Streit um Thomas-Mann-Villa: Das große Geisterhaus
Nicht nur die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller fordert: Rettet die Thomas-Mann-Villa in Pacific Palisades. Dem Haus, wo Mann "Doktor Faustus" schrieb, droht der Abriss.
Dieses Haus hat Thomas Mann für sich und seine Familie im Jahr 1941 im kalifornischen Pacific Palisades bauen lassen und dort, drei Meilen vom Meer auf den Hügeln der westlichen Vororte von Los Angeles, zwischen Malibu und den Santa Monica Mountains, hat er gut zehn Jahre gelebt. Bis zur Rückkehr aus dem Exil nach Europa, in die Schweiz 1952. Jetzt ist das Anwesen mit der Adresse 1550 San Remo Drive, das danach in amerikanischem Familienbesitz war, zum „ersten Mal seit 65 Jahren auf dem Markt“. So verkündet es eine Immobilienagentur.
Die zweistöckige Villa mit Studio, Swimming Pool, knapp 500 Quadratmetern Wohnfläche und rund 4000 Quadratmetern von hohen Bäumen gesäumtem Garten, sie soll 14 995 000 Dollar kosten. Schon Thomas Mann gefiel die mediterrane Atmosphäre, er nannte das Haus zunächst „Seven Palms“. Von den sieben sind heute wohl nur noch drei der originalen Palmen übrig und ein paar nachwachsende Artgenossen, aber die Gegend rühmt sich im Kaufangebot als „ultra-exclusive upper Riviera neighbourhood“. Wobei der Preis jetzt als relativ günstig gilt. Denn das zuletzt für gut 15 000 Dollar im Monat vermietete Haus wurde vergangenes Jahr, von der Öffentlichkeit noch unbemerkt, offenbar schon für mehr als 17 Millionen Dollar angeboten.
Thomas-Mann-Villa ist Abrissobjekt
Inzwischen wird freilich Alarm geschlagen. Hier in L.A. gibt’s für Thomas Mann keinen Denkmalschutz, und die Maklerin Joyce Rey vermeidet jeden Hinweis auf die Geschichte des Hauses und seinen prominenten früheren Bewohner. Das heißt, es wäre für den Erwerber aus Renditegründen naheliegend, auf dem üppigen Areal eine neue, größere Wohnanlage zu bauen.
Im Telefoninterview mit der „Los Angeles Times“ hat Rey letzte Woche gesagt: „Der Wert ist das Grundstück, nicht wirklich die Architektur.“ Also gilt das von dem aus Berlin stammenden, 1923 nach Kalifornien ausgewanderten deutsch-jüdischen Architekten Julius Ralph Davidson für die Manns erbaute Haus als: Abrissobjekt. Erst kürzlich wurde das unweit vom Mann-Haus gelegene Domizil des 2012 verstorbenen Autors Ray Bradbury für einen Neubau geschleift. Kein ganz so eklatanter Fall, aber ein Signal.
Online-Petition für den Erhalt der Villa
Dagegen gibt es nun Protest, angeführt von der in Berlin lebenden Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller. Namens der Gesellschaft für Exilforschung appelliert Müller in einer Online-Petition, der sich bis gestern schon über tausend Autoren, Verleger, Kritiker, Künstler und andere Besorgte angeschlossen haben, an die Bundeskanzlerin, an Kulturstaatsministerin Monika Grütters und an Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Die Petition zielt auf einen Erwerb des Anwesens aus Bundesmitteln, mit der Begründung: „Thomas Manns Villa ist ein historischer Ort, ein Ort des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Hier fand die Familie Mann im Exil ihr Zuhause, hier verfasste Thomas Mann seinen Roman ,Doktor Faustus’. Das Haus war zentral für den Austausch der in Kalifornien lebenden deutschen Intellektuellen, Künstlerinnen und Künstler. In der Villa am San Remo Drive verfasste Mann seine Rundfunkansprachen an die ,Deutschen Hörer’, die (...) von London aus über Langwelle ins Deutsche Reich ausgestrahlt wurden. (...) In seiner historischen Bedeutung steht das Haus für etwas, das uns unsere vernetzte Gegenwart täglich vor Augen führt: dass Demokratie, die Freiheit der Kunst und die Freiheit der Rede eine weltweite Angelegenheit sind. Deshalb halten wir es für geboten, dass die Bundesrepublik Deutschland die Villa vor dem Verkauf und dem wahrscheinlichen Abriss rettet.“
Das Haus solle „ein Ort der Erinnerung an die Exil-Geschichte, ein Ort des intellektuellen, gesellschaftlichen und kulturellen Austauschs werden“.
Tatsächlich existieren von Thomas Manns wesentlichen Wohnhäusern außer der Adresse am San Remo Drive heute im zumindest äußeren Originalzustand nur noch eine einst gemietete Villa in Princeton, das letzte Haus in Kilchberg am Zürichsee (von den Mann-Erben 1994 privat verkauft) sowie das als internationale Begegnungsstätte und kleines Museum als einziges auch öffentlich zugängliche Sommerhaus in Nida auf der Kurischen Nehrung (im heutigen Litauen): ein hübsches geräumiges Holzhaus auf eigenem Hügel, das sich der im Vorjahr mit dem Nobelpreis Ausgezeichnete 1930 mittels eines Teil seines Preisgeldes erbauen ließ. Dagegen ist das Mann-Museum in der Geburtsstadt Lübeck, das so genannte „Buddenbrookhaus“, nur eine Nachkriegskonstruktion.
Das Haus als authentische Erinnerungsstätte
Es geht also um eine halbwegs authentische Erinnerungsstätte, die sich mit dem Leben und Werk des neben Kafka und Brecht bedeutendsten deutschsprachigen Autors der Moderne verbindet. In und um Los Angeles wurde mit Manns Einzug erst wahr, was der amerikanische Literaturwissenschaftler Ehrhard Bahr in seiner 2007 erschienenen, bis heute nicht auf Deutsch verlegten Studie „Weimar on the Pacific“ nannte: die kleine Geistesrepublik der vor der NS-Barbarei hierher Geflohenen, von Brecht, Feuchtwanger, Arnold Schönberg, Adorno oder dem Filmregisseur Fritz Lang. Sie und viele mehr verkehrten hier. Und in Pacific Palisades schrieb Mann nicht nur den „Doktor Faustus“ und die erwähnten Radioansprachen. In dem von ihm so überraschend gewollten, so überhaupt nicht großbürgerlich gravitätisch wirkenden lichtdurchfluteten Domizil im gemäßigt avantgardistischen Bauhausstil, den die Villa bis heute trotz innerer Umbauten lebendig hält, hat Mann drei Monate vor dem Kriegsende auch den grundlegenden Vortrag „Deutschland und die Deutschen“ verfasst und im Mai 1945 seinen ersten wieder in Deutschland gedruckten Text über den NS-Völkermord: mit dem Titel „Die Lager“.
Natürlich gibt es in der Nachbarschaft in Pacific Palisades schon die vom Bund finanzierte „Villa Aurora“, das prachtvolle einstige Anwesen von Lion und Marta Feuchtwanger, seit 1995 Residenz für Künstler-Stipendiaten. Die Mann-Villa wäre dazu eine kostbare Hauptbeigabe, als Ort eher noch bedeutender. Manns Architekt Julius Ralph Davidson hatte übrigens auch für Hollywood Filmbauten entworfen. Darin läge eine weitere Anknüpfung. Warum also kein Haus für jüngere Drehbuchautoren und Filmkünstler aus Deutschland? Jan Schütte, der frühere Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin und seit 2014 Dekan am American Film Institute in Los Angeles, zeigte sich auf Anfrage an einer möglichen Kooperation nicht uninteressiert.
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