Ausstellung in Berlin: Was wissen wir von Asien?
"Re-Imagining Asia": Das Berliner Haus der Kulturen der Welt befragt Kunst und Film über unser Bild von Asien. Alltag und Familie bilden dabei eine Brücke, die spielend auch über kontinentweite Distanzen trägt.
So viel Zärtlichkeit, im Blick auf alte Schuhe und ausgepresste Zahnpastatuben, auf Schlipse, Plastikflaschen, Brillen. Auf die unscheinbaren Objekte des Alltags, akribisch gesammelt über Jahrzehnte. Nur scheinbar sind sie wertlos, tatsächlich aber voller Erinnerungen: Über 60 Jahre hat die Chinesin Zhao Xiangyuan die Dinge ihres Haushalts gesammelt, und kann zu jedem Objekt das genaue Jahr nennen. So viel Zärtlichkeit aber auch des Sohns für die Mutter: Um ihr über den Verlust seines Vaters hinwegzuhelfen, erfand der Künstler Song Dong ein gigantisches Erinnerungsprojekt. Alles, was sich im Haus der Eltern angesammelt hatte, wird nun archiviert und nach Themen geordnet präsentiert: in der Installation „Waste Not“, die einen Höhepunkt der gestern eröffneten Ausstellung „Re-Imagining Asia“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt darstellt.
Als Song Dongs Arbeit in Korea gezeigt wurde, haben die Leute dort angefangen zu weinen, berichtet der in Chicago lebende Kurator Wu Hung. Kein Wunder: Eindringlich spricht die Installation von der verborgenen Schönheit des Alltags, von dem Schatz der Erinnerungen, dem Bewahrenwollen innerhalb einer modernen Wegwerfgesellschaft, aber vor allem von Liebe und Ehrfurcht gegenüber den Eltern. Das versteht man – überall auf der Welt.
Alltag, Familie: Das ist eine Brücke, die spielend auch über kontinentweite Distanzen trägt. So auch in Naomi Kawases Halbstundenfilm „Birth/Mother“, der im begleitenden Filmprogramm zu sehen ist: Die junge japanische Regisseurin debattiert mit ihrer 90-jährigen Großmutter ihr Lebenstrauma: Sie ist von ihren Eltern verlassen worden. Doch statt einer wütenden Abrechnung wird ihr Film, der – drastisch genug – Aufnahmen der nackten Neunzigjährigen im Schwimmbad mit der live gefilmten Geburt von Naomis Sohn gegenschneidet, eine liebevolle Hommage an die Vorgängergeneration. Diese zierliche alte Dame strahlt so viel Wärme, so viel Herzlichkeit aus, dass manchem Betrachter auch hier die Tränen kommen dürften.
Was für ein Bild haben wir von Asien? Das ist die Grundfrage, die das Haus der Kulturen der Welt in seinem wie immer überbordenden Frühjahrsfestival stellt – in der Kunst und im Film, im Tanz und in der Literatur. Die postkoloniale Theorie eines Edward Said oder Homi K. Bhabha, auf die man sich im Haus der Kulturen der Welt immer gern beruft, ist sich sicher: Es ist ein falsches Bild, eine orientalisierende Projektion des westlichen Blicks – weshalb die Kuratoren Wu Hung und der mit dieser Ausstellung vom Haus der Kulturen der Welt scheidende Kunstdirektor Shaheen Merali das wahre Asien durch asiatische Kunst reimportieren wollen. Da erscheint Europa nach einem Schlagwort des indisch-amerikanischen Historikers Dipesh Chakarabarty plötzlich provinziell, altmodisch, liebenswürdig. Kein Wunder, dass sich Song Dong und seine Mutter hier wohlfühlen.
Doch ist der Kontinent wirklich so fremd? Oder nicht im Gegenteil immer nähergerückt? In Peking, das mit Hilfe europäischer Architekten gigantisch für die Olympiade in diesem Jahr aufrüstet, kämpft man um die Erhaltung der historischen Bauten – auch das Holzhaus von Song Dongs Mutter fiel dem Bauboom zum Opfer. Und entwickelt gleichzeitig historisch-kritisches Bewusstsein: Zhang Dali etwa versammelt in „A Second History“ auf 120 Bildtafeln Beispiele von Bildmanipulation: Zeitungsfotos, aus denen aus politischen oder ästhetischen Gründen Personen entfernt, Gesichter retuschiert, Bildausschnitte verändert wurden. Eine mediale Geschichtskonstruktion, lange vor den Möglichkeiten von Photoshop. Ähnliche Untersuchungen hat es über sowjetische Fotos gegeben.
Tradition und Alltagssorgen: Dieses Thema beschäftigt das asiatische Kino in den letzten Jahren verstärkt – auf der Berlinale zum Beispiel, wo der japanische Wettbewerbsbeitrag „Kabei/Mutter“ von Yoji Yamada ein ebenso zärtliches Bild der Elterngeneration und ihrer nachkriegsbedingten Mühsal zeigte wie Song Dongs Installation – und wo mit „Zuo You“ von Wang Xiaoshuai gleichzeitig das moderne Peking nicht als futuristische Megalopolis, sondern als wenig spektakulärer Schauplatz gewöhnlicher Sorgen wie Kinderlosigkeit und Beziehungskrisen präsentiert wurde. Auch im Filmprogramm von „Re-Imagining Asia“ – das sich auch aus Berlinale-Filmen speist – geht es in dem großartigen Zweieinhalbstünder „Nobody Knows“ von Hirokazu Kore-Eda um Kinderverwahrlosung und Familienzusammenbruch. Und selbst wenn, wie im herausragenden Dokumentarfilm „Dear Pyongyang“ von Yang Yong-Hi, tatsächlich ein politisches Thema im Zentrum steht, nämlich der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea, wird es über die private Ebene abgehandelt – über die ergreifende Geschichte einer Familie, die seit Jahrzehnten durch die Trennung zerrissen ist.
Unscharf, ja beliebig wird das Bild in „Re-Imagining Asia“, wenn es von westlichen Künstlern gespiegelt wird: Wenn Andreas Gursky in seiner Fotografie „Kuwait Stock Exchange“ mit zahllosen Börsianern in weißen Umhängen antiislamische Vorurteile bedient, Johannes Kahrs mit seiner Plakatinstallation „Shout“ auf revolutionären Aktivismus setzt oder der Mexikaner Gabriel Orozco einen Pingpong-Tisch in ein asiatisches Brunnenwunder verwandelt.
Zudem ist – Problem des Ausstellungskonzepts – der Begriff Asien allzu weit gefasst. Die Auseinandersetzung mit islamischen Trauerriten und jugendlicher Popkultur, die die in Köln lebende Iranerin Parastou Forouhar anhand von bedruckten Sitzsäcken und Daumenkinos voller Folterszenen anstößt, hat wenig mit dem zwischen Tradition und Zukunft taumelnden Fernost zu tun (weshalb sich auch Mohsen Makhmalbafs „Reise nach Kandahar“ im Filmprogramm fremd ausnimmt). Da war das Haus der Kulturen der Welt mit der Ausstellung „Entfernte Nähe“ 2004 schon präziser. Auch Indien, Gegenstand von Julian Rosefeldts Videofilm „Lonely Planet“, ist eine Welt für sich. Welches Asien wir meinen, das ist eine Frage, die sich nicht nur an den Besucher richtet, sondern ebenso sehr an die global agierenden Kuratoren. Eine Antwort gibt die Ausstellung nicht.
Was die Luzidität der einzelnen Positionen nicht schmälert – zumal wenn sie sich so elegant mit den örtlichen Gegebenheiten verbinden wie die schwungvolle Fassadenmalerei der Koreanerin Sun K. Kwak. Und noch ein Highlight: Kim Jongkus „Mobile Landscape“, eine mit Stahlstaub auf den Boden gestreute, von Berlin inspirierte poetische Kalligrafie. Deren Minimalerhebungen werden von einer Kamera auf die Wand projiziert, wo sie zur schönsten abstrakten Landschaftsmalerei werden. Solche intelligent-ästhetischen Auseinandersetzungen, grundiert von feiner Melancholie, sprechen für sich. Der Blick asiatischer Künstler auf die Berliner Kongresshalle, den Inbegriff der Nachkriegsmoderne, wirkt gleichzeitig fremd und vertraut. Und man wünscht sich für’s nächste Mal: „Re-Imagining Europa“. Aus asiatischer Sicht.
AUSSTELLUNG
Haus der Kulturen der Welt, bis 18. Mai, Di bis So, 12 bis 20 Uhr, Katalog 24,80 Euro.
KONFERENZ
Heute, 15 bis 20 Uhr, Panel mit an der Ausstellung beteiligten Künstlern. Moderation: Shaheen Merali, Wu Hung.
FILMREIHE
4. bis 27. April, jeweils Freitag bis Sonntag,
25 Filme, darunter „Nobody Knows“ (Foto).
LITERATURFESTIVAL
16. bis 20. April, kuratiert von Ilija Trojanow, Teilnehmer u.a. Raoul Schrott, Shashi Tharoor, Ko Un, Ranjit Hoskoté.
TANZ
„Die Entführung von Sita“, Projekt von Joachim Schloemer, 24. bis 26. April, 19.30 Uhr.
Christina Tilmann
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