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Kenner der Kunstmärkte: Lorenzo Rudolf beobachtet das globale Messegeschehen seit Jahrzehnten.
© Privat

Kunstmessen-Experte Lorenzo Rudolf: Adrenalin im Kopf

Was macht eine Kunstmesse erfolgreich? Kenner Lorenzo Rudolf, lange Direktor der Art Basel, fordert eigene Ideen von jedem Standort.

Herr Rudolf, Sie waren zehn Jahre lang Direktor der Art Basel und haben große Kunstmessen im asiatischen Raum gegründet. Was zeichnet Städte aus, in denen sich eine Messe etablieren lässt?
Es gibt kein allgemeines Erfolgsrezept, der Ort ist immer Teil eines Gesamtpakets. Selbst die logisch wirkende Gleichung, dass für eine internationale Veranstaltung mit einer aus allen Kontinenten anreisenden Klientel verkehrstechnisch beste Anbindungen und ein kosmopolitisches Umfeld mit einer vibrierenden Kunstszene der Schlüssel zum Erfolg sein müsste, geht nicht auf: Die Art Basel wäre längst gestorben, und Berlin müsste Standort einer der wichtigsten zeitgenössischen Kunstmessen sein. Das Gegenteil ist der Fall. Als ich mich als Direktor der Art Basel in den neunziger Jahren entschied, eine Schwestermesse in Miami Beach zu gründen, wurde ich von praktisch der gesamten Kunstwelt für verrückt erklärt. Eine Kunstmesse im kulturellen Niemandsland? Wie schön zu sehen, dass die Art Basel Miami Beach bis heute die führende Kunstmesse in Amerika ist, dass Miami sich zu einer der spannendsten Kunst- und Kulturstädte der USA entwickelt hat – und dass jeder Kunstexperte heute beteuert, er habe von Anfang an auf Miami gesetzt.

Welcher Faktor ist der wichtigste für eine erfolgreiche Messe: die Kunstszene, die ansässigen Sammler oder der Ort?
Jede erfolgreiche Messe hat ihre eigenen Faktoren. Nehmen wir die Art Basel. Der Standort Schweiz war lange von Vorteil: seit der Nachkriegszeit führender Kunsthandelsplatz, niedrige Steuern, tolerante Gesetzgebung, einzigartige Zollfreilager, große Sammlertradition, wichtige Kunsthändler. Und mit Basel gibt es eine Stadt imposanter Mäzenaten- und Museumstradition. In der globalen Kunstwelt von heute sind viele dieser Faktoren nicht mehr von gleicher Relevanz. Heute sichert anderes die Vorrangstellung der Art Basel, allem voran ihr Konzept aus den neunziger Jahren, das sie zu der Marke schlechthin in der Kunstwelt gemacht hat. Mit andern Worten: Der wichtigste Erfolgsfaktor einer Messe ist ihr Gesamtkonzept; dieses muss stimmen, dieses muss einzigartig sein.

Vor ein paar Jahren nannten Sie das Wachstum des Kunstmarktes ,unglaublich’. Wie sieht es heute damit aus?
Der Ökonom würde sagen, Kunst ist ein Objekt ohne Nutzen; der Nutzen eines Bildes ist gleich null. Trotzdem hatten in den späten neunziger Jahren Kunst und Geld hemmungslos Sex miteinander. Wohin das Geld ging, die Kunst folgte – eigentlich müsste es ja andersrum laufen. Dann die große Finanzkrise 2008, die Blase platzte. Auf jeden Fall schien es so. Alle hätten gewettet, dass die Kunstwelt schrumpft. Doch sie tat es nicht, im Gegenteil: Das Wachstum ging mehr oder weniger ungebremst weiter. Es schien als hätte Vince Vega, die von John Travolta dargestellte Filmfigur aus Pulp Fiction, der Kunstwelt eine riesige Adrenalinspritze mitten ins Herz verpasst.

Und heute? Auktionsrekorde, die Top-Kunstmessen laufen wie geschmiert, neue Großkäufer aus Indonesien, den Philippinen, Bangladesch oder Katar. Gigantische Privatmuseen für zeitgenössische Kunst von Indien über China, die Mongolei bis nach Aserbaidschan. Die Globalisierung ist in der internationalen Kunstwelt längst angekommen.

Damals kritisierten Sie auch, dass sich die meisten Kunstmessen ähneln. Dass stets dieselben Galerien mit denselben Künstlern eingeladen werden. Weshalb ist dies auf Dauer keine erfolgreiche Strategie?
Es steht mir nicht zu, einzelne Messen zu kritisieren. Aber generell macht es mich doch oft relativ sprachlos, wenn ich sehe, mit welcher Einfallslosigkeit Kunstmessen auch heute noch aus dem Boden gestampft werden. Seit wir in den neunziger Jahren die Art Basel mit einem neuen Konzept versehen und sie zur Weltmesse gemacht haben, sind konzeptionell kaum mehr innovative Ideen zu erkennen. Praktisch jede neue Messe orientiert sich am Vorbild Basel. Als wäre der Kunstmarkt heute noch wie vor 20 Jahren. Dabei ist die Kopie selten besser als das Original. Wir leben in einer Zeit der Marken, der Brands. Die erfolgreichsten Künstler sind diejenigen, die Brands geworden sind. Das Gleiche gilt für Galerien und selbstverständlich auch für Kunstmessen. Ich wünsche mir – bei Weitem nicht als Einziger – mehr Messen mit Charakter, mit einer eigenen Identität. So wie die Art Stage Singapore. Sie hat eine eigene, asiatische Identität und ist auch nicht nur reine Verkaufsplattform. Sondern ein Ort der Begegnung, des Austauschs. Die Kunst wird oft in einem Kontext gezeigt – etwa in Form von hochkarätigen kuratierten Verkaufsausstellungen. Und die Messe ist ein Treffpunkt für Händler und Sammler, Künstler und Kuratoren. Sie hat sich als Brand etabliert, weil hier wie nirgendwo sonst die zeitgenössischen asiatischen Kunstszenen erlebt und entdeckt werden können.

Neue Messen wie die Est Art Fair in Portugal mit ihrem Fokus auf zeitgenössischer Zeichnung behaupten sich mit speziellen Profilen. Ist das der Weg, um sich von den mächtigen Global Playern abzusetzen?
Der Kunstmarkt, in jedem Fall dessen Spitze, ist heute ein globaler Markt – und ein Luxusmarkt. Entsprechend müssen sich die Messen, aber auch die Galerien, aufstellen. Der oberste Bereich des Marktes, die Blue Chips und Brands, sind kaum krisenanfällig. Auch gute junge Kunst zu moderaten Preisen verkauft sich. Das Segment dazwischen hat es schwerer. Wer international auffallen und erfolgreich sein will, muss sich entscheiden, ob er sich als hochkarätiger Großhändler mit einem eindrücklichen breiten Angebot positioniert. Oder zum Spezialisten in einer spezifischen Nische wird. In andern Worten: KaDeWe oder Boutique.

Kunst als Investitionsobjekt sorgt für Höchstpreise. Aber auch für den Vorwurf einer wachsenden Kommerzialisierung. Gibt es auch Positives?
Es lockt ja nicht nur die Kunst als Investitionsobjekt. Als Kunstkäufer löst man quasi ein Eintrittsticket in eine exklusive Gesellschaft. Man gehört dazu. Man ist unter sich. Lange entschieden Museen, die Wissenschaft, die Kunstkritik über Erfolg und Misserfolg von Künstlern. Heute ist es der Markt. Dessen glamouröse Spielwiesen sind die Auktionen und Messen. Selbst Biennalen sind zu Marktplätzen geworden. Und die fundierte Kunstkritik hat Rankings Platz gemacht. Selbstverständlich können wir das Rad der Geschichte nicht einfach zurückdrehen. Dennoch sollten wir versuchen, eine Balance zwischen Kunst und Kommerz zu finden und nicht nur über Preise, sondern vermehrt wieder über Inhalte diskutieren. Ein Kunstwerk ist nicht nur ein spannendes Marktobjekt, sondern auch ein nicht minder spannendes Kulturgut.

Das Gespräch führte Christiane Meixner. Lorenzo Rudolf wird während der ArtFi-Konferenz in Berlin am 17. 9. über globale Kunstmessen sprechen. Informationen unter: www.artficonference.com

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