Der Attentäter von Christchurch: Das inszenierte Massaker
Der Todesschütze von Christchurch filmte sein Massaker per Helmkamera und übertrug die Morde live ins Netz. Über Ego-Shooter und die modernen Medien.
Ein Livevideo, aufgenommen mit einer Helmkamera, erinnert unweigerlich an Videospiele, die aus der Ego-Perspektive gesteuert werden und in denen es darum geht, möglichst schnell möglichst viele virtuelle Gegner zu besiegen. „Wie ein Egoshooter“, heißt es jetzt zum Attentäter von Christchurch, der am Freitag in zwei Moscheen 49 Menschen ermordete, darunter auch Kinder.
In Deutschland ist die Debatte um Videospiele vom Begriff „Killerspiele“ geprägt. Videospiele mit Gewaltinhalten, eben die Ego-Shooter, führen zur Verrohung, so die Annahme. Schon beim Columbine-Amoklauf im Jahr 1999, als zwei junge US-Amerikaner zwölf Mitschüler an einer Highschool erschossen, nahm die Tatsache, dass einer der Attentäter das Ego-Shooter-Spiel„Doom“ spielte, viel Raum in der Berichterstattung ein. Inzwischen gibt es endlos viele Studien dazu, ob Videospiele gewalttätig machen. In der Menge lautet das Ergebnis: Nein. Aber die Zusammenhänge sind wohl viel zu komplex, um ihr mit einer derart einfachen Frage beizukommen.
Bei den Ego-Shootern, die oft auch etwas dünkelhaft als Ballerspiele bezeichnet werden, geht es in erster Linie um Reflexe. Die Gewaltdarstellung ist die Oberfläche, vor allem müssen die Spielerinnen und Spieler Herausforderungen meistern und wollen sich aneinander messen. Wer schätzt die Umgebung, die eigenen Mittel und die Gegner am besten ein? In Sekundenschnelle müssen Entscheidungen getroffen werden: Welchen Knopf des Controllers betätige ich?
Für viele ist es ein Ausgleich im stressigen Alltag, ein kurzes Vergessen – und die Möglichkeit, sich zu beweisen. Nicht umsonst dominieren die Ego-Shooter-Spiele auch im E-Sport viele Turniere. Es geht weniger um das virtuelle Töten als um das virtuelle Erfolgserlebnis.
Mit Christchurch ist eine andere, grausame Dimension erreicht, denn der 28jährige australische Mörder hat sein Massaker in Neuseeland mit den modernen Mitteln der Interaktivität inszeniert. Er ließ andere live auf Facebook dabei zusehen, wie er tötet. Auch das kennt man aus den Spielen selbst. In sogenannten „Let’s Plays“ kann man Livestreamern und Youtubern beim Spielen zuschauen, was für viele genauso faszinierend ist wie das Selber-Spielen. Und für viele junge Leute ist das Videospiel die erste Referenz, wenn es um Ästhetik oder Erzählweise von medialen Erzeugnissen geht. Die Branche macht mehr Umsatz als die Filmindustrie.
Helmkameras tragen heute viele Hobbysportler. Und jeder macht Selfies
Nicht nur Literatur oder Filme, auch Videospiele formen den Blick auf die Welt. Und die Möglichkeit, direkt auf die Umwelt einzuwirken – mit einem Knopfdruck die Gegner wie die Freunde zu einer Reaktion zu bringen, findet sich auch in weiten Teilen der sozialen Medien wieder. Mit Kameras auf dem Kopf sind Surfer, Skateboarder oder Bergsteiger unterwegs. Sie produzieren Videos, laden sie hoch, auf Facebook, Instagram, Youtube. Per Knopfdruck werden täglich Millionen Selfies veröffentlicht, meist in der Hoffnung, viele Likes zu bekommen, gesehen zu werden und Anerkennung für das zu erhalten, was man tut. Man setzt etwas in die Welt, das sich dann selbst verbreitet.
Der Mörder kündigte seine Tat auf einer rassistischen Plattform an
Moderne Medien leben von dieser Interaktion, die auch der Attentäter von Christchurch betrieb. Ein doppeltes Schrecknis: Er lebte die Games-Fantasien in der Realität aus und spielte gleichzeitig ein mörderisches Spiel mit der Wirklichkeit. Wenn sich soziale Medien und Videospiele überschneiden, potenziert sich oft die ausgrenzende Sprache. In seinem Video nannte der Täter den Youtuber PewDiePie. Der Schwede hat 89 Millionen Abonnenten auf der Plattform, viele seiner Videos drehen sich um Videospiele. In der Vergangenheit fiel er auch mit der Verharmlosung von rassistischen Witzen auf. Vor dem Massaker kündigte der Attentäter seine Tat auf 8Chan an, einem für rassistische, homophobe und misogyne User bekannten Internetforum. Oft sind sie Videospiel-affin. Auch hier besteht kein automatischer Zusammenhang zwischen Video-Konsum, dem Schreiben in Foren und dem Morden. Doch stellt sich die Frage, wieso gerade in der Umgebung von Videospielen so viel toxisches Verhalten zu beobachten ist.
Das Medium diversifiziert sich immer mehr aus. Entwickler bemühen sich darum, auch Menschen darzustellen, die nicht männlich, weiß, heterosexuell sind. Bei einigen Spielern stößt das auf Ablehnung. Noch immer kann es für Frauen und nicht-weiße Menschen problematisch sein, an Online-Spielen teilzunehmen. In Teilen der Community wird verachtende Sprache als normal angesehen.
Wir gegen die, das gibt es in den Spielen wie bei den Spielern selbst
Über die sozialen Medien und in Kommentarbereichen wird die vermeintliche Politisierung der Videospiele angeprangert. Spiele mit weiblichen Charakteren etwa werden als Versuch gewertet, den "Gamern" ihr Medium zu nehmen. Es entsteht eine Wir-gegen-die-Mentalität, nicht unähnlich den Narrativen der Videospiele. Auch hier gilt es zu dominieren.
Die Öffentlichkeit stellt die Games gern in die gesellschaftliche Schmuddelecke, wo solche Menschen unter sich bleiben. Welche Mitverantwortung hat die Industrie, hat ein Influencer wie PewDiePie? Welche Sprache, welche Verhaltensweisen umgibt Videospiele? Wegschauen hilft nichts, auch nicht Verharmlosung oder pauschale Kriminalisierung. Wer Christchurch begreifen will, muss sich auch mit der Spielkultur der Egoshooter befassen.
Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, der Schwede PewDiePie habe 76 Millionen Abonnenten auf Youtube. Wir haben die Zahl korrigiert.
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