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Macht und Gewalt. Ein Wanderarbeiter und der kaiserliche Drache, erkennbar an den fünf Krallen der Tatze.
©  Richard Sinte Maartensdijk

Zhang Dali Ausstellung in Den Haag: Chinas anonyme Helden

Über das Schicksal der chinesischen Wanderarbeiter: „Body and Soul“, eine berührende Ausstellung des Künstlers Zhang Dali in Den Haag.

Ein Gewirr von Gerüststangen, ein Chaos aus Stahl und Rost. Erst auf den zweiten Blick sieht man nackte Menschen, die lebensgroß in diesem dreidimensionalen Stahlgitter zu schweben scheinen. Aber sie schweben nicht, sie sind aufgespießt, durchbohrt, wie es gerade kommt, zum Teil hängen sie mit dem Kopf nach unten in dieser Installation „Brown’sche Bewegung“, die den großen Saal in dem Skulpturenmuseum Beelden an Zee in Den Haag ausfüllt. Zhang Dalis beeindruckende Installation über das Schicksal chinesischer Wanderarbeiter erinnert an „Chinese Offspring“, mit dem er bereits 2005 in einer Gruppenausstellung in dem vorzüglichen Museum im Stadtteil Scheveningen zu sehen war. Damals hingen die Wanderarbeiter nackt mit dem Kopf nach unten von der Decke. Jetzt hat er seine Arbeit weitergeführt und perfektioniert.

„Body and Soul“ heißt diese groß angelegte Werkschau, mit der Zhang Dali erstmals in Europa in einer Einzelausstellung zu sehen ist. Das Schicksal der Wanderarbeiter, die in seinen Augen Chinas Aufstieg zur globalen Wirtschaftsmacht mit ihrer anonymen Arbeitskraft unter unsäglichen Bedingungen erst möglich gemacht haben, zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Es erinnert an Brechts Gedicht „Fragen eines lesenden Arbeiters“: „Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer/fertig war/Die Maurer?“

Heute wie damals müssen es Millionen gewesen sein, doch niemand kennt sie, niemand erinnert an sie. Zhang Dali, geboren 1963, hat sich schon früh mit den Folgen des Transformationsprozesses in China auseinandergesetzt. Er hat nach seinem Kunststudium in Beijing als Graffiti- Künstler angefangen, zog durch die Altstadtviertel Beijings, in denen traditionelle Häuser mit rotem Schriftzug zum Abriss freigegeben wurden. Er sprühte auf diese Wände die Silhouette seines Kopfes, dann schlug er die Steine innerhalb der Umrisse heraus – und so entstand sein Kopf als Loch in der Mauer, durch das er dann oft die neuen Glaspaläste des neuen China fotografierte. Daneben sprühte er „AK-47“, den Namen des als Kalaschnikow bekannten russischen Sturmgewehrs, als Synonym für Gewalt. „Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen“, hat Mao Zedong gesagt. Zhang Dalis Kunst ist subtil. Sie setzt auf Kontextwissen, damit sich das Werk im Kopf des Betrachters vollendet. Zahlreiche Fotos aus dieser Serie, „Demolition“, von 1998 sind in der Ausstellung zu sehen.

Ein friedliches, aber irritierendes Bild

Vor den Fotos liegen nackte Menschen in Pink oder Türkis auf einem Sockel, die von einem gleichfarbigen kaiserlichen Drachen (erkennbar an den fünf Krallen der Tatze) vergewaltigt und bedrängt werden. „Man and Beast“ heißt diese Skulpturenserie von 2007, in der der Künstler ebenfalls von Wanderarbeitern einen lebensgroßen Abguss genommen hatte. Eine brutale Arbeit für die Modelle, sie geht mit großer Hitze beim Abbinden des Gipses und Platzangst einher, denn nur die Nasenlöcher und der Mund sind durch drei Röhren für 20 Minuten der einzige Kontakt zur Außenwelt. Aber Zhang Dali bezahlte die Arbeiter gut, und dafür nahmen sie die Strapazen auf sich.

Ergebnis dieser Methode sind auch die Figuren der beeindruckenden Skulpturengruppe „Square“ von 2014. Neben dem Gerüst mit den aufgespießten Menschen stehen und sitzen weiße Wanderarbeiter, die Augen natürlich geschlossen (wegen des Abformungsprozesses), meditative Menschen, an denen sich weiße Tauben festklammern, auf Köpfen und Händen der Menschen sitzen. Ein friedliches, aber irritierendes Bild, das in der Ausstellung durch die lackrote Wand, auf der „Square“ steht, erklärt wird. Ein deutliches Zeichen Richtung Tienanmen, den Platz des Himmlischen Friedens, wo 1989 der Aufstand der Studenten blutig niedergeschlagen wurde. Aber Zhang Dali betreibt kein Agitprop, es ist eine vieldeutige Reminiszenz an den Platz des Himmlischen FRIEDENS.

Mag der Kunststoffabguss einer menschlichen Form nicht für die Ewigkeit sein, so hat Zhang Dali im offenen Hof des Museums den anonymen Helden des chinesischen Wirtschaftswunders nun endgültig ein Denkmal gesetzt. Lebensecht und lebensgroß meißelte er 16 Wanderarbeiter für seine Skulpturengruppe „Permanence“ (2016) nackt, wie Gott sie schuf, aus dem Marmor Hanbaiyu, dem Chinesischen Weißen Marmor, der sonst nur Palästen und Tempeln vorbehalten war. Es sind einfache, normale Menschen mit normalem Gesichtsausdruck, mal hockend, mal stehend, eine Hommage an den Menschen an sich.

Aber Zhang Dali ist auch ein begnadeter Maler, wie seine großformatige Bilder „AK-47“ und „New Slogans“ beweisen. Von Weitem sieht man große quadratische Porträts chinesischer Wanderarbeiter, aber nähert man sich ihnen, erkennt man, dass das Porträt aus dem Schriftzug „AK-47“ oder einer Regierungsparole in chinesischen Schriftzeichen zusammengesetzt ist. Nur die Einfärbung dieser Zeichen ergibt das Porträt. Nähert man sich, verschwindet der Mensch hinter der Parole und man sieht nur die Schrift. Subtil.

Wem kann man noch trauen?

In seinem Projekt „A Second History“ von 2005–2010 zeigt Zhang Dali den Umgang mit historischer Wahrheit. Unten ist das Originalfoto zu sehen, oben die aus politischen Gründen erfolgte Retusche: Menschen verschwinden, andere werden hineinkopiert oder neu gruppiert. Der Ausschnitt verändert auch die Bildaussage, eine kleine Lektion in Manipulation durch Propagandafotos. Wem kann man noch trauen? Im digitalen Zeitalter sind die technischen Mittel natürlich viel weiter fortgeschritten als in den 60er und 70er Jahren, wo der Betrug noch echte Handarbeit erforderte.

Zhang Dalis Europapremiere ist ein Ereignis, sie zeigt einen Künstler, der sich ganz den Menschen verschrieben hat, der Grenzen auslotet. In China ist er einer der ganz Großen, mit Ausstellungen in Beijing und Wuhan, in Galerien und Museen. Er eckt an, aber er kann sich behaupten, weil er sich treu bleibt. Er schafft Kunstwerke, die berühren und verstören, die zutiefst human sind und am Ende über den chinesischen Kontext hinausweisen.

Bis 8. Oktober, Museum Beelden aan Zee, Harteveltstraat 1, Den Haag. Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr. Eintritt 15 Euro.

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