„Feministische Avantgarde" in der Hamburger Kunsthalle: Bügelbrett für eine Leiche
Immer noch provokant nach mehr vier Jahrzehnten: Mit einer spannnenden Ausstellung erinnert die Hamburger Kunsthalle an die feministische Avantgarde-Kunst der 70er Jahre.
Eine Frau, lebendig begraben unter einer dicken Schicht von Steinen, befreit sich langsam von der brutalen Last, bis ihr Körper schließlich zu erkennen ist. Das 1974 entstandene Video „Burial Pyramid“ der exilkubanischen Künstlerin Ana Mendieta läuft in der Ausstellung „Feministische Avantgarde der 1970er Jahre“ in Endlosschleife. Es gehört zu den berührendsten und bittersten Zeugnissen in der aktuellen Schau der Hamburger Kunsthalle. Mendietas Selbstdarstellung ist weit entfernt vom heute gängigen Mittelklasse-Feminismus, der niemandem mehr wehtut. Auch die 33 anderen in Hamburg gezeigten Künstlerinnen, die in den 1970er Jahren gegen weibliche Unterdrückung und das auf Mann, Kinder und Küche fixierte Frauenbild Front machten, passen wenig in dieses Schema. Gerade deshalb hat ihr kollektiver Aufschrei noch immer Schlagkraft.
Offensiv wie heute Pussy Riot und Lady Gaga – wenn auch letztlich mit anderer Mission – suchten sie durch radikale Aktionen das Publikum aufzurütteln: Die jungen, attraktiven Frauen fotografierten sich hinter Gittern (Helena Almeida 1977), gekreuzigt zwischen Türpfosten (Francesca Woodman 1977) oder verhüllt nur von einem Rock über dem Kopf (Alexis Hunter 1973). Sie ließen von Wildfremden auf der Straße ihren entblößten Busen betatschen (Valie Export 1968) oder hockten sich breitbeinig mit offenem Hosenschlitz vor die Kamera (Cindy Shermann 1976). Eine kuschelte ein niedliches Vogelnest mit Eiern in ihren Schoß (Birgit Jürgenssen 1979), eine andere bot sich als nackte Braut in einer Hochzeitstorte zum Verzehr (Penny Slinger 1973).
Bewusst wählen die Frauen historisch unbelastete Medien wie Fotografie und Video
Insgesamt 150 provokante, ironische bis verstörende Arbeiten dieser Art sind in der Galerie der Gegenwart zu sehen. Als Pionierleistung in der Kunstgeschichte war das Vorpreschen der Künstlerinnen in den 1970er Jahren tatsächlich bedeutsam. Mit Ausnahme von Cindy Sherman, Hannah Wilke und Valie Export sind die meisten Namen in Vergessenheit geraten.
Dabei bemühten sich alle mit Verve, weibliche Rollen zu verändern und bislang Privates öffentlich und politisch zu machen. Spannend und für heutige Sehgewohnheiten reizvoll an der feministischen Avantgarde ist die bewusste Wahl neuer, historisch unbelasteter Medien wie Fotografie, Film und Video. In Maskeraden, Rollenspielen und Inszenierungen aller Art setzten die Künstlerinnen bevorzugt den eigenen Körper ein. Die Themen für ihre körperbezogenen Kunstformen entnahmen sie dem eigenen Leben. Gekontert wurden gesellschaftliche Erwartungen an die Rolle als Ehefrau, Hausfrau und Mutter sowie als schmückende Begleiterin und Trophäe des Mannes.
Vor allem die künstlerischen Versuche, die weibliche Fron im Haushalt zu karikieren, changieren zwischen Komik und Ernst. Die Wiener Künstlerin Birgit Jürgenssen band sich in ihrer Arbeit „Küchenschürze“ gleich die ganze Küche samt Herd um. Karin Mack ließ im „Bügeltraum“ die Büglerin als aufgebahrter Leichnam auf dem Bügeltisch enden. Renate Eisenegger plättete mit dem Bügeleisen das glänzende Linoleum eines langen, anonymen Hochhausflurs. Und die Amerikanerin Martha Rosler erklärte im Video „Semiotics of the kitchen“ mit vorgebundener Schürze und mehrdeutiger, aggressiver Gestik im Schulmeisterton die Funktion von Messer, Fleischklopfer und andere Küchenutensilien.
Noch grotesker und böser fiel Renate Bertlmanns Hieb gegen Ehe und Familie aus: Ihre Performance „Die schwangere Braut im Rollstuhl“ endet damit, dass die maskierte Braut, die soeben ein kleines Bündel geboren hat, aus dem Rollstuhl entflieht. Derartiger Tabubruch wird heute kaum mehr ankommen. Denn seit Jahren ist ein Backlash unter jungen Frauen zu beobachten, die sich in den sozialen Netzwerken nichts sehnlicher als Mann und Kinder wünschen und dafür makellos schön, zumindest perfekt gestylt sein wollen.
Wer wie die New Yorkerin Hannah Wilke in den 1970er Jahren Gesicht und Körper mit Ekelmalen aus zerkauten Kaugummis beklebt, wie die Polin Ewa Partum eine Körperhälfte künstlich altern lässt und zum Kunstwerk erklärt oder sich auch nur mit platt gedrückter Nase und Fischmaul hinter Plexiglas zur Schau stellt, darf heute kaum auf ein „Like it“ hoffen – nicht einmal im Museum. Die feministische Kritik am Bild der Frau hat sich ganz offensichtlich noch nicht erledigt.
Bis 31. Mai 2015, Katalog, 39 Euro. Weitere Infos: www.hamburger-kunsthalle.de
Ulla Fölsing
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