zum Hauptinhalt
Michael Müller bei einer Plenarsitzung im Abgeordnetenhaus.
© Gregor Fischer / dpa

Müller stellt sich im Kulturstreit hinter Renner: Chris Dercon wird neuer Chef der Volksbühne in Berlin

Bei einer Sitzung im Abgeordnetenhaus kochten die Emotionen hoch: Michael Müller bestätigte Chris Dercon als Nachfolger für Frank Castorf an der Volksbühne. Damit stellt er sich endlich hinter seinen Kulturstaatssekretär Tim Renner.

Steht der Regierende Bürgermeister in der Frage des Berliner Theaterstreits hinter seinem Kulturstaatssekretär? Ja, durchaus. Schon rein optisch wird das am Donnerstag deutlich. Bei der Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses trägt Michael Müller eine rote Krawatte zum weißen Hemd – und dieselbe Farbkombination findet sich tatsächlich auch im floralen Großdruck von Tim Renners Oberbekleidung.

Als der Kulturexperte Wolfgang Brauer von der Linken bei der Fragestunde wissen will, ob Müller die „gutsherrenartige Entscheidung“ des vom „Weiterentwicklungswahn“ befallenen Staatssekretärs zur Neubesetzung der Volksbühnen-Intendanz gutheiße, erklärt der Regierende: „Ich freue mich darauf, dass Chris Dercon 2017 nach Berlin kommt.“ Und bestätigt damit endlich offiziell, was seit Wochen bekannt ist.

Von einer „grundsätzlichen Auseinandersetzung“, einer „Konfrontation“ gar will der Regierende Bürgermeister, der ja auch Kultursenator ist, im Fall der Nachfolge von Frank Castorf nichts wissen. Es müsse erlaubt sein, in Zukunft am Rosa- Luxemburg-Platz neue Ausdrucksformen zuzulassen, findet Müller. Und mit der Wahl von Chris Dercon nehme man doch genau in diesem Sinne den Ball vom leidenschaftlichen Genre- und Grenzüberschreiter Frank Castorf auf.

Niemand muss die Neuausrichtung der Volksbühne fürchten

Darum mag Müller auch nicht verstehen, warum beim Humboldt-Forum die künftige Leitung durch ein „Team von Intendanten mit herausragenden internationalen Persönlichkeit an der Spitze“ allgemein begrüßt wurde, bei der Volksbühne aber nicht. Zumal seitens seiner Kulturverwaltung überhaupt keine Zerstörung des Ensemble- und Repertoireprinzips geplant sei: „Wir wollen, dass dort weiterhin Eigenproduktionen entstehen.“ Folglich werde es durch die Neuausrichtung der Volksbühne auch nicht zu der von Kulturstaatsministerin Monika Grütters befürchteten Doppelung mit den vom Bund finanzierten Angeboten kommen. Die Berliner Festspiele beispielsweise laden ja nur auswärtige Produktionen nach Berlin ein.

Sein Ziel als Klaus Wowereits Erbe im Amt des Kultursenator sei es, die hauptstädtische Theaterszene „zu stärken und weiterzuentwickeln“, betont Michael Müller – und kann es sich nicht verkneifen, noch einmal auf die Invektiven des Berliner-Ensemble-Chefs Claus Peymann anzuspielen, der ihm jüngst chronische Kulturferne unterstellt hatte. Wie er seine kulturpolitischen Prioritäten setze, sagt er zum Abgeordneten Wolfgang Brauer gewandt, das dürfe diesem ja wohl eindeutig klar geworden sein, „wenn wir uns, wie so oft, in einem Opernhaus oder einem Theater getroffen haben“.

Die Stimmung im Saal kochte hoch

Tief klafft der Graben zwischen Castorf-Apologeten und Erneuerungsbefürwortern an diesem Vormittag im Parlament. Während der Ausführungen Michael Müllers fliegen Zwischenrufe über die Fraktionsgrenzen hinweg durch den Saal. Und als Daniel Buchholz von der SPD die rhetorische Frage stellt, ob aus „den einstigen Revoluzzern“ Castorf und Peymann nicht mittlerweile „halsstarrige Bewahrer“ einer überkommenen Ästhetik geworden seien, kochen die Emotionen derart hoch, dass der Sitzungsleiter die aufgebrachten Abgeordneten zur Ruhe rufen muss.

Es hat durchaus Seltenheitswert, dass ein Kultursenator eine wichtige Personalentscheidung während des donnerstäglichen Parlaments-Plenums bekannt gibt. Durch die anhaltende, stürmisch in allen Medien geführte Debatte sah sich Michael Müller nun aber zu diesem Schritt gezwungen. „Sicher hätte man das eine oder andere genauer kommunizieren können“, resümiert er selbstkritisch sein Verhalten sowie das von Tim Renner. Die Vorstellung von Chris Dercon im Rahmen einer Pressekonferenz im Roten Rathaus, die ursprünglich für den 30. April geplant war, ist nun auf den morgigen Freitag um 15 Uhr vorgezogen worden.

Frederik Hanssen

Zur Startseite