Beutekunst: Als Europa keine Grenzen kannte
In St. Petersburg eröffnet eine Ausstellung zur Bronzezeit – mit Kriegstrophäen aus Berlin. Ein Politikum, das zu Spannungen zwischen Merkel und Putin führte
Die Geschichte der Menschheit lässt sich auch anhand der Geschwindigkeit betrachten, mit der Wissen wandert. Je weiter man zurückblickt, desto länger sind die Transferprozesse. Kenntnis und Nutzung der Bronze brauchten 1500 Jahre, um sich vom Mittleren Orient nach Ägypten und dann über Mitteleuropa bis in den Norden des Kontinents zu verbreiten. Bronze, eine Legierung aus neun Teilen Kupfer und einem Teil Zinn, wurde für Jahrhunderte zum Werkstoff für Waffen, Kult- und Gebrauchsgegenstände.
Damals kannte Europa nicht einmal im Ansatz Territorialherrschaften, und so heißt die Ausstellung „Bronzezeit“, die die Staatliche Eremitage in St. Petersburg ab Freitag zeigt, im Untertitel „Europa ohne Grenzen“. Die Einladungskarte zeigt ein „Idol von Galitsch“ aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend. Galitsch ist eine Kleinstadt 500 Kilometer nordöstlich von Moskau, urkundlich erwähnt 1159 – rund 3000 Jahre nach dem Guss dieser Figur, die heute zu den Schätzen der Eremitage zählt.
Auch Berliner Schätze werden in der Ausstellung zu sehen sein: solche, die die Rote Armee 1945 in die Sowjetunion abtransportiert hat und die nach der 1996/99 von der russischen Duma beschlossenen Gesetzeslage als Staatseigentum betrachtet werden. Die anfänglichen Verhandlungen über eine Lösung dieser Frage, wie sie das deutsch-russische Freundschaftsabkommen von 1992 vorgesehen hatte, sind eingestellt. Wenigstens geht der wissenschaftliche Austausch weiter, und so sind auch die Staatlichen Museen Berlin an der Petersburger Ausstellung nicht nur durch ihr angestammtes Eigentum beteiligt, sondern auch mit 230 aktuellen Leihgaben aus dem Neuen Museum.
Was in Petersburg stattfindet, „ist keine Beutekunstausstellung, sondern eine Ausstellung zur Bronzezeit“, so Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: „Es gibt ein großes Interesse an Zusammenarbeit. Wir hatten bereits die gemeinsame Ausstellung zur Merowingerzeit, und ich könnte mir vorstellen, in Richtung Eisenzeit fortzufahren.“ Der zweisprachige Katalog zur Ausstellung, der bei der Eröffnung vorliegen soll, ist von einer „bilateralen Arbeitsgruppe“ erarbeitet worden. Parzinger selbst hat einen Aufsatz beigesteuert über „Grundzüge bronzezeitlicher Kulturverhältnisse zwischen Wolga und Rhein“.
Am 5. Mai 1945, noch vor der Kapitulation der Wehrmacht, sind drei nicht allzu große Kisten an den bereits ernannten sowjetischen Stadtkommandanten übergeben worden, in denen die wertvollsten Bestände des Museums für Vor- und Frühgeschichte dicht gepackt lagen. Diese Funde „sind zentral für die Vorgeschichte Deutschlands und Mitteleuropas“, erläutert der heutige Direktor des Museums, Matthias Wemhoff. In den drei Goldkisten „befanden sich die Preziosen, die in den 150 Jahren zuvor gefunden worden waren“. Seither hat es keine vergleichbar spektakulären Funde mehr gegeben. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert ermöglichten Kanal- und Wegebau, mit Muskelkraft statt wie heute mit Maschinen ausgeführt, das Auffinden der im Boden ruhenden Schätze. „Die in die Sowjetunion verbrachten Schätze sind einzigartig“, betont Wemhoff, „die werden wir in dieser Qualität nicht mehr finden.“
Auch die Vorgeschichte Berlins wird in St.Petersburg deutlich. Zu den als Kriegstrophäen entführten Beständen zählt der „Opferfund von Spandau“, der 1881 am Zusammenfluss von Spree und Havel entdeckt wurde. Dort befand sich ein bronzezeitlicher Opferplatz, auf dem Objekte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends wie verzierte Schwerter geborgen wurden. Tausend Jahre jünger ist der „Goldhort von Eberswalde“, 1913 beim Erdaushub entdeckt. „Das war so etwas wie ein Staatsschatz, man findet Ähnliches in mykenischen Überlieferungen“, umreißt Wemhoff den übergreifenden Kulturraum dieser Epoche.
Die Ausstellung der Eremitage dehnt den geografischen Rahmen auf ganz Europa aus. „Zum ersten Mal“, so Wemhoff, „werden Kulturen in Beziehung gesetzt, die so noch nie zusammen gesehen wurden. Man kann das Verbindende erkennen.“ Diesen letzten Satz kann man durchaus in doppelter Bedeutung verstehen – und als Ansporn dazu.
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