„Berlin Bouncer“: Geh jetzt weg oder ich schubs dich!
Vor ihnen zittert jeder Clubbesucher: Türsteher wie Berghain-Legende Sven Marquardt. David Dietls Film „Berlin Bouncer“ traut sich ganz nah an sie ran.
Ekstase und Ausschweifungen, ein Abend, an dem neue Freundschaften geknüpft und alte gefestigt werden, man abschalten, ganz man selbst oder jemand ganz anderes sein kann, tanzen, trinken, Drogen nehmen, eine Nacht lang oder auch drei Tage, absolute Freiheit – das ist das Versprechen der Berliner Clubkultur.
Doch der Abend beginnt nicht im Club, sondern davor: mit den Türstehern. Sie entscheiden, wer Einlass in diese besondere Welt erhält – denn Freiheit braucht auch Schutz. Diese Türsteher sind oft weit über die Berliner Landesgrenze hinaus bekannt, gefürchtet. Sie sind Mythen, denen der Regisseur David Dietl auf den Grund gehen wollte. Er hat drei Berliner Türsteher mehrere Jahre lang begleitet und porträtiert. In der Dokumentation „Berlin Bouncer“, die am Donnerstag in die Kinos kommt, erzählt er die Geschichten von Smiley Baldwin, Frank Künster und Sven Marquardt. Und mit ihnen die Geschichte des Berliner Nachtlebens.
Damals, als es noch Freiräume gab
Baldwin kam vor der Wende als amerikanischer GI nach Berlin, Künster zum Studieren. Marquardt absolvierte in der DDR eine Ausbildung zum Fotografen. Nach dem Mauerfall tauchten alle drei ein in die Welt der Clubs, die nun überall in verlassenen Gebäuden entstanden. Damals, als es sie noch gab: die Zwischennutzungen, die Freiräume. Die großen Partys.
Künster und Baldwin waren Türsteher im legendären Cookies in Mitte, Marquardt ist mit seinen vielen Tattoos und Piercings längst zum Gesicht des Berghain geworden. In schönen, langsamen Bildern zeigt der Film die drei unterschiedlichen Männer in ihrem Alltag, beim Autofahren, Familienbesuch oder Spaziergang am Strand. Baldwin und Künster sieht man auch beim Arbeiten an der Tür, Letzteren insbesondere dabei, wie er Küsschen und enge Umarmungen an hübsche Frauen verteilt. Aber natürlich kann er auch anders: „Geh jetzt weg oder ich schubs dich!“, droht Künster einem an, der seine Abweisung nicht akzeptieren will.
Was im Berghain passiert, soll auch dort bleiben
Marquardt wird nur bei seinem sehr erfolgreichen „Dayjob“ gezeigt, dem Fotografieren. Das Berghain erlaubte weder das Filmen in den Räumen noch am Einlassbereich davor – was sehr schade ist, aber auch nicht überraschend. Was im Berghain passiert, soll bitte auch dort bleiben. Dietl sagt, er könne das gut verstehen. Zumal es ihm vor allem um die Biografien der Männer gegangen sei und nicht darum, Menschen beim Feiern zu zeigen. „Wenn jemand wissen will, wie es im Berghain ist, dann soll er am besten hingehen und schauen, ob er reinkommt“, sagt er. „Das ist viel spannender als alles, was ich in diesem Film hätte zeigen können.“
Der heute 40-jährige Dietl war selbst viel feiern, als er Anfang der 2000er nach Berlin kam, um an der Deutschen Film- und Fernsehakademie zu studieren. Er kannte Künster und Baldwin noch aus dem Cookies, das 2014 endgültig schloss. In „Berlin Bouncer“ wird nicht allzu viel erzählt, wer die Orte und Menschen, um die es geht, nicht selbst kennt, bekommt zwar eine Idee von ihnen, aber nichts Konkretes zu fassen. Zwischendurch fühlt es sich fast so an, als sei man nicht in den Club reingekommen.
Der Film zeigt seine Protagonisten auch verletzlich
Und so ist der Film am schönsten, wenn es nicht um die zwar freie, aber auch ausschließende Feierszene geht, sondern wenn sich die Protagonisten verletzlich zeigen. So hat Marquardt der Berghain-Job zwar weltberühmt gemacht, aber offenbar auch einsam. Ständig muss er befürchten, dass Leute seine Bekanntschaft ausnutzen, um an den Club heranzukommen.
Obwohl Marquardt selbst eine facettenreiche Persönlichkeit ist, scheint er ein wenig im Schatten des berühmten Technoclubs zu stehen. Auch das haben Regisseur und Protagonist gemein: Was bei dem einen der Club, ist bei dem anderen der Vater: So habe der Sohn des berühmten Regisseurs Helmut Dietl Marquardt immerhin davon überzeugen können, beim Film mitzumachen.
„Ich habe kein Problem damit, über meinen Vater zu sprechen“, sagt Dietl. „Aber natürlich wünsche ich mir auch, dass ich irgendwann einmal für mich selbst stehe.“ Berlin habe es ihm da sehr leicht gemacht. „Hier war es immer egal, wer mein Vater ist. Es kam darauf an, wer man selbst ist und was man macht.“ Vor drei Jahren ist er aber trotzdem nach München zurückgezogen – der Familie wegen.
„Berlin nimmt einem auf Dauer sehr viel Energie. Durch diesen ständigen Input hat mir irgendwann die Zeit gefehlt, das zu verarbeiten. Wenn man kreativ arbeitet, braucht man aber auch mal eine Pause, und die gibt Berlin einem nicht“, sagt Dietl. „Deshalb kann ich in München, wo ich keine Angst habe, irgendwas zu verpassen, sehr produktiv sein. Aber um mir meine Inspiration zu holen, muss ich dann wieder nach Berlin kommen.“
Und so ist „Berlin Bouncer“ auch irgendwie eine Liebeserklärung, ein Berlinfilm, der das Gefühl dieses besonderen Ortes einfängt. Seine Nostalgie, der sehnsuchtsvolle Blick auf die Jugend macht ihn umso passender für eine Stadt, in der Erwachsenwerden schwierig ist – die es aber gerade selbst versuchen muss.
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