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Arbeitsroutinen eines Security-Typen. Schauspieler Peter Kurth.
© Arno Declair

„Die stillen Trabanten“ am Deutschen Theater: Auf eine Zigarette im Plattenbau

Ostgeschichten: Armin Petras inszeniert „Die stillen Trabanten“ von Clemens Meyer am Deutschen Theater.

Ein Sicherheitsbeamter erlebt in einer dieser „öden und endlosen“ Dienstnächte, die seit Jahrzehnten sein Leben in der ostdeutschen Provinz takten, ein Déjà-vu. Er glaubt am Zaun einer Asylunterkunft eine junge Frau zu sehen, in die er sich vor zwanzig Jahren verliebt hatte. Und die dann – so steht es in Clemens Meyers Erzählung „Glasscherben im Objekt“ – irgendwann einfach weg war.

Genau wie die Friseurin Birgitt, die sich in „Späte Ankunft“ mit der Zugreinigerin Christa in der Bahnhofskneipe anfreundet und plötzlich nicht mehr zum angestammten Piccolo-Sekt-Treff erscheint. Oder wie Hamed und seine Frau, die muslimischen Nachbarn eines Imbissbudenbesitzers in „Die stillen Trabanten“. Der kann die beiden nicht vergessen, weil er sich beim gemeinsamen Rauchen im Plattenbauflur in die Frau verliebt hatte.

Geschichten über Herkünfte, die das Theater sonst kaum interessiert

„Die stillen Trabanten“ – das ist gleichzeitig die Titelgeschichte des 2017 erschienenen Prosabandes des Ost-Chronisten Clemens Meyer. Armin Petras hat fünf Erzählungen daraus jetzt auf die Kammerbühne des Deutschen Theaters transportiert, angereichert um eine frühere Geschichte aus „Die Nacht, die Lichter“: Storys über Menschen mit Herkünften und Berufen, für die sich das Theater in der Regel eher nicht interessiert.

Für Petras indes liegt die Stoffwahl nahe: Kaum jemand im Bühnenbusiness hat sich derart intensiv, sachkundig und oft erhellend mit der DDR und dem Nachwende-Osten auseinandergesetzt wie er; sei es als Regisseur oder als Dramatiker unter dem Pseudonym Fritz Kater.

Maßgebliche Gesellschaftspanoramen sind da entstanden; von „zeit zu lieben zeit zu sterben“ 2002 am Hamburger Thalia Theater bis zu „Buch“ vor drei Jahren an den Münchner Kammerspielen. Angestammte Petras-Schauspielerinnen wie Fritzi Haberlandt und -Schauspieler wie Peter Kurth, der auch diesmal dabei ist, haben dafür einen ureigenen Darstellungsstil entwickelt: schrill und verspielt, aber nicht naiv. Hochnotkomisch, aber denunziationsunverdächtig. Durchaus nicht pathos-, wohl aber ostalgiefrei.

Meyers Geschichten wirken hier massiv geplättet

So ist es sicher auch hier von Petras angedacht; bei diesen bewusst unspektakulären Meyer-Geschichten. Oft geht es um einen Moment, der jemanden für kurze Zeit aus seiner Routine reißt. Um Begegnungen zwischen Menschen, die schon lange keine Begegnungen mehr gewöhnt sind. Daraus bezieht Meyers Prosa ihren Reiz: Was ist das eigentlich, was die Friseurin Birgitt und die Putzfrau Christa unter der Erzähloberfläche von geteilten Job-Demütigungen und mehr oder weniger ausgesprochenen Einsamkeitserfahrungen zusammenschweißt?

Wo Meyer nur an- und nicht ausdeutet, neigt Armin Petras leider zur klaren Ansage. Katrin Wichmann als verhärtete Christa im Blaumann und Anja Schneider als angeschrägte Friseurin mit Schwarzhaarperücke, bei der sich proportional zur Vertrauensbildung das alte Ostsächsisch wieder einstellt, machen etwa jene Bahnhofskneipengeschichte „Späte Ankunft“ zur lustigen Fifty-plus-Frauen-Comedy.

Nicht, dass sie es nicht hervorragend beherrschten, leicht altershüftsteif und trotzdem exzessiv zu frühen Disko-Reminiszenzen abzuhotten oder zusammen mit dem Sekt auch ausdrücklich unsubtile Witze über den Tresen zu schieben: großes Gelächter im Publikum jedenfalls, wenn Katrin Wichmann den „Piccolo“ knittelversig mit dem (selbstredend inexistenten) „Gigolo“ zwangsverbindet. Meyers Geschichte aber wird im Petras’schen Kabarett spätestens dann massiv geplättet, wenn sich die beiden gegenseitig die Oberteile vom Leib reißen und wild-neckisch auf der Bühne tanzen.

Zwingend ist die Inszenierung nur selten

Dabei gehört Wichmanns und Schneiders Duett, dem man immerhin ein erhöhtes Bewusstsein für Pathosvermeidung attestieren kann, sogar noch zu den differenziertesten des Abends. Dessen Problem beginnt eigentlich schon damit, dass Meyers Geschichten, die ohnehin nicht direkt nach der Bühne schreien, hier ohne dramaturgische Idee einfach aneinandergereiht und heruntererzählt werden.

Hinzu kommt, dass Petras’ Methode, epische Texte über weite Strecken in ihrem Genre zu belassen, statt sie in Dialoge aufzulösen, hier oft nur beliebig wirkt. Das zu Sagende wird einfach rampennah auf die mitwirkenden Schauspieler verteilt, Punkt. Da schwäbelt sich Alexander Khuon mal durch einen veritablen maskulinen Entgleisungsmonolog, stellt Bozidar Kocevski im Alleingang ein ganzes Primetime-Fernsehprogramm nach, pantomimisiert sich Peter Kurth minimalistisch durch die allnächtlichen Arbeitsroutinen eines Security-Typen und legt sich Maike Knirsch mit osteuropäischem Akzent ins Zeug. Allein: Zwingend wirkt das an diesem langen, dreistündigen Abend nur in absolut raren Ausnahme-Momenten.

Nächste Vorstellungen am 14., 24. und 29. November

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