten Clubs konjunkturellen Schwankungen. Das ist heute so, das war in den goldenen neunziger Jahren so. Welche Leute kommen? Kippt das Ganze vom Publikum her: zu schick, zu prollig, zu langweilig? Stimmt die Musik noch, ist sie diejenige zur Zeit mit den neuesten Stilen? Oder geht es nur noch um eine bestimmte Klientel, Rock, Techno. Tralala? Wie haushalten die Betreiber, wie ist es um ihre Lust, ihren Spaß an der Arbeit bestellt?
Es ist eine komplizierte Gemengelage mit der Clubkultur, da gilt es viele Faktoren zu bedenken. Die neunziger Jahre sind lange im Museum gelandet mit Büchern und immer wieder neuen Ausstellungen darüber. Dort gehören sie letztendlich. Mit Nostalgie ist noch kein Club groß und attraktiv geworden.
Nur dürfte auch in den kommenden zwanziger Jahren gelten: Umso institutionalisierter die Clubkultur, desto bescheidener der Spaß. Der Moment ist es, der zählt – und nicht das Wissen, dass dieser oder jener Club auch in zwanzig Jahren noch genau dasselbe Programm auflegt.
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