Max Beckmann in der Hamburger Kunsthalle: Eine Ausstellung zum Schwärmen
Die Stillleben von Max Beckmann stehen oft im Schatten seiner großen Welttheater-Arbeiten. Zu Unrecht, wie jetzt eine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle zeigt.
Kein anderer deutscher Künstler der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts ist derart oft ausgestellt worden wie Max Beckmann, und was die Monografien und Interpretationen angeht, kommt ohnehin kein zweiter mit. Um so erstaunlicher ist es, wenn immer wieder einmal eine Lücke, ein Versäumnis entdeckt und alsbald geschlossen wird, wie es jetzt der Hamburger Kunsthalle mit der Ausstellung der Stillleben gelingt. Und nicht das geringste Erstaunen löst aus, dass ungeachtet zahlreicher oft gesehener „Standardwerke“ auch diesmal wieder Trouvaillen dabei sind, Neuentdeckungen, die allein aus dem umfangreichen (und unerschwinglichen) Œuvrekatalog von Barbara und Erhard Göpel (1976) bekannt gewesen waren.
Man muss sich allerdings vor Augen halten, dass die Stillleben für Beckmann die kleine Münze des Alltags darstellten. Der aus dem renommierten Frankfurter Lehramt vertriebene, erst in Berlin und dann im Exil in Amsterdam untergetauchte Maler war kein Manet, der an einem Spargelstillleben die Malerei neu erfand. Beckmann hatte Größeres im Sinn; das, was er mit dem Wort „Welttheater“ umschrieb. Dass es daneben auch noch eine höchst irdische Wirklichkeit gab, eine Realität von tausenderlei Gegenständen vom Blumenstrauß bis zum Nachttischnippes, bot ihm Anlass für Fingerübungen im Atelier.
Doch halt, auch das ist nicht ganz richtig, denn Beckmann verwendete auch auf kleinformatige Stillleben diejenige Sorgfalt, von der die Notizen in seinen Tagebüchern berichten. Beckmann malte, bis er mit dem Ergebnis zufrieden war, und das bedeutete ein ständiges Übermalen und Verfeinern. Das konnte die Änderung der Komposition einschließen, wie die Hamburger Kunsthalle am Beispiel des Gemäldes „Stillleben mit Fischen“ von 1944 aus eigenem Besitz sehr schön darlegt, wo dem Vulkan (!) im Hintergrund die Rauchsäule abhanden kam und das Bild am Ende weit harmloser erscheint, als es ursprünglich angelegt war.
Die Hamburger Ausstellung lenkt den Blick in die Tiefe des Arrangements
Die beständige Überarbeitung der Gemälde hat zur Folge, dass Farbschichten sich überlagern und einander ergänzen, dass sie sich gegenseitig in ihrer Wirkung steigern. Kein Katalogbuch, und sei es so sorgfältig gedruckt wie jetzt dasjenige der Kunsthalle, kann das tiefgründige Leuchten der für Beckmann typischen, pastosen und scheinbar stumpfen Farben wiedergeben. Ja, anhand eines solchen Buches tritt überhaupt ins Bewusstsein, dass Beckmanns Bilder dreidimensional sind, dass sie Tiefe besitzen und alles andere sind als jene Fläche, auf die der Maler die ihn umgebende und die ihm erschienene Wirklichkeit gebannt hat. Man meint vor den Bildern, den Abstand zwischen den bisweilen unbemalt gelassenen Stellen der lediglich grundierten Leinwand und den höchsten Erhebungen der übereinandergeschichteten Farbaufträge zu ermessen. Das ist zweifellos eine Illusion; aber eine, die der von Beckmann vorgeführten Illusion des Gemäldes als Bild, als Ikone einer transzendenten Wirklichkeit nahekommt.
Was für die großen Kompositionen gilt, die in den im 20. Jahrhundert beispiellosen Triptychen Beckmanns gipfeln, kann auch für die beiläufigen Stillleben gesagt werden. Die Hamburger Ausstellung, indem sie sich auf die Stillleben beschränkt, lenkt den Blick in die Tiefe dieser Arrangements. Sie sind nicht so zufällig, wie es den Anschein hat. Beckmann liebte disparate Objekte, die er in Atelier und Wohnung – in Amsterdam in dem Jahrzehnt zwischen 1937 und 1947 verschmelzen beide zu dem legendären Domizil am Rokin – aufstellte und in seinen Gemälden geradezu zum Leben erweckt. Einige dieser Objekte sind jetzt in Hamburg zusammengetragen worden, so das blau glasierte chinesische Räuchergefäß in Form einer Kröte, das im Gemälde „Stillleben mit Fingerhut“ von 1943 wie ein gutmütiger, doch reizbarer Mops erscheint. Oder die Nachttischlampe mit Fuß in Gestalt eines Elefanten, auf dem gleichnamigen Gemälde ebenfalls von 1943 verewigt.
Beckmanns Bilder sehnen sich nach der Ferne
Zumeist aber sind es Blumen, die wie die Türkenbundlilien von 1937, delikateste Farbgebungen erzwingen. Den „Blick auf Menton mit Lilientopf“ hat Beckmann, wie so viele seiner nach Ferne sehnsüchtigen Bilder, aus dem Gedächtnis gemalt und die Beschränkung des Exils malerisch aufgehoben. Was für eine Leistung! Späte Werke in den USA tendieren zu komplexeren Aufbauten, wie das „Stillleben mit Cello und Bassgeige“, nicht lange vor dem Herztod 1950 gemalt. Ein eigenes Kapitel der sehr konsequent geordneten Ausstellung ist den Stillleben mit Landschaft gewidmet, einer Zwitterform, die dazu geführt hat, dass man manche Gemälde auch schon in Ausstellungen zu Beckmanns Landschaftsmalerei hat sehen können, wie das bestens bekannte, aber wegen seiner zarten Rosé-Bleu-Kontraste immer wieder betörende „Scheveningen, fünf Uhr früh“ von 1928.
Beckmann schlief bisweilen schlecht und musste den fehlenden Nachtschlaf des Mittags ausgleichen. Auch davon erzählen die Bilder, wenn man sie denn, mithilfe des kundigen Katalogs, zu lesen versteht. Eine Ausstellung zum Schwärmen. Beckmann kann man gar nicht oft genug sehen.
Hamburger Kunsthalle, bis 18. Januar 2015. Katalog bei Prestel, 30 €.
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