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Georg Zeppenfeld (l.) als Karl der Große und Michael Schade (r.) als Fierrabras.
© dpa

"Fierrabras" bei den Salzburger Festspielen: Ritter, Ränke, rare Glücksmomente

Peter Stein beweist bei den Salzburger Festspielen, dass Schuberts selten gespielte Oper „Fierrabras“ doch funktionieren kann.

Joseph Kupelwieser war sich sicher: Ritteropern werden der neue Publikumsrenner! Darum hatte er 1823 für sein Wiener Kärntnertortheater ein Werk mit Mittelalterambiente bei Carl Maria von Weber bestellt – und gleich noch selber ein ähnliches Libretto für Franz Schubert geschrieben. Doch der Herr Intendant sollte sich täuschen. Webers „Euryanthe“ fiel durch. Frustriert sagte er auch noch die Premiere von Schuberts „Fierrabras“ ab. Erst 1897, 69 Jahre nach Schuberts Tod, kam es zur ersten szenische Aufführung des „Fierrabras“. Berühmt wurde die Produktion von Claudio Abbado und Ruth Berghaus bei den Wiener Festwochen 1988.

Jetzt hat sich Alexander Pereira die Oper geschenkt. Allen warnenden Stimmen zum Trotz, die raunten: Das wird garantiert ein Kassenflop. „Als ich 2009 das Angebot bekam, Intendant in Salzburg zu werden“, erzählt er bei der Pressekonferenz kurz vor der Premiere, „wusste ich sofort: Dort möchte ich ,Fierrabras‘ machen, als erste Schubert-Oper bei den Festspielen überhaupt.“ Nikolaus Harnoncourt, den Pereira zunächst für die musikalische Realisierung gewinnen konnte, sagte ihm 2013 allerdings aus gesundheitlichen Gründen wieder ab.

Einspringer Ingo Metzmacher ist im Gespräch mit Journalisten sichtbar angespannt, reagiert gereizt auf Fragen nach Schuberts umstrittenen Qualitäten als Musikdramatiker. Peter Stein, sein Regisseur, ist ebenfalls in Grantelstimmung und hält nicht mit seiner Meinung über das Libretto hinterm Berg, nennt es einen „ungeschickten Mix aus romantischen Motiven“, die nichts mit realen Fakten zu tun hätten. Vordergründig geht es um den Kampf Karls des Großen gegen die Mauren. Tatsächlich aber werden vor der historischen Folie zwei Liebesgeschichten erzählt. Die eine: nicht standesgemäß, Prinzessin Emma will den armen Ritter Eginhard ehelichen. Die andere könnte gar zum Krieg führen, weil sich Florinda, die Tochter des Maurenkönigs, und Karls bester Recke Roland über die feindlichen Linien hinweg begehren. Zwischen beiden Paaren steht Titelheld Fierrabras, Sohn des Maurenkönigs, der wiederum Emmas Charme verfallen ist. Am Ende wird er zugunsten eines Friedens zwischen Christen und Arabern auf sein persönliches Glück verzichten.

Pereira, der alte Opernfuchs, hat recht!

„Dieser Text“, legt Stein nach, „ist so grauenvoll, dass wir uns bei den Proben zusammenreißen mussten, um nicht ständig loszulachen.“ Das will Pereira dann doch nicht als Schlusswort stehen lassen. Für ihn jedenfalls öffne „Fierrabras“ jedes Mal das Tor zu „empfindsameren Gedankenwelten“. Dann sitze er da „wie ein Kind“, betrachte des Geschehen „mit seligen Augen“.

Und tatsächlich: Der alte Opernfuchs hat recht! Dieses Stück kann funktionieren, wenn man es als mittelalterliches Märchenspiel hinnimmt, als verklärtes Bild eines möglichen, friedlicheren Miteinanders, einer Gesellschaft, in der Freundschaft und Liebe regieren. Peter Steins Idee, sich vom Bühnenbildner Ferdinand Wögerbauer Dekorationen im Stil des 19. Jahrhunderts entwerfen zu lassen, erweist sich als genialisch. Wie alte Stiche sehen die gemalten Prospekte aus, schraffiert, in Schwarz-Weiß. An dieselben Nicht-Farben hält sich auch Kostümbildnerin Annamaria Heinreich für die Ritterrüstungen und die herrlichen, mit byzantinischen Ornamenten übersäten Roben.

Staunend sitzt man da, geblendet von der edlen Schönheit der Ausstattung, von romanischer Kemenate, Säulenhalle, arabischen Festsälen, dem Burghof, in dem auch die Bäume aus bepinselter Gaze bestehen. Ein Zauber geht aus von diesen Stoffbahnen, ein Sog entsteht, der alle lange eingeübten Brecht’schen Reflexe außer Kraft setzt. Es geht gar nicht anders: Ja, jetzt glotze ich doch mal so romantisch! Was Peter Stein szenisch anrichtet, das feierliche Wallen der Protagonisten, die Chorprozessionen, die Burgfräulein an Spinnrädern, die ritualisierten Ränkespiele der Ritter, die zarten Berührungen der Liebenden, alles wird streng symmetrisch choreografiert, zu lebenden Bildern arrangiert. Man muss an Theaterfotos von vor 100 Jahren denken. Ob so die Lübecker Stadttheateraufführung des „Lohengrin“ gewirkt hat, die im jungen Thomas Mann eine lebenslange Opernleidenschaft entbrennen ließ?

Damals war der Beruf des Regisseurs noch kaum erfunden, damals wurde der Name des Dirigenten, des eigentlichen Interpreten, groß auf die Plakate gedruckt. In Salzburg vermag Ingo Metzmacher diese Führungsrolle zu übernehmen, wenn er seine ganze Liebe zu dieser Partitur offenlegt. Damit hat er schon die Wiener Philharmoniker überzeugt, die ihm gefühlvoll folgen, damit gewinnt er nun auch das Publikum, öffnet die Ohren für diese vielgestaltige Musik, für die Strophenlieder im Volkston, für die pathossatten Männerchöre, das süßliche Gesäusel der Verliebten, die oratorienhaft statischen Ensembles, ja sogar für die staatstragenden Reden der Ritter und Regenten, deren Tonfall auf verwirrende Weise sowohl nach italienischer Opera seria klingt wie auch nach frühem Richard Wagner.

Von der historisierenden Optik scheint die Musik emotional enorm verstärkt zu werden. Jedes Dur klingt strahlender, jedes Moll bitterer als gewohnt, selbst floskelhafte Jubelchöre wirken nobel. Und die Sänger machen mit, fügen sich als stilisierte Figuren in die aus der Ferne längst vergangener Zeiten aufscheinende Handlung, deklamieren Sprechtexte angemessen artifiziell, tragen ihre Gewänder mit aristokratischer Würde.

Julia Kleiter ist eine Emma von entzückender Mädchenhaftigkeit, während Benjamin Bernheim als Eginhard leider lostrompetet wie Jung-Siegfried. Nobler als Georg Zeppenfeld kann man sich Karl den Großen kaum vorstellen, den edelmütigen Fierrabras gibt Michael Schade mit recht metallisch gewordenem Tenor. Stark und charakterfest kommt Markus Werbas Roland daher. Für Florinda ist Dorothea Röschmann eine Idealbesetzung, weil sie dieser mutigen Frau in allen ihren Facetten nachzufühlen versteht, weil sie ebenso eine schmachtende Liebende sein kann wie eine wild-entfesselte Furie.

Natürlich ist dieser Abend ein Ausnahmefall, einer jener raren Glücksmomente, in denen sich rückwärtsgewandte Regie und ein auf höchste Lebendigkeit zielender Dirigierstil gegenseitig magnetisieren. Natürlich lassen sich nicht alle Opern auf diese Weise zu Traum-Abenden machen. Aber im Kern ist hier verwirklicht, worauf es letztlich immer ankommt, in der Kunst wie im Leben. Erich Kästner hat es mit Blick auf die Familie einmal so formuliert: „Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel.“

Weitere Aufführungen am 16., 19., 22., 25. und 27. August

Frederik Hanssen

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