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Goldenes Handwerk. Ein Blick in die Werkstatt in Werder.
© Jonas Zerweck

Preisgekrönte Geigenbauer: Das Holz macht den Klang

Mira Gruszow und Gideon Baumblatt bauen Geigen und gewinnen Medaillen. Ein Werkstattbesuch in Werder.

Der hölzerne Duft hüllt die Werkstatt ein wie ein dezentes Parfüm. Die glatt gesägten Holzscheite, die fein sortiert die Regale bis unter die Decke füllen, verströmen ihren Geruch. In der Ecke liegen zusammengekehrte Holzspäne, auf den Werkbänken sammeln sich Stifte, Leimfläschchen, Schnitzmesser. Messer hängen an der Wand über den Arbeitsflächen.

Mira Gruszow schabt an der Werkbank breite Holzflocken aus der Platte, auf der sie vorher mit Bleistift einen Geigenumriss gezeichnet hat. Auf dem Sofa mitten im Raum liegt eine Bratsche, eine ganz besondere. Eine Preisgewinnerin.

Als in der Küchenzeile der Wasserkocher blubbert und die Teetassen bereitstehen, unterbrechen Mira Gruszow und Gideon Baumblatt ihre Arbeit und nehmen sich Zeit, vom Geigenbau zu erzählen. Ihre geduldige Art passt an diesen wohligen Ort, den sie sich vor eineinhalb Jahren neben der Berliner Werkstatt in Werder an der Havel aufgebaut haben und der durch ihre Leidenschaft, Geigen, Bratschen und Celli zu bauen, zum Leben erweckt wird. Dieses Jahr wurde die Hingabe der beiden, die auch privat ein Paar sind, belohnt. Beim Wettbewerb der Violin Society of America in Cleveland erhielten Gruszow und Baumblatt zwei Silbermedaillen und eine Doppelgoldmedaille.

Doppelgold wird sehr selten verliehen

Gerade die Doppelmedaille bedeutet einen großen internationalen Erfolg. Vier Tage lagen die Instrumente in Cleveland in einem Saal aus. Zwei Jurys – ein Gremium aus Musikern für den Klang, eins mit Geigenbauern für das Handwerk – urteilten über viele hundert Instrumente. Die Violine aus Werder erhielt von beiden Jurys die Höchstwertung, was selten vorkommt. Nach den Regeln des US-Geigenbauwettbewerbs ist dafür Doppelgold vorgesehen.

Die Besonderheit ihrer Violine liegt im historischen Vorbild, einem Instrument von Carlo Bergonzi, also weder einer Stradivari noch einer Guarneri, wie es sonst üblich ist. Auch die Meisterschaft ihres Handwerks und der charakteristische Klang überzeugte die Jurys. Das Cello der beiden und die vier Instrumente ihres Streichquartetts – also zwei Geigen, Bratsche und Cello – zeichnete die Klangjury mit ihrer höchsten Wertung aus. Dafür gab es zwei Silbermedaillen. Beim Quartett etwa lobte die Jury, wie gut aufeinander abgestimmt die Instrumente klingen, während sie gleichzeitig einen eigenen, unverkennbaren Charakter behalten.

Von den ausgezeichneten Instrumenten schaffte es nur die Bratsche bis nach Hause zurück. Die anderen haben Musiker in Cleveland gleich vom Fleck weg gekauft. Hier in Werder sieht die Verbliebene fast ein bisschen stolz aus, wie sie da nun alleine auf dem satten Dunkelgrün des Sofas liegt. Ihre beiden Schöpfer werfen ihr lächelnd einen Blick zu. „Der Sieg verschafft uns Anerkennung und Respekt unter Kollegen und auch internationale Bekanntheit. Wir bekommen gerade alle möglichen Anfragen aus Amerika, Australien oder China“, berichtet Gideon Baumblatt.

Sechs Instrumente, das ist die Jahresproduktion

Trotzdem wollen die zwei ihre Jahresproduktion von sechs Instrumenten nicht vergrößern. Finanziell kommen sie klar, eine Geige aus Werder kostet eine Summe im niedrigen bis mittleren fünfstelligen Bereich. Außerdem: „Es wäre uns zu wenig, wenn wir Instrumente nur bauen würden. Großen Spaß macht uns auch die gemeinsame Arbeit mit den Musikern, wenn wir nach dem richtigen Klang suchen und das Instrument später genau für ihre Bedürfnisse einstellen“, sagt Mira Gruszow.

Der Austausch mit den Musikern beginnt oft lange vor dem Kauf und geht weit über diesen hinaus. Zunächst muss geklärt werden, welche Klangvorstellungen der Musiker hat. Mit diesem Ziel entscheiden die Geigenbauer über jeden Parameter und jedes Detail: wie das Holzstück gewachsen sein muss, wie dick der Steg wird, welche genaue Form das Griffbrett bekommt, aus wie viel Holz der Halsfuß besteht, mit dem der Hals auf dem Körper steht. Dabei folgen sie einer Intuition, die sich aus Erfahrungen und dem Wissen um die Instrumente speist.

Geigenbauerdoppel. Mira Gruszow und Gideon Baumblatt.
Geigenbauerdoppel. Mira Gruszow und Gideon Baumblatt.
© privat

Später stellen die Geigenbauer das Instrument über Monate hinweg immer wieder genauer ein. Meistens handelt es sich um Korrekturen, für die sie das Instrument nicht auseinandernehmen müssen. So kann etwa die Position des Stegs verändert oder seine Form leicht angepasst und der Stimmstock im Innenraum anders gesetzt werden. Doch selbst wenn es dann genauso klingt, wie der Musiker es sich wünscht, bleiben sie oft noch in Kontakt. Bei professioneller Nutzung kommt die Geige, Bratsche oder das Cello mindestens einmal pro Jahr zur Pflege – es ist ein bisschen wie der TÜV beim Auto.

Gruszow und Baumblatt entwickeln ihre Instrumente auf der Grundlage von nur wenigen Modellen. Sämtliche Celli basieren auf einem Prototypen, bei den Violinen sind es vier. „Modell“ meint in diesem Fall den Umriss des Instruments, die Form der f-Löcher und der Schnecke sowie eine individuelle Stilistik der Bauweise. Das jedes der Streichinstrumente dennoch einen ganz eigenen Charakter bekommt, liegt daran, dass schon die winzigste Veränderung eines Parameters den Klang maßgeblich beeinflusst. Das kann die Holzsorte betreffen, die Holzdicke, die Wölbung oder die Art, wie die Teile miteinander verbunden werden. Oder Details wie die Anhängesaite ganz am Ende der Violine, die den Saitenhalter an den Holzkörper spannt, die aus Kevlar oder Schafsdarm bestehen kann. Das natürliche, traditionelle Material gibt dem Klang etwas mehr Wärme gegenüber dem modernen Kevlar.

Alte Instrumente sind nicht immer das Nonplusultra

„Solange wir unsere Modelle so weiterentwickeln können, dass jede Version interessanter ist als die vorherige, brauchen wir kein neues Modell“, finden die beiden. Hinzu kommt, dass Gruszow und Baumblatt ihre wenigen Basismodelle mit jedem neuen Werkstück besser verstehen und für künftige Instrumente dazulernen. Ein neues Modell käme nur dann infrage, wenn es faszinierende, bislang unbekannte Möglichkeiten bietet.

Die genaue Kenntnis ihrer Instrumente ist für die Musiker von großem Vorteil. „Wer eine Stradivari besitzt, kann damit von einem Geigenbauer zum nächsten gehen, und jeder hat eine andere Idee, wie man sie einstellt. Da gibt es unheimlich viele Variablen. Wir wissen dagegen genau, wie unsere Instrumente funktionieren.“ Natürlich sind auch in der Werkstatt in Werder die großen Namen der Geigenbaugeschichte präsent. Stradivari und Guarneri, die um 1700 in Italien das goldene Zeitalter des Geigenbaus prägten, stehen wie Elefanten im Raum.

„Einige der alten Instrumente gelten ja als das Nonplusultra, auch wenn man sich die Preise anschaut. Aber die Preise gehen nach den Namen, nicht nach dem Klang“, meint Baumblatt. „Es ist heute ein Kunstmarkt, ein Antiquitätenmarkt“, ergänzt Gruszow. Neben wenigen gut funktionierenden historischen Instrumenten lässt sich auf vielen dieser Antiquitäten nur mehr schwer spielen.

Die Branche erlebt gerade ihr Goldzeitalter

„Da haben die Musiker dann zu kämpfen und sind eher froh über ein gutes, neues Instrument“, weiß Gideon. Auch Blind-Tests haben bestätigt, dass moderne Instrumente oft als bequemer empfunden werden. Sie reagieren weniger stark auf Temperaturschwankungen oder Luftfeuchtigkeit, das macht sie zuverlässiger. Und die alten macht es unverhältnismäßig teuer, eignen sie sich doch kaum für den täglichen Gebrauch.

Mira Gruszow und Gideon Baumblatt können heute alleine vom Neubau leben: „Vor 20 Jahren gab es nur wenige, die sich das leisten konnten. Die meisten führten nebenher einen Laden, in dem sie alles anboten, vom Saitenverkauf bis zu Reparaturen. Das kostete Zeit, die dann für die Entwicklung neuer Instrumente fehlte. Die Qualität konnte so ein gewisses Maß meist nicht überschreiten.“ Heute ist das anders, die Szene spricht sogar von einem neuen Goldzeitalter. Die gestiegene Nachfrage nach neuen Instrumenten macht’s möglich.

Gruszows Telefon klingelt: Der Holzlieferant aus Südtirol steht mit seinem Wagen voller bestelltem Nachschub unten auf der Straße. Ganz bestimmtes Holz muss es sein: Für die Celli etwa Ahorn oder Fichte aus den Bergen, aus einer Höhe von mindestens 1000 Metern, wo es besonders langsam wächst. Zeit ist ohnehin wichtig: Bevor aus den Scheiten tatsächlich ein Instrument wird, lagert das Holz bei den Geigenbauern nochmals über Jahre. Aber brauchen sie wirklich noch mehr Holz? Der Blick wandert die Regale hoch. Auch im Keller gibt es reichlich – mehr, als sie verarbeiten können. Und doch gibt es durchaus noch Platz. Die große Auswahl ist wichtig. Schließlich geht es den Geigenbauern in Werder darum, immer das perfekte Stück Holz für den ganz besonderen Klang zu finden

Jonas Zerweck

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