Renaissance-Werke: Bode-Museum restauriert verbrannte Kunstschätze aus dem Flakbunker
Tagelang brennt es 1945 im Sicherheitsdepot der Berliner Museen. Doch einige Meisterwerke überleben den Feuersturm. Das Bode-Museum restauriert sie nun. Ein Besuch in der Werkstatt.
Es ist geradezu Mitleid erregend, die zwei Figuren so daliegen zu sehen: wie Leichen in der Pathologie. Als würde in der Restaurierungswerkstatt des Bode-Museums ein „Tatort“ spielen. Tatsächlich können die beiden Schildträger aus Carrara-Marmor nicht mehr stehen, sie sind durchaus Opfer eines Attentats. Kein Wunder, dass es einem im Untergeschoss des Museums fröstelt, während vor dem Fenster die Touristenboote vergnügt vorüberziehen und auf der gegenüberliegenden Spreeseite Café-Besucher die Frühlingssonne genießen.
Die beiden schwer beschädigten Bildwerke animieren zur Zeitreise in die Vergangenheit – nicht nur ins 15. Jahrhundert, an dessen Ende Tullio Lombardo die nur mit einem Hüfttuch bekleideten jungen Männer für das Grabmal des Dogen Andrea Vendramin in der venezianischen Kirche Santa Maria dei Servi schuf. Ihre bis zu den Knien und Schultern geborstenen Glieder, die schrundige Oberfläche, die dunklen Verfärbungen an Gesicht, Brust und Bauch versetzen sehr viel unmittelbarer, ja geradezu brutal ins Jahr 1945, als im Mai nach Ende der Kriegshandlungen die beiden Hauptwerke der Renaissance im Flakbunker Friedrichshain Feuer ausgesetzt waren.
Das Bode-Museum hat viele Kunstleichen im Keller
Drei Tage lang brannte es in dem vermeintlichen Sicherheitsdepot der Berliner Museen, wohin Gemälde, Skulpturen, Keramiken, Elfenbeine, Tapisserien und Goldschmiedearbeiten ausgelagert waren. Temperaturen bis zu 1000 Grad richteten verheerende Schäden an. Bei den beiden jugendlichen Würdenträgern blieben wie durch ein Wunder die schulterlangen Locken erhalten, die ihre fein geschnittenen Gesichter rahmen und die Zerstörungen umso drastischer betonen. „Der konservatorische Supergau“, beschreibt Chefrestaurator Paul Hofmann den Zustand der beiden Skulpturen, „chemische Zeitbomben.“ Aufgerichtet würden sie zerfallen. Im Inneren lösen sich die Kristalle immer weiter auf, der Marmor hat nur noch die Festigkeit von verbackenem Ostseesand.
Das Bode-Museum hat viele solcher Kunstleichen im Keller. Einst waren sie Highlights der Sammlung. Nach dem Bunkerbrand, ihrem anschließenden Abtransport durch die russischen Trophäenbrigaden zusammen mit 10 000 weiteren Stücken, der Rückkehr 1958 in die DDR und darauffolgenden Verbannung ins Depot gerieten viele Stücke in Vergessenheit. Ihr Schicksal habe die Museen jahrzehntelang „überfordert“, konstatiert Julien Chapuis. Das erklärt ihre Verdrängung ins Abseits. Vor drei Jahren organisierte der Leiter der Skulpturensammlung die Aufsehen erregende Ausstellung „Das verschwundene Museum“, die mit original-großen Schwarz-Weiß-Reproduktionen an die im Krieg verlorenen 434 Gemälde und 1507 Objekte der Skulpturensammlung erinnerte. „Ein Wink mit dem Zaunpfahl“, so Chapuis.
Die Siemens Kunststiftung unterstützt das Bode-Museum
Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung, hat die Zeichen erkannt. Seine vor 35 Jahren in München gegründete Einrichtung unterstützt bundesweit Museumsankäufe, Ausstellungen, Bestandskataloge – und im Rahmen der Initiative „Kunst auf Lager“, der 14 weitere Stiftungen angehören, auch Restaurierungen. Die Siemens-Stiftung stellt dem Bode-Museum diesmal mehr Geld denn je zuvor bereit, einen kleinen siebenstelligen Betrag, nur so viel wird verraten. Chapuis und seine Kuratoren konnten aus ihrem Bestand 59 Werke wählen, die wegen ihrer Versehrungen seit Jahrzehnten zum Schattendasein verdammt waren oder neu gesichert werden mussten wie Donatellos Terrakotta-Relief. Seine „Madonna und Kind mit vier Cherubim“ gehört zu den prominenten Patienten der achtjährigen Restaurierungskampagne, die seit einem Jahr läuft und nun erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Die ursprüngliche Fassung der Muttergottes – ihr blauer Mantel, den man von farbigen Reproduktionen der Vorkriegszeit noch kennt, das zartrosa Inkarnat, die Vergoldungen – ist seit dem Brand verloren. Doch selbst die verbliebene rohe Keramik besitzt noch unvergleichliche Anmut. Sie zeigt die modellierende Hand des Meisters, der die Madonnendarstellung in Italien revolutionierte. Eine Rekonstruktion der Farbe wird es auch weiterhin nicht geben, doch drohten 80 korrodierende Eisennägel, mit denen russische Restauratoren die Plastik auf eine Platte geschraubt hatten, die Keramik zu sprengen. Nun hält eine Edelstahlkonstruktion das Werk, das ab 1. März 2019 in der Ausstellung „Mantegna und Bellini. Meister der Renaissance“ in der Gemäldegalerie zu sehen sein wird.
Stück für Stück entsteht auf diese Weise ein „wiedergefundenes Museum“, wie Chapuis es nennt. Werke in dieser Qualität seien für öffentliche Häuser heute unbezahlbar, wenn es sie überhaupt auf dem Markt gäbe. Die Skulpturen werden nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Forschung wiedergewonnen. Plötzlich belebt sich erneut eine wissenschaftliche Diskussion über Werke, die nur noch als Ruinen wahrgenommen wurden, wenn nicht vollkommen in Vergessenheit geraten waren wie Lombardos Schildträger.
An ihnen werden auch die inneren Kämpfe der Restauratoren deutlich. Erklärtes Ziel ist es, die beiden Burschen wieder in die Vertikale und unter die Lebenden zu bringen. Damit sie überhaupt stehen können, muss der mürbe Marmor in einem Spezialverfahren unter Vakuumdruck mit flüssigem Plexiglas versetzt werden. Eine Gewissensentscheidung, denn die Behandlung ist irreversibel. Restaurator Hofmann will diesen Weg trotzdem gehen – besser als die kostbaren Stücke auf Jahrzehnte wieder im Depot zu versenken, wie er meint. Zugleich hofft er durch sie neue Erkenntnisse zu gewinnen, wie Verschwärzungen durch Ruß reduziert werden können. In zwei Jahren will er ein neues Produkt entwickelt haben, das ebenso Kollegen in Syrien, die sich mit aktuellen Kriegsschäden beschäftigen, helfen könnte.
Russische Museen kämpfen mit den gleichen Problemen
Auch in Moskau und St. Petersburg verfolgt man gespannt, wie die Arbeit in den Werkstätten des Bode-Museums vorangehen. Im Puschkin-Museum und der Eremitage kämpft man mit den gleichen Problemen: Brandschäden aus dem Bunker Friedrichshain. Zwar gab die Sowjetunion 1958/59 große Teile der abtransportierten Bestände an den Bruderstaat DDR zurück, aber vieles wurde als Wiedergutmachung einbehalten. Erst zuletzt traten dort zwei Donatellos zutage, die als verschollen galten.
Aus diesem Grund befindet sich das Schulterstück einer Büste von Francesco Laurana noch in Moskau, während der Kopf der Prinzessin aus Neapel 1958 auf die Museumsinsel nach Berlin zurückkehren durfte. Dort wurde die Schöne mit dem eigentlich leicht geneigten Haupt kerzengrade auf eine halsartige Plinthe gesetzt, eine eher minimalistische Lösung. Im Rahmen der aktuellen Restaurierungen wird die Prinzessin ihr Köpfchen nicht nur wieder graziös drehen, sie erhält auch ihr Bruststück zurück. Glücklicherweise wurde von ihr wie bei allen Erwerbungen damals üblich durch die Gipsformerei eine Kopie gemacht.
Als Geste der guten Zusammenarbeit hat Neville Rowley, Kurator für italienische Kunst vor 1500, bei seinem jüngsten Besuch im Puschkin-Museum eine Kopie des Kopfes mitgebracht. Welch ein Umstand! Warum nicht gleich die beiden Originalteile wieder zusammenbringen – ob in Berlin oder Moskau? Dem steht das Duma-Gesetz entgegen, wonach Beutekunst nicht in die Bundesrepublik zurückkehren darf. So werden Brust und Kopf der Prinzessin weiterhin getrennt bleiben. Im Bode-Museum schätzt man sich trotzdem glücklich, Lauranas Prinzessin wieder herrichten zu können. Aus der Politik hält man sich tunlichst raus. Hier läuft die Verständigung – über die Restaurierung.
Nicola Kuhn