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Der 1986 geborene Schriftsteller Cihan Acar.
© Robin Schimko/Hanser Verlag

Das Deutschland der Gegenwart: Cihan Acars lesenswerter Heilbronn-Roman "Hawaii"

In seinem Debütroman "Hawaii" erzählt Cihan Acar von einem gescheiterten türkischstämmigen Fußballstar - und von einem verrufenen Viertel in Heilbronn.

Auch wenn das nicht gerade glaubhaft klingt: Hawaii liegt mitten in Heilbronn. Tatsächlich gibt es in der fünfzig Kilometer nördlich von Stuttgart gelegenen Neckar-Stadt ein Viertel, das so genannt wird.

Hawaii ist eine der schlimmsten, unansehnlichsten Gegenden von Heilbronn, das sowieso nicht eine der ansehnlichsten Städte in Deutschland ist, umgeben von Fabriken, mit hoher Kriminalitätsrate, ein Viertel, in dem man in den achtziger- und neunziger Jahren „vor lauter Spritzen und Gangs und Müll und Drogenleichen kaum durch die Straßen laufen konnte.“

So beschreibt der Held von Cihan Acars Debütroman „Haiwaii“ (Hanser Berlin, Berlin 2020. 254 S., 22 €.) den Ort seiner Kindheit und Jugend, nachdem seine Eltern aus einem der Dörfer aus der Umgebung dorthin gezogen waren, weil sie auf die Schnelle nichts gefunden hatten. Kemal Arslan heißt der Ich-Erzähler des Romans, und eigentlich hatte er den Absprung geschafft. Er war Fußballstar, spielte in einem türkischen Erstliga-Fußballverein. Bis er sich zu einem Autorennen provozieren ließ, bei dem er die Kontrolle über seinen Jaguar verlor und eine schwere Fußverletzung davontrug.

Rassismus ist für die Figuren Alltag

Nun ist Kemal zurück in der Heimat, in Hawaii, und versucht sein Leben neu zu ordnen: Er braucht Geld, er muss arbeiten, eine Ausbildung machen, das Abitur hatte er zugunsten der Fußballkarriere sausen lassen. Und er möchte seine Ex-Freundin Sina zurückerobern.

Cihan Acar, der 1986 geboren wurde, selbst Heilbronner ist und schon zwei Liebeserklärungen in Buchform verfasst hat, an den türkischen Fußballverein Galatasaray Istanbul und an den Hip-Hop, dieser Cihan Acar also erzählt von vier Tagen und drei Nächten aus dem neuen und manchmal auch alten Leben von Kemal Arslan. Er lässt ihn durch Männercafés, Spielhallen, Wettbüros und Table-Dance-Bars streifen, mit alten Freunden wie Emre und Hakan zusammentreffen, mit zwielichtigen Typen wie dem erfolgreichen Geschäftsmann Tayfun oder dem stets in schwarz gekleideten Hustler Faruk.

„Haiwaii“ lebt von seinen Milieuschilderungen, primär dem der türkischen Migranten aller Generationen, von seinen Settings und nicht zuletzt den authentischen, mitunter witzigen Dialogen.

Und natürlich schluckt man dieser Tage, nach dem erschütternden Morden in Hanau umso schwerer, wenn hier die notorischen rassistischen Ausfälle beschrieben werden, „Scheiß Ausländer. Deutschland den Deutschen“, mit Gewalttaten einhergehen oder von einer obskuren Bürgerwehr flankiert werden, der "HWA", die die Bürger der Stadt meinen schützen zu müssen und "Heilbronn, wach auf!" skandieren. Für die Figuren dieses Romans ist das Alltag. Und nicht nur für die: Der Rassismus ist zum realen und vor allem auch mörderischen Alltag in Deutschland geworden.

Manchmal erinnert die Sprache Acars an die von Jakob Arjouni

Von einer Handlung, einer „Story“ kann in „Hawaii“ keine Rede sein. Doch die vermisst man gar nicht, denn was los ist immer auf den Straßen Heilbronns und in Kemals Leben.

Manchmal erinnert dieses Heilbronn an Jakob Arjounis Rotlicht-und-Vielvölker-Frankfurt, ja, und Kemal Arslan an Arjounis Ermittler Kemal Kayankaya. Manchmal auch an das Hannover in Philipp Winklers Roman "Hool", der wiederum auf der anderen Seite des gesellschaftlichen Spektrums angesiedelt ist.

Vielmehr aber ist es die schnelle, schnörkellose, in diesem Fall der Sprache Arjounis kaum nachstehende Prosa, die „Hawaii“ jenseits des von der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur weiterhin nur selten inspizierten Milieus so besonders, diese Geschichte so smart und großartig macht. Und vom Stoff her so gegenwärtig und bedenklich, wenn irgendwann die sogenannten Kankas, eine Gang aus dem Hawaii-Stadtteil, auf die HWA-Wehr treffen.

Heilbronn jedenfalls wirkt plötzlich ziemlich interessant, könnte ein echter Hotspot in dieser Saison werden. Zumindest auf der literarischen Landkarte.

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