Berliner Rapper Marteria: "CNN-Reporter boten 50 Mark für einen Hitlergruß"
Der Berliner Rapper Marteria veröffentlicht am Freitag sein Album "Zum Glück in die Zukunft 2". Im Interview spricht er über den Wandel der Feierkultur, das Aufwachsen in Rostock und die horizonterweiternde Wirkung des Reisens.
Marteria, glaubt man Ihrem neuen Song „Kids“, führen Sie gerade ein trauriges Leben. Ihre Freunde gehen arbeiten, keiner will mehr feiern, Sie langweilen sich. Ist es wirklich so schlimm?
Ach, danke der Nachfrage, ich komme klar. Das Lied ist natürlich total überzogen, aber tatsächlich habe ich in meinem Umfeld beobachtet, dass viele Menschen so drauf sind. Sie führen ein total kontrolliertes Leben, sind voll auf dem Karrieretrip, achten auf ihre Ernährung, treiben Sport. Das befremdet mich, denn ich habe in diesem Alter ganz anders gelebt.
Wie denn?
Ich bin viel auf Partys und Konzerte gegangen und habe die Nächte durchgemacht. Mittlerweile bin ich gelassener geworden und habe keine Lust mehr, die ganze Woche feiern zu gehen. Ich fahre jetzt lieber raus in die Natur, gehe angeln und mache Sport. Aber wenn es drauf ankommt, kann ich natürlich immer noch durchdrehen und die Kids locker unter den Tisch trinken.
Heute sind doch auf Partys ganz andere Rauschmittel im Spiel.
Wenn man dem glauben darf, was man so hört, kursieren heutzutage viele angeblich reine Drogen. Außerdem gehen viele Jugendliche voll auf Ketamin ab. Ich finde das erschreckend. Ich selbst bin feiertechnisch in Großraumdiskos sozialisiert. Da standen die Hip-Hopper neben den Hooligans, den Rockabillys und den Nazis. Man bestellte ein Tablett Bacardi-Cola für sich und seine Freunde, das kostete zehn Mark, und dann ging’s ab.
Sie sind jetzt 31 und genau in dem Lebensabschnitt, von dem Sie einst in „Sekundenschlaf“ annahmen, dass er schwierig werden würde.
Stimmt. Ich muss aber feststellen, dass ich momentan sehr glücklich bin. Ich bin lieber alt als jung, das hätte ich nie gedacht. Die ganzen Ängste und Zweifel, die man als Teenager hat, sind ja sehr anstrengend. Es ist schön, das hinter sich zu lassen. Heute mache ich hinter meinen Sätzen keine Fragezeichen mehr, sondern Punkte.
Sie sind in den letzten zwei Jahren viel gereist. Woher kommt diese Rastlosigkeit?
Es tut mir gut, unterwegs zu sein. Ich will die Welt sehen, das eröffnet mir neue Perspektiven. Vielleicht ist das familiär bedingt. Mein Vater war zu DDR-Zeiten Seefahrer. Das war damals der einzige Beruf, der es einem ermöglichte rauszukommen. Er umkreiste mit dem Schiff Afrika und fuhr bis nach Südamerika. Er war nur selten daheim, höchsten zwei Mal im Jahr. Natürlich habe ich ihn oft vermisst, aber bei seiner Rückkehr brachte er immer die tollsten Abenteuergeschichten mit. Wahrscheinlich war davon nur die Hälfte wahr, aber das war mir egal.
Wie wichtig war das Reisen für die Arbeit an Ihrer neuen Platte?
Es hat mich sehr inspiriert. In Berlin kann ich keine Texte schreiben. Ich muss wegfahren, um Dinge auf den Punkt zu bringen. In die Gesichter der Menschen schauen, die mir unterwegs begegnen. Erst so finde ich die richtigen Worte.
Auf dem Cover sieht man einen kleinen Jungen, der mit einer Zwille direkt auf den Betrachter zielt. Eine Kampfansage?
In gewisser Weise schon. Ich war mit meinem guten Freund, dem Fotografen Paul Ripke, in Uganda unterwegs. In einem kleinen Dorf fiel uns ein Junge auf, er schoss mit einer Zwille auf Vögel. Dieses Bild fand ich sehr beeindruckend. Man kann die Geste ja durchaus als Metapher verstehen: Passt auf, wir ihr mit der nächsten Generation umgeht, sonst schießt sie.
Geschossen wird auch im Video zu „Bengalische Tiger“. Molotowcocktails fliegen, Autos brennen. Nur ein ästhetisches Mittel?
Es geht mir um das künstlerische Bild, ich will Vandalismus nicht verherrlichen. Die Kinder, die in dem Video zu sehen sind, stehen für die nächste Generation. Wir bilden uns ein, dass wir es in Deutschland gut haben. Ich glaube aber, das ist zu kurz gedacht. Man muss sich nur mal umschauen. In Portugal, Spanien und Griechenland beträgt die Jugendarbeitslosigkeit 50 Prozent. Überall auf der Welt brodelt es.
Doch lieber Fußballkarriere?
Woraus schließen Sie das?
In Uganda habe ich an der Universität von Kampala eine Deutschstunde gegeben und habe miterlebt, wie die Polizei mit Tränengas gegen Studenten vorgegangen ist, weil die gegen Studiengebühren protestiert haben. Da wurde mir klar, dass es überall auf der Welt die gleichen Probleme gibt, und die nächste Generation wird das nicht länger hinnehmen.
Wie hoch schätzen Sie denn die Eskalationsbereitschaft dieser Generation ein?
Das ist schwer vorherzusagen. Die Frage ist, wie wir in unserem Land mit Politik umgehen. Mit Werten. Mit Problemen. Geht es nur um uns oder denken wir in globalen Zusammenhängen und versuchen, die Dinge voranzubringen? Ich fände es zum Beispiel gut, ein Projekt zu starten, in dem Schüler mal für ein halbes Jahr in ein Land der Dritten Welt fahren. Das würde ihren Horizont erweitern. Viele Jugendliche gehen während des Abiturs ja gerne für ein Austauschjahr in die USA. Aber letztlich bewegt man sich dort in einer McDonald’s-Gesellschaft.
Sie sind in Rostock-Lichtenhagen aufgewachsen …
Das sagt schon alles, oder?
Als es dort zu den ausländerfeindlichen Übergriffen kam, waren Sie zehn. Was haben Sie davon mitbekommen und wie hat Sie das geprägt?
Das Asylbewerberheim, das damals attackiert wurde, war direkt bei uns um die Ecke. Die Zeit war der blanke Horror. Meine Mutter heulte tagelang, weil sie so beschämt war von den Vorfällen. Sie wollte nicht, dass ihre drei Kinder in so einer Umgebung aufwachsen und zog mit uns weg. Ich erinnere mich daran, dass CNN-Reporter an meine Schule kamen und uns Kindern 50 Mark boten. Um uns mit Hitlergruß aufnehmen zu dürfen. Einige Mitschüler aus meiner Klasse ließen sich darauf ein. Ich lehnte rigoros ab.
Sie haben in der Jugendmannschaft von Hansa Rostock gespielt, Ihre Fußballkarriere aber aufgegeben, um als Fotomodell in New York zu arbeiten. Haben Sie diese Entscheidung je bereut?
Ich war damals 17 und trainierte morgens, mittags, abends bei Hansa. Dann fuhr ich in die USA und besuchte meine Schwester, die da als Au-pair-Mädchen arbeitete. Ich wurde auf der Straße von einem Modelscout angesprochen. Ich dachte: Wenn’s nicht klappt, spiele ich weiter Fußball. Doch wenn man erst mal auf einem so professionellen Level spielt, kann man nicht einfach zwei Jahre aussetzen. Als es in New York nicht gut lief, dachte ich oft, dass ich den größten Fehler meines Lebens begangen hätte. Zum Glück hat sich doch noch alles zum Guten gewendet.
Gehen Sie heute noch oft ins Stadion?
Klar, so oft ich kann. Die Heimspiele besuche ich mit meinem Sohn, in voller Montur, mit Rasseln und Fahnen. Kinder muss man ja ranführen, damit sie nicht abdriften und Fans des FC Bayern werden. Deshalb versuche ich mein Management dazu zu bewegen, alle Hansa-Spiele in den Kalender einzuarbeiten.
Das Gespräch führte Nana Heymann. "Zum Glück in die Zukunft 2"erscheint am 31.1. bei Four Music/Sony. Am 12. April tritt Marteria in der Berliner Max-Schmeling-Halle auf.
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