zum Hauptinhalt
Im Dunkel: Von Francesco Guardis „Palasttreppe“ gibt es nur Schwarz-Weiß-Reproduktionen.
© aus dem Band „Straty Wojenne, Malarstwo Obce, Tom I“

Nazi-Raubkunst: Das Bild, das die Deutschen nicht freigeben

Francesco Guardis „Palasttreppe“ lagert in der Stuttgarter Staatsgalerie. Dabei gehört das Rokoko-Werk nachgewiesen dem Warschauer Nationalmuseum. Und obwohl man in Stuttgart das Bild gerne restituieren möchte - an hoher Stelle blockiert jemand die Rückgabe.

Es ist nur ein Kleinformat, 32,8 mal 25,8 Zentimeter groß. Und doch kann dieses Bild ein größeres Beben auslösen, das zwei Nationen gegeneinander aufbringen könnte – wenn die Bundesregierung nicht endlich einlenkt. Das Werk von Francesco Guardi (1712 –1793) zeigt die prachtvolle Palasttreppe des Dogenpalastes in Venedig, an deren Rand sich mehrere mit Dreispitz und weiten Mänteln bekleidete Herren begegnen und zu plaudern beginnen. Wenn es nur so einfach wäre wie auf dem Gemälde des venezianischen Künstlers, Canaletto-Schülers und zu seiner Zeit gefragten Veduten-Malers: dass man sich unkompliziert und entspannt zum Gespräch trifft. Das Werk könnte sich längst wieder dort befinden, wo es eigentlich hingehört – im Warschauer Nationalmuseum.

Stattdessen lagert das stimmungsvolle Gemälde im Depot der Stuttgarter Staatsgalerie, eindeutig ausgewiesen als Besitz des polnischen Staates, Raubkunst, von den Nationalsozialisten widerrechtlich verbracht, wie man zweifelsfrei seit 1998 weiß. Direktorin Christiane Lange würde das Bild des Rokoko-Meisters zu gerne restituieren, denn zeigen darf sie es nicht. Ihr Museum ist nur Hüterin eines Schatzes, den ihr das Kultusministerium von Baden-Württembergs im Jahr 2000 zu treuen Händen übergab. Das Ministerium wiederum möchte die prekäre Angelegenheit lieber früher als später gegenüber Polen bereinigen und das Werk an die rechtmäßigen Besitzer aushändigen. Davor steht allerdings das Auswärtige Amt: mit seinen vor sechs Jahren ins Stocken geratenen Verhandlungen zur Rückführung kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter in beiden Ländern.

Auf höchster Ebene soll erst eine bilaterale Gesamtlösung herbeigeführt werden, darunter für die in der Krakauer Universitätsbibliothek lagernden „Berlinka“, 300 000 Exponate aus dem Bestand der Preußischen Staatsbibliothek, der Vorgängerinstitution der heutigen Staatsbibliothek. Zwei Rechtsauffassungen stehen einander diametral gegenüber: Während Deutschland auf die kriegsbedingt verlagerten Kulturgüter Anspruch erhebt, erklärt Polen sie durch die neue Grenzziehung zu seinem Eigentum. Der kleine Guardi dient als Unterpfand in einem größeren Geschäft und wird damit zum Skandal. Als wäre das Ansehen der Bundesrepublik nicht genug erschüttert durch die widrigen Umstände, unter denen der Schwabinger Kunstfund im Herbst ans Licht kam, samt der offensichtlichen Verzögerungen durch die Bayerische Staatsanwaltschaft und der dramatischen Leichtfertigkeiten in der Berliner Behörde des Kulturstaatsministers. Mit Guardi bahnt sich die nächste Affäre an.

Das Auswärtige Amt macht den Guardi zum Faustpfand in verschleppten Verhandlungen

Gewiss, es geht nur um ein einzelnes Bild, Guardi ist nicht Gurlitt. Doch lässt der groteske Umgang mit einem glasklaren Fall – genauer: die Verhinderungspolitik eines Bundesministeriums – Böses ahnen für all jene Restitutionsfälle, die weniger eindeutig sind und nicht machtvoll von einem Nachbarland vertreten werden. Der polnische Kultusminister hat den in Restitutionsfällen bewanderten Rechtsanwalt Peter Raue beauftragt, sich der Sache anzunehmen. Seitdem gehen Briefe hin und her zwischen Berliner Kanzlei und Stuttgarter Staatsgalerie, badenwürttembergischem Kultusministerium und Auswärtigem Amt. Und immer erklärt der eine den nächsten für zuständig.

Dabei war man vor zehn Jahren eigentlich schon weiter, bei einer Konferenz des Arbeitskreises deutscher und polnischer Kunsthistoriker in Warschau. Damals hielt Uwe Hartmann, Leiter der Berliner Arbeitsstelle für Provenienzforschung und derzeit Mitglied der Gurlitt-Taskforce, unter dem Titel „Geraubt, verbracht, vergessen“ einen Vortrag über Guardis „Palasttreppe“, damit dieser Fall endlich zu einem glücklichen Ende käme. Politische Ranküne hat dies jedoch bis heute verhindert.

Minutiös zeichnete Hartmann den Weg des Gemäldes seit 1939 nach, dem Jahr, in dem im Generalgouvernement Kunstgegenstände „sichergestellt“ wurden. Das Rokoko-Werk zählte zur „Ersten Wahl“, reserviert für das von Hitler geplante „Führermuseum“ in Linz, denn Guardi war damals gerade erst von den Kunsthistorikern in den Rang eines eigenständigen Meisters neben Tiepolo und Canaletto gehoben worden. Über verschlungene Pfade landete es nach dem Krieg beim Wiesbadener Collecting Point der US-Streitkräfte. Der Kunstschutzoffizier James J. Rorimer, der auch in Robert M. Edsels Buch „Monuments Men“ vorkommt – Grundlage für George Clooneys gleichnamigen, auf der Berlinale anlaufenden Film –, erwähnt es in einem Brief an seine Kollegin Edith A. Sanden. Er hatte das vermeintlich besitzerlose Gemälde auf einem Regal mit Büchern eines Fakultätsmitglieds der Universität Heidelberg gefunden. Nachdem die Ruprecht-Karls-Universität unter ihren Professoren keinen Eigentümer ausfindig machen konnte, durfte sie die „Palasttreppe“ behalten. Mit dem Versprechen, weiter nach dem rechtmäßigen Eigentümer zu fahnden. 1959 wurde das Werk von der Treuhandverwaltung ausgehändigt und schmückte fortan das Rektorenzimmer, bis ein Nachfolger eine neue Ausstattung wünschte.

Der ideelle Wert von Guardis "Palasttreppe" lässt sich nicht beziffern

Daraufhin gelangte das Bild 1980 als Leihgabe an das Kurpfälzische Museum, wo es nie ausgestellt wurde und damit den Blicken und für weitere Nachforschungen entschwand. Erst 1998 kam wieder Bewegung in die Recherchen, als bei einem internationalen Expertengespräch in Magdeburg zur Auffindung von deutschen und polnischen Kulturgütern der Guardi von polnischer Seite auf die Vermisstenliste genommen wurde, mit Hinweis auf Heidelberg als letzten Standort. Prompt kündigte der amtierende Rektor der Universität den Leihvertrag mit dem Kurpfälzischen Museum, nahm im Herbst 1999 das Bild wieder in Empfang und plante eine pressewirksame Rückgabe an den rechtmäßigen Eigentümer.

Die offizielle Mitteilung unter der Überschrift „Irrwege eines Bildes. Universität Heidelberg gibt in Polen vermisstes Gemälde Francesco Guardis zurück“, die sich noch heute im Archiv befindet, wurde nie publiziert. Denn das Kultusministerium hatte intervenierte und im Februar 2000 die Weitergabe an die Staatsgalerie veranlasst.

Dort lagert das kleine Bild nun, ein Gefangener der hohen Politik. Das Museum will sich zum konservatorischen Zustand der „Palasttreppe“ nicht äußern, stellt auch keine Farbabbildungen zur Verfügung. Jüngste Auktionsergebnisse mit vergleichbaren Werken lassen einen Wert um 150 000 Euro vermuten. Der ideelle Wert ist ohnehin nicht zu beziffern. Dieser würde nochmals in die Höhe schnellen, könnte sich das Auswärtige Amt dazu bewegen lassen, das Beutekunstwerk dem Warschauer Nationalmuseum ohne weitere Bedingungen zu überlassen. Nach Gurlitt und den international geweckten Zweifeln wäre dies der angemessene erste Schritt, auch für die Rückkehr der „Berlinka“.

Zur Startseite