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Szene mit Bo Skovus als Cortez und Angela Denoke als Montezuma
© dpa

Salzburger Festspiele: Damit wir uns richtig missverstehen

Mit Wolfgang Rihms „Eroberung von Mexico“ eröffnen Ingo Metzmacher und Peter Konwitschny die Salzburger Festspiele. Es geht um das männliche und das weibliche Prinzip.

So etwas gibt es nur in Salzburg. Die imposante Gestalt des Komponisten Wolfgang Rihm nähert sich der Felsenreitschule, wo mit seiner Oper „Die Eroberung von Mexico“ die diesjährige Festspielsaison offiziell beginnen wird. Da erklingt ein Tusch auf der Straße, und das „Jedermann“-Ensemble bahnt sich seinen Weg zurück von der Nachmittagsvorstellung am Domplatz. Der Hauptdarsteller erschöpft im Bademantel, Tod und Teufel im Gefolge, die sich gerne noch fotografieren lassen. Der Polizist kennt natürlich jeden Mitwirkenden und winkt kurz darauf die Staatskarossen ein. Während draußen noch die Blitzlichter zucken, wartet der Regisseur im Foyer, ausgewaschenes T-Shirt, die grauen Haare zum Pferdeschwanz versammelt, und gibt dem, der ihn erkennt, geduldig Auskunft.

Peter Konwitschny, im Januar 70 Jahre alt geworden, ist ein später Debütant auf der Salzburger Festspielbühne. Bislang wurde dort statt seiner Peter Stein gefeiert, der sich vor Jahren zu erbitterten Angriffen auf den Kollegen Konwitschny hinreißen ließ. Unter Leitung von diesem „Provinz-Heini“ sei es egal, „welcher Sänger da jeweils in der Badewanne wichst“. Eine Verkettung von Planungsänderungen bringt Konwitschny nun doch an die Salzach. Erst wurde der inzwischen 89-jährige Komponist György Kurtág mit der Uraufführung nach Becketts „Endspiel“ einfach nicht fertig. Dann musste Luc Bondy die Eröffnungsregie aus gesundheitlichen Gründen abgeben.

Metzmacher und Konwitschny sind leidenschaftliche Sinnsucher

Dirigent Ingo Metzmacher, der charismatisch-kernige Anwalt der Opernmoderne in Salzburg, sorgt für Ersatz: Wolfgang Rihms „Die Eroberung von Mexico“, die er selbst 1992 in Hamburg uraufgeführt hat, zieht in die Felsenreitschule ein. Und mit Konwitschny ein Regisseur, mit dem Metzmacher ebenfalls in Hamburg eine Reihe von spektakulären Neudeutungen gelang. Ein vertrautes Team echter Theaterarbeiter, hartnäckiger Ausprobierer und leidenschaftlicher Sinnsucher. Dass sie sich damit zufriedengeben würden, allein den gewaltigen Bühnenraum zu dekorieren, darf niemand erwarten. Zumal sich Konwitschny selbst den Ehrentitel „Antichrist der Freunde der toten Oper“ verliehen hat.

Trommellaute ziehen durch die Weite der Felsenreitschule, als sich ihre Tore öffnen. Die Klänge scheinen von überall zu kommen und schwellen an, in ihrer Unruhe entsteht eine „Landschaft, die das Gewitter kommen spürt“. Rihms vielfach verschlüsseltes Musiktheater nach Texten von Antonin Artaud spielt mit der Eroberung Mexikos. Seine Protagonisten heißen Montezuma und Cortez, genauso wie die historischen Protagonisten, gesungen werden sie von einem Sopran und einem Bariton. Doch die Wahrheit über Azteken und Konquistadoren interessiert Rihm nicht. Es geht ihm um das männliche und das weibliche Prinzip – und die kulturvernichtende Wirkung ihres Missverstehens.

Das Gewitter kommt bei Konwitschny in Form eines ersten Rendezvous’. Montezuma (Angela Denoke) prüft unruhig die Ordnung in ihrem weißen Wohnzimmer mit dem mexikanischem Teppich auf dem Boden, einer Flasche Tequila im Regal und dem Bild „Der verwundete Hirsch“ von Frida Kahlo überm Sofa. Cortez (Bo Skovhus) ist nicht weniger nervös und raucht vor dem Klingeln noch kurz eine, den Strauß rote Rosen unterm Arm.

Und dann geht von Anfang an alles schief. Cortez bekommt die Tür an den Kopf, tapst benommen herum und weiß nicht, wohin mit den Händen. Montezuma nestelt an den Blumen und gibt dem Gast keine Gelegenheit, seiner Unbeholfenheit zu entkommen. Er wird sie mit Gewalt zu überwinden suchen.

Stufe für Stufe zeigt Konwitschny Varianten von missglückter Kommunikation und dem traurigen Schatten, der daraus erwächst. Dabei bleibt selbst sein Slapstick immer existenziell, denn er ist mustergültig konsequent aus der musikalischen Struktur entwickelt – und findet in Angela Denoke und Bo Shovhus hingebungsvolle Mimen. In jeder Hinsicht eine Idealbesetzung.

Im zweiten Teil versuchen sie, mittels erotischer Spielchen doch noch zueinander zu finden. Hier könnte es jetzt privat werden, doch der Regisseur hetzt einen männlichen Bewegungschor aus dem Publikum polternd ins Apartment von Montezuma. Unter dem grölenden Einfluss dieser „Voyeure aller Zeiten“ entgleist auch diese Anbahnung, mit immer brutaleren Folgen. Montezuma wird vergewaltigt während Cortez mit einem nackten Goldmädchen im roten Cabrio entschwindet.

Die Szenerie erinnert an den Film "From Dusk Till Dawn"

Überhaupt kommt des Mannes bestes Stück zu umfangreichen Theaterehren: Montezumas Wohnung erhebt sich inmitten eines riesigen Autofriedhofs, für Bühnenbildner Johannes Leiacker „Müll der patriarchalischen Gesellschaft“. Der Festivalsponsor mit den vier Ringen wird da wohl trocken schlucken. Die Szenerie erinnert entfernt an die finale Einstellung von „From Dusk Till Dawn“: Robert Rodriguez hatte in seinem Road-Vampir-Movie hinter der fatalen Bar „Titty Twister“ eine endlose Halde herrenloser Fahrzeuge neben indianische Tempel gesetzt. Ein Tableau, das atemlos machte. Warum soll so was auf der Opernbühne nicht auch funktionieren?

Dem, was Rihm oft nur vage anklingen lässt, verleiht Konwitschny entschlossen Richtung. Die zumeist nur auf „A“ gesungenen Partien unterlegt er mit einer zwingenden Semantik, die für jedes Regieseminar Lehrmaterial bietet. Dass Humor dabei von Vorteil ist, zeigt der vorletzte Teil, in dem Montezuma niederkommt und Cortez das virtuelle Zeitalter schenkt. Aus ihrem Schoß purzeln Smartphones und Tablets, die sogleich in den Mittelpunkt des appsoluten Interesses rücken. Das Gemetzel zwischen Azteken und Spaniern – ein rasantes Game auf der Videowand. Der Schlaf wahrer Kommunikation gebiert Ungeheuer.

Die Felsenreitschule wird zum Klangraum

Tot sind sie am Ende, die zueinander wollten. Im Dunkeln singen Cortez und Montezuma a cappella einen letzten Sehnsuchtsgesang. Nur „Der verwundete Hirsch“ ist noch zu sehen: Er trägt das Gesicht Frida Kahlos, Pfeile durchbohren ihn. Und es herrscht einmal wohltuende Stille. Zuvor dröhnte es mächtig in der Felsenreitschule, diesem prachtvollen Klangraum für moderne Musik. Aus den steinernen Säulengängen schmettern Chöre vom Band, aus Klanginseln im Zuschauerraum rattert Percussion. Ingo Metzmacher verbindet das alles mit sicherer, stets dem Theater zugewandter Hand. Doch die Frage hallt nach, ob Rihm seit der Uraufführung 1992 in der Verfeinerung seiner Kunst nicht weiter gekommen ist, als „Die Eroberung von Mexico“ jetzt ahnen lässt.

Und dann, mitten im Schlussapplaus, gibt es diesen magischen Moment. Beinahe unbemerkt öffnet sich die Küchentür der Montezuma-Wohnung und heraus tritt der Komponist, die Schräge der Bühne vorsichtig mit seiner Körperfülle ausbalancierend. Rihm breitet seine Arme aus, groß, verletzlich, liebevoll. Wenn er diesen Augenblick im Herzen behält, werden wir noch von ihm hören: Musik, die berührt.

Und was gibt es für Konwitschny noch zu tun, nachdem er Salzburg endlich für sich eingenommen hat? Er macht daraus keinen Hehl. Für ihn als leidenschaftlichen Wagner-Regisseur heißt die letzte Bastion Bayreuth. Da könnte Katharina Wagner zeigen, dass sie Größe besitzt.

Wieder am 29. 7. sowie am 4. und 10. 8.. Weitere Infos: www.salzburgfestival.at

Ulrich Amling

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