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Gut gegrapscht ist halb bezirzt. Der britische Bariton Christopher Maltman in der Titelrolle des "Gawain".
© dpa/Barbara Gindl

Salzburger Festspiele: Dieser Ritter kommt vom Niederrhein

Mit Schmirgelsound: Gut 20 Jahre nach der Uraufführung holen Ingo Metzmacher und Alvis Hermanis holen Harrison Birtwistles Oper „Gawain“ aus der Schublade.

Es ist ja so leicht, über Alexander Pereira zu lästern. Weil dem Salzburger Festspielintendanten jeder Intellektuellen-Habitus abgeht. Weil er nie diesen Was-die- Welt-im-Innersten-zusammenhält-Blick aufsetzt, der seriösen Kulturmachern Glaubwürdigkeit verleiht. Der 65-Jährige ist ein Charmeur alter Schule, einer, der ganz selbstverständlich Damenhände küsst. Und wenn er bei den abendlichen Premieren repräsentiert, gerne im weißen Dinner-Jackett, an seiner Seite die 40 Jahre jüngere Freundin, ein ehemaliges Erotikmodell aus Brasilien, dann hat er durchaus auch etwas Bräsiges, dann fügt er sich nahtlos ein in den Klüngel der aufgebrezelten Adabeis, des internationalen Geldadels, der sich sommers in Salzburg zu treffen pflegt.

Pereira ist Spross einer Wiener Diplomatenfamilie und war Olivetti-Manager, bevor es ihn in die Kultur zog. Er weiß, wie man Sporen verhätschelt – und lässt sich das Geldeintreiben mit hohen Provisionen vergüten. Nach einer goldenen Ära an der Züricher Oper war der Ruf nach Salzburg die Krönung einer Quereinsteigerkarriere: Das größte Klassikfestival der Welt hat Pereira um eine „Ouverture spirituelle“ am Beginn und eine sündhaft teure Ball-Gala am Ende erweitert, für 280 Veranstaltungen muss er in diesem Jahr 260 000 Tickets loswerden – von denen zum offiziellen Festspielstart am Freitag bereits 90 Prozent über den Vorverkaufstresen gegangen waren.

Auf die Programminhalte schaut man bei einem wie Pereira immer als Letztes. Was ungerecht ist. Denn seine ersten drei Opernpremieren sind 2013 alles andere als Kassenknüller. Weil György Kurtág mit seinem Auftragswerk nicht fertig wurde, gibt es Harrison Birtwistles „Gawain“, eine atonale Artussaga, die seit der Londoner Uraufführung 1991 kein anderes Haus spielen wollte. Dann folgt „Lucio Silla“ vom 16-jährigen Mozart, eine opera seria im schon 1772 reichlich angestaubten Metastasio-Stil mit endlosen Rezitativen. Giuseppe Verdis „Falstaff“ schließlich, in Musikerkreisen ein hochgeschätztes Alterswerk, rangiert beim breiten Publikum weit hinten auf der Beliebtheitsskala.

Alexander Pereira aber wollte diese Opern, genauso, wie er unbedingt 1300 Kinder vom venezolanischen Musik- und Sozialförderprogramm „El Sistema“ nach Salzburg einfliegen und hier 14 Konzerte spielen lassen wollte. Und er hat die gewagten Projekte natürlich durch Promi- Events abgefedert. Durch einen konzertanten „Nabucco“, dirigiert von Riccardo Muti, durch Verdis „Giovanna d’arco“, ebenfalls als Konzertversion, mit Netrebko und Domingo, durch Cecilia Bartolis „Norma“ oder auch eine „Entführung aus dem Serail“ im Flughafenhangar.

Bei Opernkennern freilich sorgt auch die „Gawain“-Besetzungsliste für anerkennendes Kopfnicken. Der große Wotan-Interpret John Tomlinson ist dabei, Laura Aikin, eine Diva der Moderne, und die Titelrolle singt mit Christopher Maltman einer der eindrücklichsten Don Giovanni-Darsteller. Strapaziös sind diese Partien, und dennoch undankbar. Weil bei Harrison Birtwistle das Orchester die Hauptrolle spielt. Ein Riesenensemble (neun Kontrabässe, drei Tuben!), das die ganze Breite der Felsenreitschule ausfüllt. Für den Dirigenten Ingo Metzmacher eine enorme Herausforderung, dieses Breitwandgeschehen gestisch zu koordinieren, auch die Schlagwerker mitzunehmen, die jeweils über 20 Meter von ihm entfernt auf Emporen sitzen.

Es gelingt ihm auf fabulöse Weise, und akustisch macht die Spreizung der instrumentalen Massen mächtig Effekt: Wie extraterrestrisch wirken die Perkussionslaute – grollender Donner, tönende Glocken, Hämmer, die auf große Trommeln fallen, Klöppel, die Holz und Metall traktieren –, während sich im Graben ein dichter Streicher- und Bläserklang unaufhaltsam vorwärtswälzt. Ganz verweigert Birtwistle sich melodischen Elementen nicht, aus dem schabenden, schleifenden, schmirgelnden Sound zucken geformte Tonfolgen auf, fanfarenhaft, blitzlichtartig. Irgendwoher aus dem Off erklingt lateinischer Chorgesang, gespenstisch, nicht lokalisierbar, während die drei Arkadengänge der 1693 in den Mönchsberg gehauenen Felsenreitschule wandernde Schatten werfen.

Diese Felsenreitschule ist ein magischer Ort, ideal, um eine Episode aus der Artus-Sage zu erzählen: An der Tafelrunde herrscht gepflegte Langeweile, als ein grüner Ritter Einlass begehrt. Wer mutig sei, erklärt er, werde ihm den Kopf abschlagen und sich nach einem Jahr und einem Tag dasselbe von ihm gefallen lassen. Gawain tritt vor, schwingt die Axt – und erstarrt, als der Kopf ungerührt weiterspricht. Zwölf Monate später wird er überleben, weil er die Zeit der Angst genutzt hat, um persönlich zu reifen. Als die Artus-Mannen ihn hochleben lassen wollen, wehrt er ab: „Ich bin nicht dieser Held.“

Als Alvis Hermanis seine Inszenierung konzipierte, kam er schnell zu dem Schluss, dass er nicht den Kampf des christlichen Gawain gegen den heidnischen Grünen Ritter darstellen wollte, sondern den zwischen Natur und Zivilisation. „Wir schreiben das Jahr 2012, eine Katastrophe hat fast die gesamte Menschheit vernichtet“, verkündet eine Projektion auf der Bühnenrückwand. Linkerhand vegetieren verwahrloste Gestalten in einer Fabrikhalle ihrem Ende entgegen, rechterhand türmen sich Autowracks, ebenso von Grünspan überzogen wie die Fabelwesen, die hier hausen. Und Gawain, der Wanderer zwischen beiden Welten, ist: Joseph Beuys!

War der nicht auch ein Draufgänger mit Erleuchtungspotenzial? Her er nicht auch Mythen erfunden? Und die Partei der Grünen mitgegründet! Auch wenn Christopher Maltman mit Hut und Weste dem Künstler verblüffend ähnlich sieht, funktioniert das mehrfach um die Ecke gedachte Konzept überhaupt nicht. Was eindrucksvoll als apokalyptisches Szenario beginnt, wird bald zum Beuys-Biografical mit nachgespielten Happenings: Da ist der in eine Filzbahn gehüllte Meister, der sich mit einem Kojoten einschließen lässt (New York, 1974), da zieht ein Rudel Schlitten (ohne Hunde) einen VW-Bus (Edinburgh, 1970), da erklärt der mit einer Goldstaubmaske angetane Beuys einem toten Hasen seine Bilder (Düsseldorf, 1965).

Nebenbei läuft die Handlung weiter, die Hermanis bei aller Ritualisierung doch nicht ganz übermalen mag. Gawain- Beuys hat sich parsifalgleich dem ungeschickten Liebeswerben einer drallen Lady (Jennifer Johnston) zu erwehren, während im Rhythmus der Orchester-Eruptionen ein Dutzend Statisten von ekstatischen Zuckungen geschüttelt wird. Der Held, der sich der Siegesfeier verweigert, wird am Ende von der zu Kannibalen degenerierten Ritterschaft in Stücke gerissen. Gefragt, ob er auf Proben mit Regisseuren und Dirigenten diskutiere, hat Harrison Birtwistle geantwortet: „Nein, nie! Sie können machen, was sie wollen. Und ich darf das nachher eventuell auch nicht mögen.“ Frederik Hanssen

Frederik Hanssen

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