Geigenbaumeisterin Sabine Mlangeni in Steglitz: Leinöl, Ahornholz und Orchestermusik
Geigenbauerin Sabine Mlangeni kann alle Streichinstrumente bauen - und muss sich dafür jeden Tag neu erfinden. Am Ende zählt nur: Klingt die Geige gut oder nicht? Der Tagesspiegel-Zehlendorf hat sie in ihrer Werkstatt besucht.
Mit einem Spatel verteilt Sabine Mlangeni weißes Pulver auf den Hals einer Geige. Sie rückt sich ihre Arbeitslampe zurecht, um besser sehen zu können. Es duftet nach Leinöl. Damit tränkt sie ein Stück Stoff und poliert das Holz. Es ist Ahornholz aus den Bergen; von Bäumen, die in einer Höhe von mehr als 1000 Metern gewachsen sind. Vorsichtig und mit großer Sorgfalt geht sie vor. Mit dem Pulver werden auch kleinste Partikel entfernt. Fingerspitzengefühl ist gefragt. Denn ein falscher Handgriff kann später bedeuten, dass das empfindliche Instrument nicht mehr klingt. Sabine Mlangeni ist Geigenbaumeisterin und sie hat eine eigene Werkstatt im Herzen von Steglitz; unweit der Schloßstraße.
Hier bei ihr fühlt es sich an wie auf einer Insel, fernab der Zivilisation. Draußen das quirlige Treiben im Steglitzer Hot Spot: Feuerwehr und Notdienst fahren mit Martinshörnern im Eiltempo vorbei, Menschen laufen kreuz und quer über die Albrechtstraße, Autos hupen, Passanten schimpfen und von weitem ist die S-Bahn zu hören. Tür auf. Tür zu. Drinnen ist es fast ganz still. Nur das leise Schaben des in Leinöl getränkten Tuches ist zu hören. Holz, eine Hobelbank mit Bohrmaschine, Sägen und Schnitzwerkzeuge – es sieht aus wie in einer Werkstatt in einem entlegenen Bergdorf. Mittendrin Streichinstrumente: Geigen, Bratschen, Celli.
Im Moment repariert Sabine Mlangeni die kaputte Geige eines Orchestermusikers. „Es muss ein Unfall während einer Orchesterprobe gewesen sein“, vermutet sie. Der Hals der Geige war herausgerissen und die so genannten Zargen beschädigt. Sie musste das Instrument komplett in seine Einzelteile zerlegen: das sind Boden, Decke, Zargen und Hals mit Schnecke. Hinzu kommen Kleinteile wie ein Steg, Saiten und Wirbel. Was viele nicht wissen: im Inneren befinden sich noch zwei für den Klang wichtige Elemente, die sogenannte Stimme, ein Stab aus Fichte, der aufrecht in den Geigenkörper hineingestellt wird und ein in die Decke geleimter Bassbalken, der den Basston verstärken soll.
All das auseinander und wieder zusammen zu bauen, obliegt einem ausgeklügelten System und ist filigrane Handarbeit. „Man braucht Geduld und muss in gewisser Weise pedantisch sein“, beschreibt die Geigenbaumeisterin. Aber auch das robuste Handwerk wie Sägen und Hobeln gehört im Grunde dazu, zumindest beim Bauen einer Geige. Sabine Mlangeni hat sich jedoch auf die Reparatur und Restaurierung der Instrumente spezialisiert. Selten kommt sie noch dazu, eine Geige selbst zu bauen.
Erst seit etwa zwei Jahren gibt es ihre Werkstatt hier in Steglitz. Vorher arbeitete die 52-Jährige in Zehlendorf, wo sie mit ihrem Mann und den Kindern auch wohnte. Der Umzug nach Steglitz war riskant, wie sie sagt. Aber es habe sich schnell herumgesprochen, dass sie jetzt hier arbeite. Musikschulkinder, Profimusiker, Laien oder Antikliebhaber kommen zu ihr. Das große Schaufenster zur Werkstatt lädt Passanten ein, stehen zu bleiben und ihr bei der Arbeit über die Schultern zu schauen. Das ist auch ihr Ansatz. Denn sie findet, dass jeder Zugang zum Geige spielen, hören oder in ihrem Fall bauen haben sollte; nicht nur ein elitärer Kreis.
Dass sie sich hier im Kiez wohl fühlt, betont sie mehrfach. „Ich bin sehr freundlich aufgenommen worden; vor allem von den Inhabern der benachbarten Geschäfte.“ Man halte zusammen, trinke dann und wann gemeinsam einen Kaffee, rauche eine Zigarette und klöne über das Leben.
Sabine Mlangeni setzt die Brille ab und lächelt breit. Dabei sieht sie viel jünger aus, wie ein Mädchen, das sich einen lang ersehnten Herzenswunsch erfüllt hat. Ja. Und so ist es auch, sagt sie. Denn immer schon wollte sie Geigenbauerin werden. Sabine Mlangeni kommt ursprünglich aus Irsee im Allgäu in Bayern. Als Kind lernte sie Geige spielen, doch das Musizieren weckte nicht die große Begeisterung in ihr. Viel mehr liebte sie es, kreativ mit den Händen zu arbeiten; etwas handwerklich zu schaffen. „Damit war ich schlichtweg erfolgreicher und bekam mehr Lob“, erinnert sie sich.
Schon früh habe sie beispielsweise kleine Spielschränke oder Skulpturen entworfen und gebaut. Ein Schulausflug mit ihren Klassenkameraden in das Geigenbaumuseum und die Staatliche Instrumentenbauschule nach Mittenwald brachte schließlich die Entscheidung. Ihr Berufswunsch stand fest. Da war sie gerade zwölf. Ihre erste Geige baute sie mit 19.
„Heute ist es mir ein Rätsel, wie ich das damals gemacht habe“, wundert sich Mlangeni. Zwar habe sie Vorlagen und eine Anleitung durch einen Meister gehabt, aber inzwischen wisse sie eben, wie viel schief gehen kann. Der kleinste Riss im Holz, eine ungleichmäßige Lackierung oder auch eine Unausgewogenheit in der Wölbung des Corpus können den Klang verändern. Deshalb wollte sie unbedingt alles über dieses Instrument lernen und machte drei Jahre lang eine Berufsausbildung zur Geigenbauerin in Mittenwald. Diesen begehrten Platz überhaupt zu bekommen, ist nicht einfach. Bis heute gibt es mehr Bewerber als zugelassen werden. Im Jahrgang von Mlangeni waren es damals zwölf Azubis.
Sie kann alle Streichinstrumente bauen, auch eine Viola d'amore
Ihre Gesellinnenjahre machte sie in den Werkstätten der Geigenbaumeister Konrad Stoll in Kempten und Cai von Stietencron in Konstanz. Vor 16 Jahren zog es sie schließlich nach Berlin - der Liebe wegen. Sie bekam drei Kinder und trat beruflich kürzer. Ab 2004 startete sie wieder durch, machte sich selbstständig und bestand zwei Jahre später die Meisterprüfung. Ihr Meisterstück: eine Bratsche. Denn als Geigenbauerin kann sie alle Streichinstrumente bauen; auch exotische wie eine Viola d’amore oder eine Gambe.
Wenn Sabine Mlangeni heute in ihrer Werkstatt arbeitet und zurückschaut, ist sie stolz auf sich. Nicht jeder schaffe es, in der Branche zu bestehen. Das Geigenbauen sei zwar ein altes Handwerk, erfinde sich aber ständig neu. „Jeder Tag ist anders, jeder Tag eine Herausforderung“, sagt sie. Am Ende zählt nur eines: Klingt die Geige gut oder nicht? Geschmackssache. Das stimmt. Aber die geschulten Ohren der Profis sind eigen und sensibel. Wer bestehen will, muss den bestmöglichen Klang abliefern. Nicht einfach, denn es gibt keine Norm. Jedes Instrument hat seinen ganz eigenen Charakter: „Und manche kommen in einem derart desolaten Zustand zu mir, dass ich sie nicht einmal mehr ausprobieren kann.“ Wie auch immer. Die Geige soll nach einer Reparatur möglichst besser klingen als vorher. Das ist das Ziel.
Die Autorin ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Tagesspiegel-Zehlendorf. Folgen Sie Anett Kirchner auf Twitter und auch der Redaktion Zehlendorf .