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Mutter, Vater, Kind. Nicole Max, Martin Wuttke und Carolina Cardoso in "Fieber".
© Barnsteiner

Im Kino: "Fieber" von Elfi Mikesch: Das Gift der frühen Jahre

Mein Vater, der Fremdenlegionär: Elfi Mikesch reist im biografischen Drama „Fieber“ in Traumen und Träume der Kindheit.

Ganz nah herangehen, ja, geradezu reinkriechen in die Fotografien – das ist es, was Franziska macht. „Ich war mit Bildern zugedeckt, damit die Welt mich nicht sieht, aber ich sie“, sagt die Fotografin, die zugleich die Filmerzählerin ist, über sich selbst als kleines Mädchen. Die bezopfte, zwölfjährige Franzi, die 1952 im österreichischen Judenburg lebt, ist die eigentliche Heldin in „Fieber“ und immer wieder in ausgedehnten Rückblenden zu sehen – parallel montiert zu einer heute spielenden Handlung, die die erwachsene Franziska im Zug nach Novi Sad zeigt, dem Geburtsort ihres verstorbenen Vaters. Eine Reise in die Vergangenheit, die in ihrem Kopf ein wahres Bilderdelirium auslöst. Und allesamt sind sie geheimnisvoll und von schrecklicher Schönheit. So wie es das Zitat von Pablo Neruda verheißt, das Elfi Mikesch dem Film voranstellt und das Kameramann Jerzy Palacz mit seiner ausgeklügelten Farb- und Lichtdramaturgie visuell erfüllt: „Alles ist feierlich im wilden Garten der Kindheit.“

In ihrer eigenen Kindheit, um genau zu sein. Denn Eva Mattes als erwachsene und vor allem Carolina Cardoso als kindliche Franziska sind zwar fiktive Charaktere in einer ebensolchen Geschichte,, doch ist „Fieber“ biografisch gefärbt, wie Mikesch bei der Berlinale-Uraufführung 2014 erzählt hat. Die reichlich eingestreuten Schwarzweißfotografien aus Algerien und Marokko hat die 1940 in Österreich geborene und in Berlin lebende Regisseurin, Kamerafrau und Fotografin von ihrem Vater geerbt.

Vater ist eine implodierende Sonne

Martin Wuttke spielt diesen von Depressionen wie von Aggressionen beherrschten Mann als fiebrigen, sensiblen, hektisch rauchenden Despoten. Seine Malariaschübe, seine Schuld vergiften die geduckte Familie. Frau und Kinder umkreisen ihn wie Planeten eine implodierende Sonne.

Vaters exotische Fotoalben und abenteuerlichen Geschichten wecken Franzis Lust auf die weite Welt – und reißen zugleich deren Abgründe auf. Einst war er Fremdenlegionär, ein Soldat in Frankreichs schmutzigen nordafrikanischen Kolonialkriegen. Und so sind neben atemberaubenden Wüstenlandschaften, pittoresken Märkten, malerischen Burnussen und zerfurchten Berbergesichtern auch abgeschlagene Köpfe und Massengräber zu sehen. Das sind Kameratrophäen von schreiender Wucht, die Vaters blutig-banaler Nachkriegsjob als Schweinehälften-Ausfahrer und ein Schlachthofbesuch der Fotografin etwas überdeutlich kommentieren. Ebenso wie die Besuche von Kriegskameraden und -opfern, die das Mädchen in der engen elterlichen Wohnung erlebt.

Surreale Fata Morganas tauchen auf

Diese wie surreale Fata Morganas auftauchenden und verschwindenden Männer benennen das Wesen des Krieges so klar, wie der Vater es selten tut. „Warum gibt es den Krieg?“, fragt das Mädchen. „Er ist ein Geschäft“, antwortet der Soldat. Und die devote, die Kinder vor Vaters Mutwillen niemals beschützende Mutter (Nicole Max) antwortet auf die irritierte Anmerkung der Tochter, dass es in der Kirche doch immer heiße, „Du sollst nicht töten“, ebenso wahrheitsgemäß „Aber nicht beim Militär.“

Der Mensch als Material, im Krieg wie im Kolonialismus, dazu die Fotografie und das Filmbild als wahrhaftiges Dokument und verrätseltes Faszinosum: Das sind die Themen, die Elfi Mikesch in ihrem introspektiv dahinfließenden, von suggestiver Musik untermaltem, alles andere als handlungsgetriebenen Drama entfaltet. „Fieber“ ist schön anzusehen – wobei die mit einer ergebnislosen, aber versöhnlichen Spurensuche in Novi Sad endende, eher fade Gegenwart nicht mit den ungleich dichter inszenierten Mysterien der Kindheit mithalten kann. Doch welchem Erwachsenenleben gelingt es schon, die Versprechen der Kindheit zu halten?
In den Berliner Kinos Babylon Mitte und Eva Lichtspiele

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