„Der Markt regelt nicht alles“: Berlins Kultursenator Klaus Lederer über Clubkultur, steigende Mieten und Drogen
Was kann die Politik fürs Berliner Nachtleben tun? Der Linke spricht im Interview über die Grenzen des Mietendeckels – und fordert eine rationale Drogenpolitik.
Herr Lederer, in den letzten Monaten haben sich im Kulturausschuss selbst CDU und AfD wohlwollend zur Berliner Clubkultur positioniert. Ist Techno so sehr Alltagskultur geworden, dass man niemand damit mehr provozieren kann?
Ganz davon abgesehen, ob es den Parteien wirklich um Techno geht: Es gibt eine allgemeine Tendenz, dass nahezu alle revolutionären Unterhaltungsformate irgendwann auch zu einem Teil des Eventbusiness und Mainstreams werden. Das geht von der Beatmusik der 60er Jahre bis hin zu Beethoven, der zu seiner Zeit ein Querdenker und Störenfried war. Das können wir uns aus heutiger Perspektive vielleicht nicht mehr vorstellen. Für Techno gilt das genauso. Berlins Clubkultur ist seit den 90er Jahren gewachsen, als es in Berlin viele Freiräume gab. Wenn jetzt reihenweise Clubs durch steigende Gewerbemieten aus ihren Einrichtungen fliegen, sollte einem klar werden, dass der Markt offensichtlich nicht alles regelt, wie man die letzten Jahre immer erzählt hat.
Ist der Mietendeckel da der richtige Ansatz?
Der Mietendeckel gilt ja nicht für Gewerbemieten. Verdrängung und Existenzangst betreffen auch kleine und mittelständische Unternehmen, und die Berliner CDU ist selbst mit einer Verdreifachung ihrer Miete konfrontiert. Große und plattformkapitalistische Konzerne wie Amazon können da auf andere Reserven zurückgreifen und haben in den letzten Jahren gezielt und massiv in urbane Immobilienbestände investiert. Deswegen hat das Land Berlin im Bundesrat eine Initiative angestoßen, um auch dieses Problem anzugehen. Also weg von einer Immobilienpolitik, die sich lediglich nach der größten Rendite richtet.
Erst kürzlich hat es mit dem Kit-Kat und der Grießmühle bei zwei weiteren prominenten Clubs Probleme gegeben. Was kann die Politik konkret tun?
Es ist offensichtlich, dass die Stadt sich gewaltig verändert. Wo liegen da die Ursachen? Die CDU beklagt sich lautstark, ruft jetzt nach dem Staat, der die Scherben beseitigen soll. Doch was schlägt sie vor? Steuersenkungen für Reiche und massiven Abbau an anderer Stelle. Eine Vermögenssteuer lehnt sie ab, ebenso wie eine Anhebung des Spitzensteuersatzes. Und wenn dann das Kind in den Brunnen gefallen ist, wie jetzt bei der Grießmühle, soll die Stadt auf die Schnelle eine Ersatzliegenschaft auftreiben?
Das läuft an den eigentlichen Problemen vorbei und ist einfach nur populistisch. Die Folgen der Konsolidierungspolitik der nuller Jahre, in der die Stadt aus der Not heraus viele Grundstücke verkaufen musste, spüren wir bis heute. Die Stadt kann nicht alles kompensieren, was in Folge der Inwertsetzung von Grund und Boden kaputtgemacht wurde.
Das klingt nicht sonderlich optimistisch.
Jede Kultureinrichtung, die wegbricht, ist ein Verlust und so schauen wir natürlich, inwieweit wir als Land helfen können. Aber bei in der Regel privat geschlossenen Verträgen kann die Politik, außer appellieren, wenig machen. Wir können keine Techno-Club-geeignete Immobilie aus dem Hut zaubern. Bei Lärmschutzproblemen können Clubs inzwischen Zuschüsse beantragen. Bei Anwohnerbeschwerden können wir als Vermittler auftreten und durch Unterstützung der Clubcommission einen Raum für Dialog zwischen Anwohnern und Clubbetreibern schaffen.
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Aber das Hauptproblem bleibt: Wir müssen Grund und Boden anders behandeln, auch wenn uns das landesrechtlich nicht so möglich ist, wie wir es gerne hätten. Wir haben die Grundsatzentscheidung getroffen, Grund und Boden nur erbbauweise an Dritte zu vergeben. In eine ähnliche Richtung geht ja auch der geplante Mietendeckel. Aber solche Debatten sind mit der CDU, der FDP und auch der AfD gar nicht möglich, ohne dass diese sofort laut „Sozialismus!“ schreien. Und gerade die CDU sollte gewarnt sein: Sollte sie hier mal wieder regieren, wird sie sich an den Maßstäben messen lassen müssen, die sie aktuell selber aufstellt.
Bei der Alten Münze gab es nun eine Einigung, ein Jazzclub soll entstehen. Trotz aller Diplomatie gibt es Protest aus der freien Szene. Stört Sie das?
Es wurmt mich eher ein wenig, weil Teile der freien Szene mit ihrem Protest so tun, als käme die Entscheidung überraschend. Nein, kam sie nicht. Wir haben einen langen, intensiven und offenen Beteiligungsprozess geführt. An dessen Ende standen drei Varianten – und nur eine Variante, die Jazz-Variante zeigte sich gegenüber anderen flexibel, kompromissbereit und offen. Was nun entsteht, ist eine Berlin- und bundesweit einmalige Institution: ein Zentrum für Jazz und improvisierte Musik, das sich ganz dezidiert auch gegenüber anderen Genres der freien Musikszenen wie beispielsweise Neuer Musik, experimenteller Popmusik, elektronischer und elektroakustischer Musik öffnet.
Sie haben sich für Drug-Checking ausgesprochen – eine anonyme Anlaufstelle, in der die Drogen auf mögliche Schadstoffe getestet werden. Eine Einzelmeinung?
Nein, inzwischen hat sich sogar die neue Bundesdrogenbeauftragte der CDU, Daniela Ludwig, für diesen Vorschlag stark gemacht. Es kann schließlich nicht sein, dass man Konsumenten zwingt, verunreinigte Drogen einzunehmen. Die Erfahrung zeigt, dass es Menschen ein Bedürfnis ist, hin und wieder Drogen zu sich zu nehmen – ganz unabhängig davon, wie man das im Einzelnen bewertet. Da sollte sich jeder an die eigene Nase fassen. Das fängt beim Kaffee an und geht bei Alkohol weiter.
Sie haben bereits öffentlich zugegeben, gelegentlich zu kiffen...
Auch in der CDU soll es durchaus üblich sein, gelegentlich Bier und Wein zu trinken. Mit Prohibition und Bevormundung ist niemandem geholfen. Es braucht Aufklärung über die Gefahren und einen unkomplizierten Zugang zu Hilfsangeboten, wenn die Menschen Probleme mit ihrem Konsum haben. Außerdem muss die Kriminalisierung von Konsumenten beendet werden. Die Erfahrung zeigt, dass dies den Zugang zu Hilfsangeboten ungemein und unnötig erschwert.
Sind Sie ein Befürworter des portugiesischen Modells, wo der Konsum und der Besitz von kleinen Mengen zum Eigenbedarf straffrei ist?
Wir müssen dafür sorgen, dass das, was bereits auf dem Markt ist, unter öffentliche Kontrolle kommt. Das bedeutet im ersten Schritt Drug-Checking. Dann müssen wir uns überlegen, wie wir den Schwarzmarkt in den Griff bekommen, in dem beträchtliche Summen umgesetzt werden. Mit großem Aufwand Kleindealer jagen, verbraucht Ressourcen und hält niemanden vom Konsum ab. Wir brauchen eine rationale Drogenpolitik.