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Meinung: Party im Pferdestall

Die Modedroge Ketamin muss auf die Betäubungsmittelliste

Alexander S. Kekulé Bei Narkoseärzten ist die Horrorwirkung gut bekannt: Aus der Betäubung mit Ketamin wacht ein Großteil der Patienten wie aus einem grässlichen Albtraum auf. Sie fühlen sich wie außerhalb ihres Körpers, haben panische Angst, die Umgebung ist irreal und bedrohlich. Manche fragen, ob sie gestorben sind. Ein Großteil leidet zusätzlich unter Übelkeit mit Erbrechen, erhöhtem Speichelfluss, Muskelzittern, Schwindel und Sehstörungen. Die meisten wollen nie wieder mit Ketamin betäubt werden.

Seit mehr als zehn Jahren wird der chemische Narkosehammer deshalb nur noch gemeinsam mit starken Schlafmitteln verwendet, die dem Patienten den Horrortrip ersparen. Die Anästhesie allein mit Ketamin gilt als grausam und überholt. Nur in der Tiermedizin ist das Narkotikum wegen seiner kurzen Wirkungsdauer nach wie vor beliebt: Für Pferde etwa ist es wichtig, nach der Operation schnell wieder auf die Beine zu kommen.

Das Pferdemittel, das auch noch widerwärtig bitter schmeckt, avanciert derzeit in Europa zur neuen Partydroge. Anfang September veröffentlichte „Drugscope“ eine Studie, wonach Ketamin bereits in acht von 15 untersuchten britischen Städten auf dem Markt ist – im vergangenen Jahr war es im Vereinten Königreich noch so gut wie unbekannt. Auf Ibiza wurde im Juli ebenfalls eine größere Menge sichergestellt. „Special K“, das bis vor kurzem nur bei wenigen Drogenfreaks mit Hang zum Experimentieren kursierte, dürfte demnächst auch die deutschen Clubs überschwemmen. Im Gehirn hat das seit den 70ern verwendete Medikament höchst gegensätzliche Wirkungen. In niedriger Dosis erregt es die „Glutamat-Rezeptoren“ der Hirnrinde, der Stoffwechsel dieser für das Bewusstsein zuständigen Region steigt extrem an. Bei höherer Dosis kehrt sich die Wirkung um: Jetzt bindet Ketamin an den „NMDA-Rezeptor“, der den Glutamat-Effekt hemmt – die Aktivität der Hirnrinde wird gedämpft, die narkotisierende Wirkung beginnt. Zusätzlich werden die für die Morphium-Wirkung verantwortlichen „Opioid-Rezeptoren“ und mindestens fünf weitere Schalter im Nervensystem beeinflusst, so dass einzelne Teile des Gehirns miteinander und mit der Außenwelt nicht mehr richtig kommunizieren.

Das so von äußeren Signalen und mentaler Kontrolle abgeschnittene Zentralorgan lässt wahllos gespeicherte Programme ablaufen: Der Mensch sieht seinen eigenen Tagträumen zu, erlebt sich wie schwebend über seinem eigenen Körper. Das Geschehen während der Operation wird zwar wahrgenommen, jedoch so, als beträfe es jemand anderen. Diese „dissoziative Anästhesie“ wird oft mit Nahtoderlebnissen verglichen. Wenn am Ende der Narkose dann der Ketaminspiegel sinkt, kehrt sich die Wirkung wieder in Erregung um. Das Gehirn wird aus einem unkoordinierten Traumzustand heraus schlagartig aufs Höchste aktiviert – der Patient schreckt panisch und desorientiert auf, als wäre eine Pferdeherde über ihn getrampelt.

Das Problem der Droge „Special K“ ist ebenfalls die Dosis: Wer Glück hat, fühlt sich für ein paar Minuten im eigenen Körper wie Alice im Wunderland. Wer zu viel erwischt (oder individuell dafür empfänglich ist), geht durch die Hölle. Nach einer britischen Studie wollen 87 Prozent der Jugendlichen, die „Special K“ probiert haben, es nicht noch einmal nehmen.

Der Rest unterschätzt die Gefährlichkeit von „Vitamin K“ auch, weil es seit drei Jahrzehnten klinisch erprobt wurde –  welche andere Partydroge kann das von sich behaupten? In Deutschland kommt hinzu, dass Ketamin hier zu Lande kein Betäubungsmittel ist. Damit ist es im Vergleich zu Haschisch oder Ecstasy scheinbar harmloser, leichter zu bekommen und strafrechtlich weniger problematisch. Aufklärung tut deshalb Not. Außerdem muss die Pferdedroge umgehend auf die Liste der Betäubungsmittel, damit die Tanzschuppen der Kids nicht demnächst zu Tierställen werden.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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