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Musik der Erinnerung. Rabih Mroué und sein Bruder Yasser in „Riding on a Cloud“.
© HAU

Rabih Mroué: Bilderflut macht blind

Terror und Erinnerung: Das HAU zeigt eine Werkschau von Rabih Mroué und seiner Partnerin Lina Majdalanie.

Seine Stimme ist angenehm sanft, die Erscheinung sofort sympathisch. Er spricht ohne Eitelkeit, ruhig und konzentriert über die Geschichten, die er auf der Bühne ausbreitet. Nur dass sich diese Geschichten häufig um Krieg und Terrorismus drehen. Gewalt grundiert das Werk des 1967 in Beirut geborenen Künstlers Rabih Mroué. Vielleicht liegt darin die Faszination seiner Arbeiten. Sie helfen, den Horror der arabischen Welt, die Verwicklung des Westens, das in all dem Wahnsinn zivilisatorisch Verbindende und Verbundene besser zu erkennen.

Rabih Mroué und seine Partnerin Lina Majdalanie gehören mit ihren Stücken zum internationalen Festivalbetrieb, bewegen sich an der Schnittstelle von Theater, Performance und bildender Kunst. Mroué war bei der Biennale in Istanbul, auf der Documenta und letztes Jahr auch im Museum of Modern Art in New York zu Gast. Das Hebbel am Ufer widmet den beiden eine Werkschau mit dem Titel „Outside the Image Inside Us“. Sie leben seit einiger Zeit in Berlin und waren vorher hier auch künstlerisch zuhause. Zum Abschied von HAU-Gründer Matthias Lilienthal zeigte Rabih Mroué 2012 auf dem Tempelhofer Feld eine Installation über Heckenschützen in Syrien. „Ode to Joy“, ein Stück über das Olympia-Attentat 1972 in München, hatte dort im vergangenen Herbst zur Neueröffnung der Kammerspiele, die Lilienthal jetzt leitet, seine Uraufführung. Es läuft noch einmal an diesem Donnerstag im HAU.

Mit dem klassischen arabischen Storyteller hat Rabih Mroué wenig gemein. Denn der „trug Heldengeschichten vor, pries die Krieger und Taten eines Stammes, lobte das traditionelle Leben. Für diese Storyteller stellte die Stadt, die Großstadt etwas Böses dar, sie waren gegen die Moderne“, sagt Mroué, der andere Wege geht: „Ich will keine Ikonen, keine Märtyrer schaffen, im Gegenteil. Ich suche in der Ikonografie das Humane.“

Der Auftrag heißt: reduzieren, analysieren

Dabei gibt es ein Problem, das frühere Generationen so nicht kannten. „Die Welt ist mit Bildern überflutet, wir sind blind geworden. Wir beziehen unsere Bilder und Geschichten aus Millionen Quellen. Wir sind mit Informationen überfüttert, wir werden bombardiert: Du siehst alles und nichts zugleich. Der Künstler muss diese Bilder wieder menschlich machen, Propaganda und Mythos dekonstruieren.“ Aus dem Vollen zu schöpfen, das ist auch ein Fluch. Der neue Auftrag heißt dann auch: reduzieren, analysieren. Daraus entwickelt sich ein Dilemma, ein philosophischer Schmerz: Was immer der Künstler tut, so Mroué, er produziere doch wieder neue Bilder, wenn auch dekonstruierte. „Es kommt immer noch ein neues Narrativ hinzu.“

Rabih Mroué unternimmt dies mit dem Laptop und in Arrangements, die sehr einfach und schlicht wirken, oft aber von großer Raffinesse sind, auch dramaturgisch. In „Riding on a Cloud“ sitzt sein Bruder Yasser auf der Bühne. Er wurde im libanesischen Bürgerkrieg verletzt, konnte nicht mehr richtig sprechen – das Publikum erlebt in dieser ergreifenden Aufführung, wie sich ein Mensch aus politischen Daten, privaten Videos und Erinnerungen eine verlorene Biografie zusammensetzt (1. und 3. April). Bei aller Härte der Themen und Schärfe des Gedankens: Diese Arbeiten zeichnen sich durch eine tief empfundene Menschlichkeit aus. Das ist selten geworden in der Welt der Performance, des Theaters überhaupt. In der Regel schließen Konzeptkunst und Empathie einander aus.

Natürlich spielt auch der Arabische Frühling eine Rolle

Wie im Persönlichen, so funktioniert Mroués Archäologie bei der Betrachtung der Welt: „Wir nehmen die Bilder, die von Staaten und Mächten und diesen Riesenmaschinen produziert werden, und spielen mit ihnen. Brechen sie, schütteln sie durcheinander. Angesichts der unendlichen Live-Bilder überall ist es für Künstler unmöglich, neue Bilder zu finden. Wir brauchen neue Strategien.“

Natürlich spielt der Arabische Frühling eine Rolle in diesen Arbeiten, vor allem in der Performance „33 RPM and a Few Seconds“ (3. April). Es ist die Geschichte eines jungen linken Libanesen, der Selbstmord begeht und einen Abschiedsbrief hinterlässt. Wieder unternehmen Majdalanie und Mroué eine Rekonstruktion, leisten Trauerarbeit. Fundstücke, Fragmente: In „Make me stop Smoking – Presentation of Ideas Under Study“ (2. April) beschäftigt sich Rabih Mroué mit der Kultur des Libanon.

Man lernt hier viel – und wie wenig man weiß über das kleine Land, in dem schon immer mehr Flüchtlinge lebten als irgendwo sonst.

Werkschau „Outside the Image Inside Us“, bis 3.4., Infos: www.hebbel-am-ufer.de

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