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Personifizierte Provinienzkompetenz. Ingeborg Berggreen-Merkel leitet die Taskforce zur Erforschung der Besitzverhältnisse bei den Gurlitt-Bildern.
© dpa

Interview mit der Leiterin der Gurlitt-Taskforce: Berggreen-Merkel: „Plötzlich ist die Vergangenheit präsent“

Wie wird der sensationelle Schwabinger Kunstfund aufgearbeitet? Ingeborg Berggreen-Merkel, Leiterin der Taskforce zur Erforschung der Sammlung Gurlitt, über Verjährung, schlechtes Gewissen – und die vielen Anfragen der Erben.

Frau Berggreen-Merkel, bislang sind 354 der bei Cornelius Gurlitt gefundenen Werke auf der Website Lostart.de eingestellt. Wie lange dauert es, bis alle Bilder erfasst sind?
Dies wird weiter schrittweise erfolgen. Letztlich stellt die Staatsanwaltschaft Augsburg die Werke ins Netz und prüft mit Blick auf die Erkenntnisse der Provenienzrecherchen, ob Verdachtsmomente für einen NS-verfolgungsbedingten Entzug vorliegen.

Wie viele Werke werden eingestellt?

Bei etwa 590 Kunstwerken gehen wir bislang pauschal von einem verfolgungsbedingten Entzug aus. Ob diese Werke alle eingestellt werden, hängt davon ab, ob gewisse Verdachtsmomente für den Entzug vorliegen. Dies entscheidet die Staatsanwaltschaft.

Die eigentliche Taskforce begibt sich jetzt erst an die Arbeit. Wer gehört dazu?

Das etwa zehnköpfige Team ist sehr rasch an die Arbeit gegangen. Es ist international besetzt mit Experten der Jewish Claim Conference, der israelischen Organisation H.E.A.R.T., ferner einer französischen Forscherin, weil es viele Bezüge nach Frankreich gibt. Zur weiteren Unterstützung sind wir im Gespräch mit amerikanischen Provenienzforschern. Aus Deutschland kommt Uwe Hartmann, Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin. Als Verbindung nach Bayern ist ein Staatsanwalt dabei.

Wie arbeitet dieses Team?

Die Experten haben alle ein großes Netzwerk, die Forschungseinrichtungen mit ihren weiteren Kapazitäten sind mit eingebunden. Die Taskforce arbeitet vornehmlich am virtuellen Objekt, auch deshalb wurden die Kunstwerke aufwendig fotografiert. Aus konservatorischen Gründen ist das kaum anders handhabbar. Es wurde ein geschützter virtueller Arbeitsraum eingerichtet, so dass es egal ist, ob jemand in Amerika, Deutschland oder Israel forscht. Die Experten tauschen sich anhand der eingestellten Objekte aus.

Worin besteht Ihre eigene Funktion?

Eine solche Arbeitsgruppe forscht ja nicht nur. Das Team muss aufgebaut, zusammengehalten werden, nach außen kommunizieren. Darin sehe ich unter anderem meine Aufgabe.

Bei Ihrer Pensionierung im Frühjahr 2013 als Stellvertreterin des Kulturstaatsministers wussten sie vom Fund, schwiegen aber. War es das schlechte Gewissen, welches Sie jetzt hier hat mitmachen lassen?

Nein, wir wurden damals im Zuge eines laufenden strafrechtlichen Verfahrens um Amtshilfe gebeten für die Provenienzforschung. Dies haben wir auch umfassend geleistet und waren zu einer Verlautbarung nicht befugt. Also: Meine persönliche Motivation besteht darin, dass ich dazu beitragen möchte, eventuelles Unrecht aufzuklären und möglichst wieder gut zu machen. Gerade das Jahr 2013 – wir erinnern uns an die Rede von Inge Deutschkron am 30. Januar im Bundestag, im November vor 75 Jahren haben die Synagogen gebrannt – mahnt, an die grauenvolle Vergangenheit zu denken. Als Nachgeborene ist das Teil unserer Geschichte und Verantwortung, der wir uns nicht entziehen können.

Wie gestaltet sich denn heute die Kontaktaufnahme zu den Nachfahren der Opfer?

Anfragende erhalten zunächst ein Bestätigungsschreiben. Mit den eigentlichen Recherchen zu den Werken stehen wir erst am Anfang. Unsere Aufgabe ist es, den Werdegang eines Kunstwerks nachzuverfolgen: ob es weggenommen, abgepresst, unter Wert verkauft wurde, weil die Vorbesitzer ermordet wurden oder ins Exil flüchten mussten – all die Umstände, die wir als „verfolgungsbedingt entzogen“ bezeichnen. Wir ersetzen kein Gericht, das über die Eigentumsansprüche entscheiden könnte. Aber derjenige, der entscheidet, wird auf unsere Expertise zurückgreifen.

"Der materielle Wert ist für mich erstmal unerheblich."

Wie viele Anfragen gab es bislang?

Wohl über hundert. Wenn alle Werke in Lostart.de veröffentlicht sind, werden wir besser beurteilen können, welche Anfragen tatsächlich Objekte im Gurlitt-Konvolut betreffen. Eins ist wichtig: Wir als Taskforce sind die Ansprechpartner und nehmen alle Hinweise entgegen.

Gehen Sie auch selbst auf Erben zu?

Zur Provenienzrecherche gehört auch zu erforschen, ob Ansprüche bestehen, wie man ihnen gerecht werden kann.

Was machen Sie bei konkreten Anfragen etwa der Glaser-Erben aus Dresden, bei denen bekannt ist, dass Bilder aus ihrer Sammlung stammen?

Wir kümmern uns bewusst zunächst um die Werke aus privater Hand, dann erst um „entartete Kunst“ aus Museen. Uns ist das persönliche Schicksal vorrangig. Die Experten prüfen Ansprüche z.B. anhand von Auktionskatalogen und den beschlagnahmten Geschäftsbüchern. Deshalb appellieren wir an die Erben, möglichst viele konkrete Anhaltspunkte zu geben, die uns die Arbeit erleichtern und das Ergebnis beschleunigen können.

Gerade daran entzündet sich die Kritik von Anne Webber von der European Commission for Looted Art, die den deutschen Behörden vorwirft, nicht zügig, nicht transparent genug zu arbeiten.

Mit der Datenbank Lostart haben wir ein Instrument für die Suche geschaffen. Jeder kann einsehen, ob sich im Gurlitt-Fund ein Werk befindet, das ihm entzogen wurde. Ich sehe deshalb keinen Anlass, die Kritik auf die Arbeit der Taskforce zu beziehen.

Was halten Sie von einer Gesetzesänderung, die Verjährung aufzuheben, um unrechtmäßig erworbene Objekte zurückgeben zu können?

Die Frage der Verjährung ist aktuell ein großes rechtspolitische Thema. Bayern wird die Aufhebung der Verjährung in den Bundesrat einbringen, und dann müssen die gesetzgebenden Körperschaften, Bundesrat und -tag diskutieren. Der Bund hat sich in Restitutionsfragen übrigens nie auf Verjährung berufen. Bei dem Schwabinger Kunstfund muss jedes Werk in seiner eigenen Rechtssituation beurteilt werden. Es ist die Frage, was gut-, was bösgläubig erworben wurde. Objekte, die im Ausland entzogen wurden, werden nach dem ausländischen Recht behandelt, das kennt manchmal keine Verjährungsfristen.

Wie hoch ist der Wert der Sammlung zu beziffern: nur noch mit 30 Millionen Euro, statt einer Milliarde, wie es anfangs hieß?

Für mich steht im Vordergrund: Jedes verfolgungsbedingt entzogene Werk ist ein Unrecht. Deswegen ist für mich der materielle Wert erst einmal unerheblich. Ich möchte nicht spekulieren, was der Kunstmarkt zu zahlen bereit wäre. Was entzogen wurde, muss zurück gegeben werden, egal wie wertvoll.

Wie gestaltet sich die Kontaktaufnahme mit Herrn Gurlitt? Wann erhält er die ihm zustehenden Werke zurück?

Ich hatte einmal mit ihm Kontakt, über den Inhalt möchte ich mich hier nicht äußern. Unter den 1200 Objekten befinden sich Bücher, Kataloge, die eindeutig ihm gehören, Dinge, die nach 1945 erstanden wurden und nicht zur Gemengelage gehören, um die wir uns kümmern. Die Staatsanwaltschaft hat zunächst alles mitgenommen und jetzt im Rahmen der Ermittlungen festgestellt, dass es für einiges keinen Beschlagnahmegrund mehr gibt.

Gibt es noch mehr Funde, etwa in Schweizer Schaulagern, wo jemand Marcs „Turm der blauen Pferde“ gesehen haben will?

Mir ist das nicht bekannt, wir haben auch keine Anhaltspunkte dafür. Wir beteiligen uns nicht an solchen Spekulationen.

Was halten Sie davon, alles auszustellen?

Viele Bilder sind bereits in Lostart eingestellt. Wir beschleunigen damit unsere Provenienzforschung, mit der wir Amtshilfe für die Staatsanwaltschaft leisten. Das bedeutet auch Verschwiegenheit. Ich möchte das strafprozessuale Verfahren nicht angreifbar machen, die Basis unserer Arbeit. Wir organisieren keine Ausstellung, sondern recherchieren.

Hat Sie das Echo auf den Fund überrascht?

Nein, auf einen Schlag war die Vergangenheit wieder präsent, dieser Einblick in die Vergangenheit berührt uns alle.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

Nicola Kuhn

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