Millionendefizit: Das Documenta-Desaster
Die Documenta 14 erntete zurecht scharfe Kritik, das Publikum kam trotzdem zahlreich nach Kassel. Doch jetzt schließt die Weltkunstausstellung mit einem Defizit von mehreren Millionen Euro.
Das ist bitter: nach dem inhaltlichen Desaster der Documenta kommt nun die finanzielle Pleite. Bitter nicht nur für die 14. Ausgabe der international bedeutendsten Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die an diesem Sonntag nach 100 Tagen in Kassel endet, sondern gefährlich auch für alle künftigen. Was wurde Adam Szymczyks Doppelschau in Athen und Kassel nicht von der Kritik zerfetzt. Zurecht. Seine Documenta wollte zu viel und schaffte zu wenig. Sie prangerte das Leid in aller Welt an, geißelte den Kolonialismus, den Kapitalismus, die Klimakatastrophe und bediente sich der Kunst letztlich nur zur Illustration ihrer Rundum-Kritik.
Eine gelungene Ausstellung sieht anders aus. Sie braucht ein Gesicht, ein überzeugendes Gesamtbild aus Artefakten, nicht nur eine Aussage, die sich ebenso gut mit einer Publikation oder auf einem Podium treffen lässt. Was an Kunst von den 160 Teilnehmern zu sehen war, wurde schlecht vermittelt: flatternde Zettel mit Kuratorensprech, die bestenfalls amüsierten. Auch die Führungen blieben unbefriedigend, Fragen wurden mit Gegenfragen beantwortet nach der Devise „unlearning“ – Verlernen als neue Erkenntnistechnik. Frust machte sich breit über eine hermetische Kunst, obwohl Szymczyk doch angetreten war, alle mitzunehmen, ein Parlament der Körper zu bilden, ja ein gesellschaftliches Gegenmodell zu entwerfen.
Seine Documenta hat eigentlich alles falsch gemacht: angefangen mit der Duplizierung ihrer Standorte, der Eröffnung zwei Monate zuvor in Athen mit der gleichen Künstlerbesetzung, nur um das Motto „Von Athen lernen“ einzulösen. Dabei war der Gedanke gar nicht verkehrt, die seit über fünfzig Jahren als Weltausstellung apostrophierte Schau im Nordhessischen mit der Welt da draußen ganz real zu konfrontieren. Allerdings erlebte das Publikum in der griechischen Metropole eine herbe Enttäuschung: lauter lieblos präsentierte Werke, sobald der nur mit einem miserablen Plan ausgestattete Besucher zu den über die gesamte Stadt verteilten Ausstellungsorte gelangt war. Ob dieses Andocken an den internationalen Kunstreisezirkus der heimischen Szene tastächlich genützt hat, so ein erklärtes Ziel des Documenta-Ausflugs nach Athen, oder die sich gerade formierenden eigenen Kräfte eher zurückgedrängt wurden, wird sich erst mit einigem Abstand erweisen.
Zwangsbeglückung durch das Kuratorenteam
Zweifel an der Exkursion in den Süden gab es von Anfang an, nun werden sie bestätigt. Nicht nur durch die geringe inhaltliche Ausbeute und die möglicherweise negativen Folgen einer Zwangsbeglückung durch das angereiste Kuratorenteam, sondern vor allem mit den finanziellen Folgen. Szymczyk hatte die Verdoppelung seiner Schau, diesen tollkühnen Kraftakt, bei gleichbleibendem Etat gewagt. Nun kommt das böse Erwachen, das Beobachter allerdings kaum überraschen kann.
Sieben Millionen Euro sollen fehlen, ausgerechnet zu Beginn der letzten Ausstellungswoche, zum großen Finale mit einem publikumsträchtigen Abbau des Bücher-Parthenons auf dem Friedrichsplatz, kommt es an den Tag. Bereits zwischenzeitlich hatte der Documenta die Insolvenz gedroht, die kurzfristig nur durch Stundung bei den Gläubigern abgewendet werden konnte. Nun wurden Wirtschaftsprüfer einbestellt, um das ganze Ausmaß des Debakels zu untersuchen. Ihr Bericht soll nächste Woche vorliegen. Zu dieser Documenta wird sich dann wohl niemand mehr beglückwünschen können.
Der Betrieb der Ausstellung sei bis zu ihrem Ende am 17. September gewährleistet, ließ der Kasseler Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der Trägergesellschaft nach dem Öffentlichwerden in der „Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen“ verlauten. Für die Zeit danach – den weiteren Abbau von Installationen, die Rücksendung der Werke, die Übergabe der Ausstellungsorte – wollen die Stadt Kassel und das Land Hessen einspringen, die je zur Hälfte Gesellschafter der Documenta sind. Sie gaben bereits jeweils sieben Millionen Euro, 4,5 Millionen Euro kamen von der Kulturstiftung des Bundes. Den weiteren Bedarf, knapp 19 Millionen Euro, muss die Documenta selbst erwirtschaften, durch Ticketverkauf und Akquise von Sponsoren. Selbst durch einen weiteren Publikumsrekord – bis zur Halbzeit in Kassel kamen 445.000 Besucher, 17 Prozent mehr als bei der letzten Ausgabe zum gleichen Stichtag – kann die Documenta das Minus in der Kasse nicht wettmachen.
Eine einzige Suada
Die Geschäftsführerin der Documenta-GmbH hatte von Anfang vor einer Unterfinanzierung gewarnt, musste sich aber den hochfliegenden Pläne ihres ambitionierten Kurators fügen, dessen Konzept von der Berufungskommission schließlich gutgeheißen wurde. Dass er sich überhoben hatte, wurde mit der Eröffnung des zweiten Teils endgültig klar. Die Präsentation in Kassel erwies sich zwar als besser durchgearbeitet, die Kunstwerke zum Thema globale Ungerechtigkeit waren aber umso beflissener inszeniert. Flüchtlingselend im Mittelmeer, die Verdrängung der Sami in Grönland, das Schicksal indigener Volksstämme in Südamerika, der deutsche Kunstraub – all das addierte sich auch in Kassel zu einer einzigen Suada.
Nachdem schon die „Neue Zürcher Zeitung“ böse getitelt hatte „Die Documenta braucht keiner“ und damit den Erkenntnisgewinn der Großausstellung in Frage gestellt hatte, eröffnet der Beinahe-Bankrott eine weitere Flanke. Das jetzige Defizit dürfte die Fundamentalgegner bestätigen. Der AfD-Abgeordnete im Kasseler Stadtparlament hatte bereits gegen den Ankauf des Obelisken von Olu Oguibe auf dem Königsplatz gehetzt. Wenn der Bericht der Wirtschaftsprüfer am 25. September vorgestellt wird, dürfte er seinen nächsten Auftritt haben.
Das aber hat die Kunst, hat die Documenta nicht verdient: dass ihre nächste Ausgabe in fünf Jahren mit weniger Geld auskommen muss und sie irgendwann endgültig zur Disposition steht.