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"Rinse and Repeat" ist ein Cruising-Simulator, in dem man Männern unter der Dusche begegnet.
© Robert Yang

Queere Figuren in Videospielen: Schwule Schläger und verliebte Mädchen

Videospiele waren lange vor allem auf ein männliches, heterosexuelles Publikum ausgerichtet. Inzwischen gibt es immer mehr queere Figuren und Geschichten in den virtuellen Welten. Ein Streifzug.

In der Männerdusche eines Fitnessstudios. Ein Mann kommt herein und gibt dem nächstbesten Duschenbesucher eine Rückenmassage. Keine ungewöhnliche Szene? Doch, denn hier handelt es sich um ein Videospiel. Es heißt "Rinse And Repeat" und kann umsonst im Netz heruntergeladen werden.

Mit einer ähnlichen Szene wie diese Crusing-Simulation begann auch die erste Staffel der Erfolgsserie "Orange Is The New Black" - allerdings war sie in einem Frauengefängnis angesiedelt. Und ganz ähnlich wie in TV-Serien tauchen auch in Videospielen zunehmend queere Themen und Charaktere auf. Die Spieler und Spielerinnen haben die Möglichkeit, verschiedene Sexualitäten auszutesten.

Doch bis zu diesem Punkt war es ein langer Weg. Homosexuelle Spiel-Charaktere galten in den 80er und 90er Jahren kaum als Kaufargument, vielmehr wurden sie als Risiko gesehen. Deshalb war es vor allem an den Indie-Entwicklern, queere Geschichten zu erzählen und queeren Figuren einen Platz in diesem interaktiven Medium zu verschaffen.

Geht man den Pfad zur heutigen relativen gegenüber Offenheit queeren Charaktere entlang, so begegnet man zunächst nur kleinen, kaum wahrnehmbaren Nebenfiguren. Über homosexuelle Figuren wurde mehr gemunkelt, es gab Andeutungen, Charaktere äußerten subtile Liebesbekundungen. In Booklets fand man obskure Beschreibungen. Kurzum, es existierten nur wenige offen als queer inszenierte Charaktere. Und wenn doch, dann handelte es sich oft um die stereotype Tunte. So etwa in "Streets of Rage 3“ (1994), ein Kampfspiel, in dem ein Endgegner der flamboyante "Ash“ war. Diese nur in der japanischen Version enthaltene Figur war eine nerviger Typ, nur dazu da, verprügelt zu werden.

"Ash" ist schwul. Darum muss er Leder tragen:

Bekannter dürfte die Figur "Birdo“ sein. Den ersten Auftritt, wenn auch noch unter dem Namen "Ostro“, hatte sie im 1992 veröffentlichten Jump'n'Run-Spiel "Super Mario Bros. 2" (in Japan zuerst unter dem Titel "Yume Kōjō: Doki Doki Panic“ erschienen). Seitdem ist dieser Charakter in vielen Nintendo-Spieleserien aufgetaucht: "Mario Kart", "Mario Tennis", "Mario Golf" und weitere.

Eine transsexuelle Eierspuckerin

Interessant an diesem pinken Wesen mit eierschießender-runder Mundöffnung ist, dass dieses im Booklet der ersten Veröffentlichen auf dem US-amerikanischen Markt als Mann beschrieben wird, der aber denkt, eine Frau zu sein. Seitdem hat Nintendo viel herumlaviert. Mal war es eine Frau, die "Birdo" eine Stimme gegeben hat. Dann wieder wurde der Figur eine „neutrale“ Stimme eingeschrieben (gesprochen, im herkömmlichen Sinne, hat sie sowieso nie). Auch heißt es in einigen Spielen, dass "Birdos" Geschlecht nicht definierbar sei. Dann wieder greifen andere Spiele erneut die ursprüngliche Zuschreibung auf. Dass es sich bei "Birdo" um einen transsexuellen Charakter handelt, wird jedoch nie offen gesagt. Dennoch gilt sie als erste transsexuelle Figur in einem Videospiel.

Birdo spuckt Eier, fährt Kart und spielt Tennis.
Birdo spuckt Eier, fährt Kart und spielt Tennis.
© Nintendo

Überhaupt tut sich Nintendo schwer damit, queere Charaktere in seine Spiele einzubauen. Betont wird immer wieder die Familienfreundlichkeit des Unternehmens. In der Lebenssimulation "Tomodachi Life“ (erschienen April 2013 in Japan, Juni 2014 in Europa) war es den Spielenden nicht möglich, homosexuelle Lebenspartnerschaften einzugehen. Nach Kritik von Fachpresse und Publikum äußerte Nintendo schlichtweg, dass das Spiel kein gesellschaftlicher Kommentar sei und man solche Art Beziehungen daher nie eingeplant hätte.

Dass sich Spieler und Spielerinnen einfach nur selbst in einer Lebenssimulation wiederfinden wollen, oder – welch verrückter Gedanke – auch nicht-queere Menschen gerne einmal "das Andere" in einem Spiel ausprobieren möchten, kam Nintendo offenbar nie.

Doch sobald man ganze Personengruppen aus einem Spiel ausschließt, wird es unweigerlich zu einem gesellschaftlichen Kommentar. Denn es propagiert ein Familienbild, das nur Verbindungen zwischen Männer und Frauen zulässt.

Homosexuelle Figuren stoßen bei vielen Gamern auf Ablehnung

Sei Mann, sei Frau, sei Queer. Fallout 4 bietet ungeahnte Freiheiten.
Sei Mann, sei Frau, sei Queer. Fallout 4 bietet ungeahnte Freiheiten.
© Bethesda

Dabei kann es so einfach sein. Inzwischen bieten die meisten Rollenspiele die Möglichkeit, für die Hauptfigur sowohl das eigene Geschlecht zu bestimmen als auch frei das Objekt der Begierde zu wählen. Ob es sich dabei dann um eine Mann oder Frau handelt – wen kümmert das?

Spielereihen wie "Mass Effect", "Fable" oder "Fallout" lassen den Spielenden nicht nur beim Erkunden der Spielewelt viele Freiheiten. Sie bieten auch die Möglichkeit, die Sexualität der Spielefigur auszutesten. Wen will ich steuern, wer will ich sein? Eine Frage, die ganz individuell beantwortet werden kann.

Wenn ein Action-Rollenspiel wie "Fallout 4" (2015) dann auch noch Polyamorie ermöglicht, also die binäre Begehrensstruktur aufhebt, dann sind dem Spiel mit den Sexualitäten kaum noch Grenzen gesetzt – zumindest in einer virtuellen Welt.

Neben diesen selbstgeschaffenen queeren Charakteren erscheinen aber auch immer mehr Spiele, die Geschichten erzählen, in denen dezidiert queere Figuren eine Rolle spielen. Diesen ist eine queere Identität eingeschrieben und von den Spielenden so anzunehmen.

Diese Spiele sorgen nach wie vor für Kontroversen, wenn sie erscheinen. Ein Äquivalent des "besorgten Bürgers“ gibt es auch unter Videospielern. Sie tendieren dazu, in den Spielen nur männliche, heterosexuelle und weiße Figuren zu akzeptieren – denn das ist nach wie vor die dominante Zielgruppe der Games. Als die Entwickler des Rollenspiels "Dragon Age: Inquisition“ (2014) den Charakter "Dorian" eindeutig schwul inszenierten, stieß das auf teils heftige Ablehnung.

"Dorian" - der Mann mit Schnurrbart - beim Liebesspiel:

"Dorian" ist ein selbstgewählter Außenseiter, der seine Herkunft, eine vermögende und einflussreiche Familie, hinter sich lassen möchte. Und er steht auf Männer. Dass die Integration dieses Charakters Kontroversen nach sich ziehen würde, war dem verantwortlichen Schreiber David Gaider klar, wie er vor Veröffentlichung des Spiels in einem Interview sagte.

Das Publikum will berührende Geschichten

Inzwischen gibt es für solche Innovationen immer öfter Lob von der Fachpresse und den aufgeschlosseneren Teilen des Publikums. So punktet etwa der DLC (Downloadable Content = kaufbarer Zusatzinhalt) zu dem Action-Adventure Spiel "The Last of Us“ durch seine fein erzählte Beziehungsgeschichte. In diesem Endzeitszenario unter dem Titel "Left Behind" erleben die Spielenden den Hauptcharakter "Ellie“ und ihre Freundin "Riley“ dabei, wie sie einige wenige schöne Stunden in einer ansonsten tristen und brutalen Welt erleben können. Erzählerischer Höhepunkt ist dabei ein Kuss zwischen den beiden jungen Frauen.

Es ist eine schöne, nuancenreiche Geschichte mit zwei glaubhaften Charakteren – keine Selbstverständlichkeit, denn Videospiele werden oft von Pappfiguren bevölkert, denen man ihre Beweggründe und Vergangenheit kaum abnehmen mag.

Der Trend geht zu vielschichtigeren Figuren

Ein Familienfoto. In "Gone Home" erzählt vor allem die Umgebung die Geschichte.
Ein Familienfoto. In "Gone Home" erzählt vor allem die Umgebung die Geschichte.
© thefullbrightcompany

Der einst schmale Pfad der queeren Videospielgeschichte ist inzwischen also schon sehr viel breiter geworden. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist "Mortal Kombat", das als eines der brutalsten Videospiele überhaupt gilt. Ziel ist es, den Gegner oder die Gegnerin im Zweikampf möglichst brutal umzubringen. Mit den sogenannten "Fatalities“ wird den Spielenden am Ende des Kampfes der Raum geboten, mit geradezu obszönen Moves das letzte Leben aus dem/der Unterlegenen zu quetschen. Wirbelsäulen werden herausgerissen, Menschen in zwei Hälften geteilt.

Fraglich ist, wieso ein solches Spiel überhaupt Charaktere braucht, deren Sexualität thematisiert wird. Dass "Mortal Kombat X" (2015) dies trotzdem tut, kann daher zuweilen grotesk wirken. Etwa wenn auf hölzerne Weise der Hintergrund der Figur "Kung Jin“ erzählt wird. In seinem Eingangsstatement vor dem Kampf erklärt er, dass die Shaolin-Mönche ihn nicht ausbilden wollten, weil sie nicht mit seinem Begehren einverstanden waren.

Keine Tunte mehr. Der homosexuelle "Kung Jin“ (links) im Kampf:

Sehr viel subtiler und vor allem weniger brutal geht das Indie-Spiel "Gone Home" vor. In diesem übernimmt man die Rolle einer jungen Frau, die nach längerer Europa-Reise zurück ins Elternhaus kommt und dieses leer auffindet. Die Spielenden müssen herausfinden, was passiert ist. Durch Briefe, Tonbänder oder kleine Notizen, die beim Streifen durch das Haus gefunden werden, können sie die anrührende Geschichte einer verzweifelten und verunsicherten Schwester rekonstruieren. Diese hatte sich in eine Freundin verliebt – ein Gefühl, das auf Gegenseitigkeit beruhte. Die beiden wollten zusammen durchbrennen. Quasi unmerklich werden die Spielenden in "Gone Home" dazu gebracht, sich in die Situation einer jungen lesbischen Frau hineinzuversetzen.

Komplexere Charakterzeichnung verleiht einem Spiel höhere Glaubwürdigkeit

Es ist offensichtlich, dass sich der Umgang des Mediums Videospiel mit queeren Themen inzwischen sehr diversifiziert hat. Statt des groben Pinsels greifen die Entwickler immer öfter zum spitzen Bleistift, um vielschichtige Charaktere zu zeichnen. Die größere Komplexität und Diversität trägt auch zu einer höheren Glaubwürdigkeit ihrer Spiele bei. Und es ist ein Gewinn, wenn Spielenden die Möglichkeit gegeben wird, sich selbst in einem Videospiel wiederzufinden. Oder etwas kennenzulernen, was erstmal fern und fremd scheint.

Fest steht, dass queere Geschichten und Charaktere inzwischen einen Pfad in das Zentrum dieses Mediums schlagen konnten. Zu hoffen bleibt, dass dieser Pfad nun von noch mehr Menschen beschritten wird.

Mehr LGBTI-Themen erscheinen auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an: queer@tagesspiegel.de.

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