Kulturstreit mit Peymann in Berlin: Der Müller ohne Doktor
Im Streit mit Theatermann Claus Peymann kontert der Regierende Bürgermeister und Kultursenator in Personalunion, die Kritik an seinem Kulturverständnis liege am fehlenden Doktortitel. Dabei sollte der in seiner Partei SPD keine Rolle spielen.
Kontern kann er, kein Zweifel. Michael Müller, Regierender Bürgermeister und Kultursenator, hat eine verbale Offensive gegen Claus Peymann begonnen, den Intendanten des Berliner Ensembles. In einem Interview mit der „Welt“ warf der Regierende Kultursenator nun Peymann intellektuellen Hochmut und ein elitäres Kulturverständnis vor.
Peymann hatte Müller und seinen Kulturstaatssekretär Tim Renner Anfang April als „Zerstörer“ bezeichnet, als bekannt wurde, dass beide planten, die Volksbühne in Zukunft dem Londoner Kurator und Museumschef Chris Dercon anzuvertrauen. Dem Kultursenator legte Peymann nahe, das Ressort abzugeben, den Staatssekretär bezeichnete er als „Lebenszwerg“. Müller beantwortete Peymanns Attacke jetzt mit der Frage, ob Peymann seine Kritik ebenso formuliert hätte, „wenn ich Dr. Müller wäre? Ich glaube nicht.“ Und Peymanns Behauptung, dass er „neulich erstmals in seinem Leben in der Oper“ gewesen wäre, sei „eine Unverschämtheit“, so Müller, „Dr. Müller wäre das wohl nicht passiert.“
Müller hat eine kaufmännische Lehre gemacht und von 1986 bis 2011 als selbstständiger Drucker gearbeitet (allerdings war er von 2001 bis 2011 vor allem Chef der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus).
Warum der sonst so verbindliche Regierende so konterte, wie er es tat, dazu gibt es sehr unterschiedliche Thesen – und alle sagen etwas über Müller. Der SPD-nahe Politikwissenschaftler Richard Stöss sagt: „Seine Kommunikationsstrategie ist suboptimal.“
SPD war mal selbstbewusst gegenüber Intellektuellen
Schließlich habe es in der SPD durchaus mal Stolz auf die Herkunft aus der unteren Mittelschicht und ein „starkes Selbstbewusstsein“ gegenüber Intellektuellen gegeben. Das ignoriere Müller. Dabei sei er doch offenbar stolz darauf, einen ordentlichen Beruf gelernt und in diesem auch ein paar Jahre gearbeitet zu haben. Tatsächlich spricht aus Müllers Antwort auf Peymann eine gewisse Gekränktheit. Das macht für Stöss – noch – einen Unterschied zu Vorgänger Klaus Wowereit aus. Wowereit habe gefühlt und vermittelt: „Er ist der Chef, das ist völlig klar“, sagt Stöss, „das ist der Unterschied“.
Sollte diese Botschaft bei den Leuten ankommen, wäre das ein Desaster für Müllers Kommunikationsabteilung. Dabei hat der Regierende in der Konkurrenz mit Fraktionschef Raed Saleh und dem Landesvorsitzenden Jan Stöß um die Wowereit-Nachfolge die Unterstützung des politischen Strategen Kajo Wasserhövel gehabt, der sich Müller noch so verbunden fühlt, dass er zum Krach mit Peymann nichts sagen will. Zudem hat Müller den Kommunikationsfachmann (und Genossen) Robert Drewnicki in die Grundsatzabteilung der Senatskanzlei geholt und seit Jahren seine Sprecherin Daniela Augenstein als Beraterin.
Doch kann man Müllers anti-elitäre Attacke auch anders verstehen. Joachim Trebbe, Fachmann für Medienanalyse an der Freien Universität, sagt, dass es in der politischen Kommunikation seit Jahren einen Trend zum Niedermachen von Akademikern gebe. Legendär war das Spottwort des Bundeskanzlers Gerhard Schröder über den „Professor aus Heidelberg“, der im Wahlkampf der CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel den Deutschen die Vorteile eines einfachen Steuersystems nahebringen sollte und daran scheiterte.
Akademiker-Bashing als Wahlkampfstrategie
Auch in der Schweiz, so Trebbe, gelte das Akademiker-Bashing als gute Wahlkampfstrategie. Die Akademie sei das richtige Ziel, weil es „schön weit weg“ sei und „nicht zurückschlägt“. Man stänkere gegen eine „vermeintlich vermachtete Elite“. Müller gehe auf Konfrontation mit einem Kulturbetrieb, der mit Wowereit gemeinsame Sache gemacht habe, so Trebbe. Das Terrain müsse Müller sich erschließen – und dazu mache er „aus gesunder Distanz“ deutlich: „So könnt ihr nicht über meinen Staatssekretär reden!“
Werner van Bebber