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Schreibtischfestung: Fritz Katers "heiner 1-4 (engel fliegend, abgelauscht) umkreist das Phänomen des berühmten Dramatikers - mit Felix Rech, Carina Zichner, Kathrin Wehlisch, Veit Schubert und Bardo Böhlefeld, v.l., auf der kleinen Bühne des BE
© imago/Martin Müller

"heiner 1-4" am Berliner Ensemble: Brille. Zigarre. Whiskeyglas

Uraufführung am Berliner Ensemble: Fritz Kater sucht den Menschen und Künstler Heiner Müller. Es wurde Zeit.

Es kommt selten vor, dass man sich als Kritiker in einem Theaterwerk wiederfindet, wenn auch nur als nerviges Zeitungsschreibergespenst („Riediger Schlapperer“) am Telefon. Es ist die lustigste, albernste Szene des Stücks, eine Befreiung aus dem respektvollen Ernst dieser Hommage an Heiner Müller. In der Mini-Backstage-Komödie um den müden „Martin“ (Wuttke) und Müllers „Arturo Ui“-Inszenierung am Berliner Ensemble fliegt dem Geschäftsführer „Sauer“ (im echten Leben Peter Sauerbaum) der Zirkus der Diven um die Ohren. Einar Schleef tobt in den Kulissen, Peter Zadeks Geist nölt aus dem Bühnenhimmel.

Da ist man gern dabei, winziges Teilchen einer großen Geschichte. Sie liegt ein Vierteljahrhundert zurück und sie erinnert daran, dass das Theater in Berlin einmal die Bedeutung eines delphischen Orakels besaß. Im Theater nach 89/90 (und davor auch schon) hatte der Osten das Sagen – ein symbolischer, bitterer Sieg. In nahezu allen anderen gesellschaftlichen Bereichen war es umgekehrt: Der Westen führt. Frank Castorf, der jetzt auch am BE arbeitet, setzte in Großbuchstaben „OST“ auf die Volksbühne; ein genialer Etikettenschwindel war das ja auch.

Lustig und chaotisch ging es damals zu am BE der Wendezeit

Das Spiel mit den Namen beginnt beim Autor dieser Uraufführung selbst. Jeder weiß, dass Fritz Kater das Schreiberpseudonym des Regisseurs Armin Petras ist. Und dass er sich auch dann nicht zeigt, wenn sich die Schauspieler und das Regieteam am Ende verbeugen. Sein neuer Bühnentext mit dem poetisch-umständlichen Titel „heiner 1-4 (engel fliegend, abgelauscht)“ umkreist den Vulkan Heiner Müller, der jetzt 90 Jahre alt geworden wäre. Der sich vielleicht gern versteckt hätte, als die Zeitenwende kam, als die Mauer fiel, die für ihn dank seiner Reiseprivilegien kein Hindernis war, vielmehr sein persönlicher künstlerischer Schutzwall. Er war ein intellektuelles, melancholisches Epizentrum, ein höflicher Mensch. Er fehlt.

Heiner Müller, ein Allerweltsname, und Weltliteratur. Er starb am 30. Januar 1995, in einem sibirisch kalten Winter. Müller war damals Intendant des Berliner Ensembles, er hatte als Präsident der Ost-Akademie die frustrierende Vereinigung zweier Künstlerclubs mit betrieben. Er war eine öffentliche Person, von der die großen Welterklärungen erwartet wurden, eine traurige Lichtgestalt, ein Dramatiker, dem kein Stück mehr gelingen will, ein junger Vater mit 63 Jahren. Er hatte ein Land verloren, die DDR, und eine Familie gegründet. Dann sah man mit an, wie der Krebs ihn auffraß. Wie er bis zuletzt in sein Theater ging.

Die Fotografin Brigitte Maria Mayer, seine Frau, hat den fragilen Mann in all diesen Stadien aufgenommen; manchmal machte er auch Bilder von ihr, von dem Paar. Sie war damals Ende Zwanzig. 2005, zu Müllers zehntem Todestag, veröffentlichte sie bei Suhrkamp ein großes schwarzes Buch, „Der Tod ist ein Irrtum“. Ein Familienalbum. Es enthält Müller-Manuskripte, Gedichte, Notate. Und jene intimen Fotografien, die Fritz Kater ins Zentrum seiner Müller-Recherche stellt. Bildbeschreibungen, in Anspielung auf Müllers berühmten Text „Bildbeschreibung“. Dessen Hermetik und Härte erreicht „heiner 1-4“ im Kleinen Haus des BE allerdings in keinem Moment.

Heiner Müllers Werk kommt wieder, irgendwann, die Zeit gibt ihm recht

Aber das wissen die Schauspieler und der Regisseur Lars-Ole Walburg. Fünf Personen – Bardo Böhlefeld, Felix Rech, Veit Schubert, Kathrin Wehlisch, Carine Zichner – suchen einen Autor. Müller, nicht Kater. Die Bühne von Robert Schweer ist ein flaches Geviert, das sich in ein Boudoir hinter Schleiervorhängen verwandelt, ein luftiges Mausoleum. Die Brille, die Zigarre, das Whiskyglas. Wie man ihn kannte. Nie ohne. Die berühmten Heiner-Insignien werden in der Bühnenmitte platziert, so beginnt die Dokufiktion. Keiner will da so richtig zugreifen. Müller, viel zu groß, zu weit weg. Erkennbar ringt Walburgs Inszenierung um ihre Form. Sie bleibt in gut anderthalb Stunden eine offene Versuchsanordnung, ein Theaterlabor mit einer recht jungen Truppe. Nur Veit Schubert war seinerzeit schon dabei am chaotischen Müller-Zadek-Wuttke-Schleef-BE, er darf im komischen Teil des personenkultigen Abends aus vollem Herzen chargieren.

Nein, der Tod war leider kein Irrtum. Er hat einen Mann geholt, der formulieren konnte wie ein Fallbeil. Fritz Kater montiert nicht nur fotografische Dokumenten, sondern auch Interviews. Müller war ein Interviewmeister in der Nachwendezeit. Gefragt, warum er immer wieder in die DDR zurückgehe, sagte er, dort müsse er keine Steuererklärung ausfüllen. Brutal erhellend sein Stalingrad-Bild: Der Kessel sei eine Metapher gewesen für den Ostblock danach; nach außen Abschottung, innen Fäulnis.Nach dem Zweiten Weltkrieg habe der Kapitalismus jede Hemmung verloren – nur gebremst eine Zeitlang durch das Sowjetreich. Nach dessen Zusammenbruch kam die „asoziale Marktwirtschaft“...

„Gespenster am toten Mann“, so nannte Müller sein letztes Stück

Die Interviews sind gut dokumentiert, nachzulesen im Gesamtwerk. Heiner Müller ist kein vergessener Dramatiker, aber ein Klassiker, unser jüngster. Und die liest man nicht. Er wird auch nicht mehr so oft aufgeführt. Deshalb tut Katers „heiner 1–4“ gut. Das manchmal unbeholfene Sortieren von Bildern und Erinnerungen öffnet Türen, durch die man wieder gehen kann. Manche Sentenz, die damals spleenig-radikal klang, ist längst von der Realität eingeholt.

Müller mit Baby, Müller mit der jungen Frau, Müller in der Villa Aurora und auf Kuba – sein Privates war nicht politisch im Sinn einer Demonstration. Aber das Paar hat das Bild von sich, das öffentliche, das für die Nachwelt bestehende, selbst bestimmt. Lebenszeichen aus einem anderen Jahrhundert, einem anderen Berlin. So lange her und doch: Brigitte Maria Mayer und Tochter Anna sitzen in der Premiere von „heiner 1-4“; die Tochter, in deren hellem, offenem Gesicht der Vater lebt und lächelt, dass man erschrickt. Zugleich sind sie auf der Bühne präsent, ist von ihnen die Rede, werden sie in den Blick genommen in Fritz Katers Text, im Spiel des Zigarren-Quintetts, das immer wieder die Frage aufwirft: Ist das angemessen? Ist Müller da getroffen? Sicher nicht im letzten Teil, einem peinlichen Prosa-Ritt durch Berlin. Den Schluss kann man streichen, komplett.

„Gespenster am toten Mann“, so nannte Müller sein letztes Stück. Katers Animation psychologisiert lieber, als dass es historisch-pathetisch würde, er scheut das Gefühlige nicht. Das Stück, das sich auch mit weniger Effekten machen lässt, einfacher, kälter, hat etwas von einem Workshop. Warum nicht: Von Müller lernt man. Er hat ein Werk hinterlassen, das auf die Bühne zurückkehren wird. Sein Geschichtszynismus ist der Realismus von morgen.

Wieder am 2., 3., 16. und 17. Februar

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