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All inclusive. Sara Schuetz, Karim Khawatmi und das Ensemble singen „Bleib noch bis zum Frühstück“.
© Stage Entertainment

Udo-Jürgens-Musical in Berlin: Boot und Spiele

Im Theater des Westens läuft jetzt für die nächsten sechs Monate das Tanzmusical „Ich war noch niemals in New York“ mit Hits von Udo Jürgens. Die Show ist perfekt poliert - und wirkt doch frisch.

Es war noch niemals in Berlin – im Übrigen aber ist dieses Stück schon ziemlich weit herumgekommen. Vier Millionen Menschen haben die Show bereits gesehen seit der Hamburger Uraufführung im Dezember 2007. Es gab Gastspiele in Wien, Zürich und sogar in Tokio, vor allem aber wurde die mit 20 Udo-Jürgens-Hits lockende Show vom Unterhaltungskonzern Stage Entertainment an seine eigenen Bühnen in Stuttgart und Oberhausen weitergereicht.

So funktioniert Musical heute. Die in der Entwicklung sehr teuren, technisch extrem aufwendigen Produktionen rechnen sich nur, wenn sie im Dauerbetrieb laufen. Am Broadway und im Londoner Westend strömen immer genug Touristen nach, um bei erfolgreichen Stücken ein und dasselbe Haus über viele Jahre zu füllen. In der föderal organisierten Bundesrepublik geht es nur mit dem Rotationsprinzip: Die Show muss zu den Leuten kommen, als Wanderzirkus einen regionalen Markt nach dem anderen abgrasen.

Nun ist also die Hauptstadt dran. Für sechs Monate zieht „Ich war noch niemals in New York“ ins Theater des Westens ein, ins Traditionshaus der Unterhaltung, in dem 1961 mit „My Fair Lady“ der Siegeszug der musical comedy im deutschsprachigen Raum begann, das unter Helmut Baumann in den Achtzigern seine schönste Glanzzeit erlebte und das die Stage Entertainment seit 2003 in Eigenregie betreibt.

Wie man zur Premiere ein Riesen-Bohei veranstaltet, das wissen sie bei der Stage: B-Promi-Auflauf und Blitzlichtgewitter im Eingangszelt auf dem abgesperrten Bürgersteig, Halbweltglitzer in den Foyers. Schöne Körper werden vorgezeigt und schrille Outfits, Sektlaune dominiert im Parkett, schon bevor dieses Schaumschiff in See sticht. Die Story geht so: Otto und Maria entfliehen dem Altenheim, weil sie in New York heiraten wollen, ihre Kinder hechten auf das Kreuzfahrtschiff hinterher, um sie just davon abzuhalten. Mehrere Herzen drohen über Bord zu gehen, dann aber wird es doch eine Butterfahrt ins Drei-Generationen-Glück.

In der Tat darf man sich von Anfang an entspannt zurücklehnen, in der Gewissheit, dass in den letzten acht Jahren ausgiebig an jeder Szene gefeilt wurde, dass jeder Knalleffekt tausendmal ausprobiert, jede Pointe so lange poliert wurde, bis in Carline Brouwers Regie alles perfekt sitzt. Und doch ist nicht größtmögliche Stromlinienförmigkeit das Ergebnis, sondern eine szenische Lebendigkeit, die bei aller Professionalität trotzdem frisch wirkt, ja fast spontan.

Manche Songs werden nur angetippt, andere zu Showstoppern aufgepeppt

Darin liegt die große Kunst im Dauerbrennerbetrieb des Musicals: als Darsteller nicht zur Routinemaschine zu werden, die acht Mal die Woche ihren Part fehlerfrei abliefert. An diesem Premierenabend jedenfalls glauben die Protagonisten an ihre Figuren. Ehrgeizig bis zur Selbstaufgabe ist Sarah Schütz als TV-Talkerin Lisa Wartberg, scharf und verletzend in Wort und Tat. Gezähmt wird sie vom Wildtier- Fotografen Axel, den Karim Khawatmi extrem kantig anlegt. Ganz genreuntypisch wird in der „Ich war noch niemals in New York“-Dramaturgie das alte Paar zum Hauptsympathieträger – die patente Dagmar Biener und der sanfte Peter Kock –, während die klassische Soubrettenrolle Lisas schwulem Hairstylisten Fred zufällt. Andreas Bieber hat das perfekte Zauberlächeln dafür und die richtige, jungshaft-quirlige Bühnenpräsenz.

Dass Fred und seinen Lebensgefährten Costa (Gianni Meurer) der geballte Mitmieterhass des „ehrenwerten Hauses“ trifft, gehört zu den gelungenen Kunstgriffen bei der Einbettung der Jürgens-Lieder in die Handlung. Dass Costa ein Hellene sein muss, erklärt sich schon aus der Chance, so vom Aufkeimen der Liebe beim „griechischen Wein“ singen zu können. Und der achtjährige Kinderdarsteller Jan, der Axels pfiffigen Filius spielt, kann in der ersten Szene nach der Pause die Stimmung sofort wieder zum Anschlag hochschnellen lassen, wenn er als Söhnlein brillant die Küchenweisheit verkündet: „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an!“

Viele Songs werden nur kurz angetippt, bis sich der wohlige Wiedererkennungseffekt einstellt, andere dagegen zu Showstoppern ausgebaut. In Kim Duddys aerobichaften Ruckizucki-Choreografien fetzt das Ensemble dann über die Szene, sendet „Schöne Grüße aus der Hölle“, eifert in sexy Matrosenoutfits Popeyes Gummigang nach oder umtänzelt in der rosaroten Hochzeitssuite die Protagonisten, während Axel seine Lisa bittet: „Bleib noch bis zum Frühstück“. Geschickt hat Michael Reed die Schlagermelodien zu knackigen Big-Band-Nummern arrangiert, die Dirigent Bernd Steixner mit nur 12 Musikern und avancierter Lautsprechertechnik klangprächtig ans Hörerohr bringt.

Das Stück wirbt um Toleranz: für Senioren, Schwule, Alleinerziehende

Der Liedermacher Udo Jürgens war immer ein Moralapostel. Und darum passt es gut, wenn die von Gabriel Barylli und Christian Struppeck um die altbekannten Hits herumgestrickte Geschichte lauter Randgruppen ins Rampenlicht rückt. Senioren, die ihren Lebensabend selbstbestimmt gestalten wollen. Alleinerziehende Väter, die eigentlich vor allem Zeit für sich selber bräuchten, um ihre gescheiterte Beziehung zu verarbeiten. Karrierefrauen, die sich hart in der Männerwelt hochgearbeitet haben und nun im Panzer der Unnahbarkeit gefangen sind. Schwule Paare und ihre Probleme mit der alltäglichen Diskriminierung.

Natürlich wird das alles im Stil einer Boulevardkomödie verhandelt, selbstverständlich bieten staatlich subventionierte Bühnen, die nicht auf Massenkompatibilität angewiesen sind, avanciertere Lösungskonzepte an als diese Show mit ihrem harmonischen Patchworkfamilien- Happy End. Wer aber tatsächlich glaubt, das Musical könnte gesellschaftspolitisch mehr bewegen als ganz generell zur Toleranz aufzurufen, der überfrachtet so einen Vergnügungsdampfer.

Theater des Westens, bis 27. September.

Frederik Hanssen

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