Premiere am Maxim Gorki Theater: Das Gegenteil von Glück
Mutterschaft und andere Widernatürlichkeiten: Sybille Bergs Eltern-Kind-Farce „Und dann kam Mirna“ am Berliner Gorki Theater.
Reproduktion ist die perfekte Frauenentsorgungsmaßnahme. Oder gibt’s einen gesellschaftlichen Rückholauftrag, der Mütter wieder zu produktiven Meinungsführerinnen macht? Wohl kaum. Also verabschiedet sich die entbundene Frau vom quotengeregelten Anspruch auf einen Verwaltungsratsposten, von Wut, Witz und allem, was sonst Spaß macht, nuckelt verzückt an Babyzehen und will in grenzdebiler Hormonverklärung „Bäuchlein-Skulpturen“ errichten. Und das alles nur wegen einer „sexuellen Handlung, die einer mit Stiefmütterchen bepflanzten Verkehrsinsel glich“.
Ganz genau, Sibylle Berg ist zurück. Die scharfsichtigste Gegenwartsanalytikerin von Rollenwahnsinn, Lifestyleterror und Mehrheitsidiotie macht mit ihrem jüngsten Stück „Und dann kam Mirna“ dort weiter, wo sie vor zwei Jahren mit „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ aufgehört hat. Dieser monologische Text – 2014 in der Kritikerumfrage von „Theater heute“ zum Stück des Jahres gewählt – war eine furiose Auskotz-Tirade gegen Männer in engen Hosen, bizarre Fitnesstrends und andere heillose Selbstoptimierungsstrategien.
Eine Mutter, vier Spielerinnen, mit Çigdem Teke als Neuzugang
„Und dann kam Mirna“ setzt die Wutrede der Berg’schen Twentysomething-Erzählerin nun ein paar Jahre später mit dem Thema Mutterschaft und andere Widernatürlichkeiten fort. Nicht minder pointensicher und sarkasmusfunkelnd. Am Gorki versammelt Regisseur Sebastian Nübling dafür das fast unveränderte „Draußen“-Erfolgsteam. Wiederum verteilt er den Text – von der Autorin „für ca. zwei DarstellerInnen oder eine hochgradig gespaltene Persönlichkeit“ ersonnen – auf vier Spielerinnen: Suna Gürler, Rahel Jankowski, Cynthia Micas sowie, statt Nora Abdel-Maksoud, Ensemble-Neuzugang Çigdem Teke, die von den Münchner Kammerspielen ans Gorki wechselte.
Chorisch und sportiv: ein Generationenduell mit utopischen Zügen
Dazu stehen vier Mädchen (in der Premiere: Aydanur Gürkan, Fée Mühlemann, Zoé Rügen und Annika Weitzendorf) zwischen acht und zwölf auf der Bühne, die einen witzig-genervten Ton anschlagen und im Dialog mit der konfusen Sinnsuchermutti die Stimme der Vernunft verkörpern.
Die Alleinerziehende („na ja, Erziehung“), die den Erzeuger fix entsorgt hat, will mit Freundinnen ein Öko-Kommunenleben im braunen Umland aufziehen, was natürlich ins Leere läuft. Dafür schreiten die Kids zur Tat und entsorgen Klamottenberge, Riesenplüschtiere und anderes Gelumpe über den Bühnenrand. Irgendwer muss ja mal anpacken.
Das Selbstgespräch, das Sibylle Berg in ihren Stücken führt, ist diesmal auch ein Generationenduell mit utopischen Zügen. Während Mutti in ihrem ziellosen Selbstverwirklichungsbemühen noch mit Anfang 30 aufs Erwachsenwerden wartet, schmeißt der frühreife Nachwuchs den Alltag. Und das Smartphone über Bord. „Ich will ordentliche Eltern. Spießer-Eltern die grün wählen und Alte-Menschen-Sachen machen. Meinetwegen auf Facebook“, so der Stoßseufzer der Tochter. Sebastian Nübling setzt den Text vorwiegend chorisch und sportiv in Szene, was dank der gewohnt präzisen Arbeit der Choreografin Tabea Martin ziemlich energetisch ausfällt. Wenn auch nicht ganz so hochtourig hyperventilierend wie im Fall von „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“. Auch brettert der Chor gelegentlich über die nachdenklicheren Töne der Kinderstimme hinweg: „Wir glauben nicht an Kapitalismus oder Sozialismus, an Rassismus und Genderprobleme, sondern nur an uns“.
Dennoch, dem tollen Ensemble sieht und hört man über 80 Minuten gern zu. Und die Quintessenz des Stücks transportiert sich auch. Die lautet, wie in Variationen immer bei Sibylle Berg: Wir alle leben falsch und lächerlich, sehen wir’s ein und hören wir auf, Popanze zu sein. Dann wird die Welt vielleicht ein besserer Ort.
Wieder am Do 1.10., Fr 23.10. und Di 27.10., jeweils 19.30 Uhr
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