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Kiffer und Polizist. Joaquin Phoenix und Josh Brolin verstehen sich blendend.
© Courtesy of Warner Bros. Picture

Paul Thomas Anderson verfilmt Thomas Pynchon: Blumenkind mit Backenbart

Zurück in die Hippie-Ära: Der Film „Inherent Vice“ kommt in die Kinos.

Thomas Pynchon ist einer der bekanntesten Schriftsteller der letzten 50 Jahre, doch Hollywood hat sich für seine Bücher bislang kaum interessiert: zu unübersichtlich, zu viele Figuren. Die komplexen Handlungsstränge von Wälzern wie „V.“ oder „Die Enden der Parabel“ könnte man vielleicht als mehrstaffelige TV-Serie aufdröseln, aber sicher nicht im Kinoformat. Oder doch? Paul Thomas Anderson, der 1999 mit „Magnolia“ bewies, dass er verschachtelte Episoden publikumsgerecht arrangieren kann, wagt sich nun an Pynchon. Okay, mit „Inherent Vice“ (dt. „Natürliche Mängel“), 2009 erschienen, hat er sich eine Vorlage ausgesucht, die für Pynchons Verhältnisse leichte Kost ist: keine 400 Seiten lang, ein eindeutiger „Held“, ein fast stringenter Plot.

Joaquin Phoenix dauerbekifft

Gemessen am Erzählmuster handelsüblicher Hollywood-Filme ist die Story um den dauerbekifften Privatdetektiv Larry „Doc“ Sportello (Joaquin Phoenix) allerdings immer noch labyrinthisch. Doc ermittelt für seine Ex (Katherine Waterston), die sich Sorgen um ihren aktuellen Lover macht, einen jüdischen Immobilienmogul mit Nazirockern als Leibwächtern und habgieriger Frau. Im Verlauf seiner wenig zielstrebigen Recherchen bekommt Doc es mit FBI-Agenten, Masseurinnen, Surf-Saxofonisten, Drogenhändlern, Zahnärzten und nicht zuletzt einem knallharten Hippiehasser-Bullen (grandios: Josh Brolin) zu tun. Er wird niedergeschlagen, an Handschellen aufgehängt, mit Drogen vollgepumpt, steht unter Mordverdacht, sein Auto wird zu Schrott gefahren. Nicht, dass er selbst ein Heiliger wäre: Auf seine trügerisch träge Art ist er nicht weniger manipulativ als seine Gegenspieler, auch seine Liaison mit einer Staatsanwältin (Reese Witherspoon) ist außerhalb des Schlafzimmers von gegenseitigem Kalkül geprägt.

Fast drei Dutzend Nebenfiguren treten während Docs Odyssee auf, und der Held stolpert ähnlich desorientiert durch sein Abenteuer wie 1998 Jeff Bridges durch „The Big Lebowksi“. Doch anders als die kalifornische Retrofantasie der Coen-Brüder verortet Anderson sein Period Piece konkret in Zeit und Raum. „Inherent Vice“ spielt im Los Angeles des Jahres 1970. Die Sommer naiver Hippieträume sind vorbei, die Manson Family hat eine Blutspur gezogen. Der Vietnamkrieg tobt weiter, die Staatsmacht hat die Gegenkultur unterwandert, niemand kann sicher sein, dass sein Dealer nicht für das FBI spitzelt. Den latenten Verfolgungswahn fängt eine Szene wunderbar ein, in der sich bei Docs Ermittlungen zwei Enden überkreuzen. Seine Reaktion: Er kritzelt, sauber zugedröhnt, die Worte „Paranoia Alert“ in seinen Notizblock.

Nun ist ein zweieinhalbstündiger Film, dessen Erzähltempo manchmal dem Stillstand nahe kommt und der sich nie entscheiden mag zwischen Kifferkomödie und Kriminalgeschichte, nichts für ungeduldige Gemüter. Doch wer sich auf den gemächlichen Flow von „Inherent Vice“ einlässt, wird reich belohnt. Etwa mit der sensationellen Performance von Joaquin Phoenix, dessen imposanter Backenbart an den jungen Neil Young erinnert und der (wie schon in Spike Jonzes „Her“) aufzublühen scheint, seit er nicht mehr verkniffene Psychowracks spielen muss.

Paul Thomas Anderson mit weniger tragödischem Stoff

Nach dem monströsen Ölsucher-Epos „There Will Be Blood“ (2007) und der Sekten-Parabel „The Master“ (2012) widmet sich Anderson einem Stoff, der nicht unter der tragödischen Verstricktheit seiner Protagonisten ächzt. Ohne streberhaften Ausstattungsfetischismus gelingt ihm ein Zeitbild von verblüffender Überzeugungskraft. Seine Charaktere wirken so authentisch wie das Ambiente, in dem sie sich bewegen. „Inherent Vice“ sieht nicht nur aus und klingt (durch kluge Musikauswahl und den exzellenten Score von Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood) wie 1970, sondern fühlt sich auch so an.

Ab Donnerstag in sieben Berliner Kinos

Jörg Wunder

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